Ein Brett mit Steinen, weiß und schwarz
Ein abgebroch'nes, morsches Brett
am Bergfried einer Burg,
die schon verfallen ist,
vor langer Zeit zerstört, nur noch Ruine.
Wer hat das Brett hierhin gebracht?
Und wann, warum, wofür?
Ich weiß es nicht.
Wer könnte es wohl wissen?
Auf ihm liegt irgendwo ein schwarzer Stein.
Hat ihn ein Sturm hierher geweht?
Hat jemand ihn hier hingelegt?
Ich weiß es nicht.
Ich komm' vorbei und sehe ihn.
Der Stein, der tut mir leid.
Er wirkt verloren, sieht so einsam aus
auf diesem langen Brett.
Ich such' ihm einen zweiten Stein
und finde einen weißen,
füg' ihn hinzu zum schwarzen.
Der ist nun nicht mehr so allein.
Der weiße Stein, er passt zum schwarzen,
der schwarze gut zum weißen.
Sie sprechen miteinander -
gemeinsam mit dem Brett ein Dreigestirn.
Der schwarze sagt zum weißen:
"Du bist mein Gegensatz."
Der weiße antwortet darauf:
"Ich mach' dich reicher, ganz."
Das Brett ist froh, dass es nun beide trägt,
nicht einseitig nur einen.
Es ist ja nur durch Schwarz und Weiß im Gleichgewicht -
durch Ausgleich ausgewogen.
Ich gehe wieder weiter - weg
vom Brett mit Steinen, weiß und schwarz.
Schon bald vergess' ich auf dem Weg
das Brett mit den zwei Steinen.
Dieses Gedicht gab es ursprünglich in einer knapperen Fassung, die einen etwas anderen Schwerpunkt hat:
Ein Brett
von irgendwem gebracht,
an irgendeinen Ort,
in irgendeinem Land;
auf ihm ein schwarzer Stein.
vom Sturm dort hingeweht?
von jemandem gelegt?
Ich weiß es nicht.
Ich sehe ihn, er tut mir leid.
Er liegt ja so alleine.
Ich finde einen weißen Stein,
füg' ihn hinzu zum schwarzen.
Der weiße Stein,
der passt zum schwarzen,
der schwarze gut zum weißen.
Gemeinsam sind sie schöner als alleine.
Ich spiele mit dem Brett
und einem schwarzen, einem weißen Stein.
Jedoch ich spiel' nicht Go auf diesem Brett,
mit Steinen, schwarz und weiß.
Ich gehe weiter, gehe weg.
Und auf dem Weg
vergess ich schnell
das Brett mit seinen Steinen.
Publiziert am: Dienstag, 21. Mai 2024 (127 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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