Der Andere und ich


 

 

Der Andere raubt mir meine Welt,

wenn sie ist auch noch seine.

In dieser Welt der Zwei bin ich

als Ich nicht mehr alleine.


 

Ich bin nicht mehr als Einziger

frei handelndes Ich-Bin.

Der Andere lenkt auch die Welt

in seinem eigenen Sinn.


 

Ich bin nicht mehr Allein-Herrscher

in meiner eigenen Welt.

Ich bin nicht mehr der einzige Hund,

der auf der Straße bellt.


 

Die Straße, die ist jetzt geteilt,

gehört mir nicht mehr ganz,

gehört auch einem anderen Tier,

das wedelt mit dem Schwanz.


 

Jedoch, wenn ich im ganzen Raum,

so weit, wie reicht mein Blick,

die ungeteilte Freiheit bin,

ist das denn reines Glück;


 

wenn ich allein der Einzige bin,

der auf der Straße geht,

an jeder Stelle stehen kann,

weil da kein Anderer steht?


 

Ich kann zwar sprechen zu ner Wand;

die Wand spricht zu mir nicht.

Zu mir kann sprechen nur der Mensch,

der schaut mir ins Gesicht.


 

Es ist nicht nur Verlust, wenn ich

nicht mehr all-eine bin.

Der Andere bringt doch in die Welt

sich selbst als Zugewinn.


 

Der Andere raubt nicht meine Welt;

er schenkt dazu noch seine.

In dieser Welt der Zwei bin ich

als Ich nicht mehr alleine.

 




 

Kommentar:


 

Wenn ein Anderer als zweites Subjekt in der Welt auftaucht, in der ich bisher das einzige Subjekt war,

muss ich nicht nur die Objeke mit ihm teilen.

So wie ich das andere Subjekt zu meinem Objekt machen kann,

kann auch das andere Subjekt mich zu seinem Objekt machen.

Das ist ja ein Grundgedanke bei Jean Paul Sartre.

Es kann zum Kampf kommen - darum, wer Subjekt bleibt, wer zum Objekt gemacht wird;

wer etwas zu sagen hat und wer sich das anhören muss, was der Andere sagt, auf ihn hören, ihm ge-horchen muss.

 

Den Absturz vom Subjekt zum Objekt zeigt Sartre ja sehr anschaulich an seinem Schlüssellochbeispiel:

Wenn ich einen Anderen durch ein Schlüsselloch beobachte,

dann sehe ich den Anderen, der Andere jedoch nicht mich.

Ich bin das Subjekt, der Andere ist mein Objekt.

Das ändert sich aber schlagartig, wenn ich plötzlich merke,

dass ein Dritter, der hinter einem Vorhang versteckt ist,

mich dabei beobachtet, wie ich durch das Schlüsselloch gucke.

Jetzt hat mich dieser Dritte zu seinem Objekt gemacht.

Er hat mir meine Freiheit geraubt, nicht nur meine Welt.


 

Doch muss es denn unbedingt zu einem Kampf kommen?

Ich persönlich muss nicht immer etwas sagen, zu sagen haben. Ich höre auch gerne zu.

Wichtig sind doch die Worte, die gesagt und gehört werden,

Wichtig ist, dass sie gesagt und gehört werden.

Wichtig ist nicht, wer sie sagt und wer sie hört -

ob ich sie sage oder höre,

ob der Andere sie sagt oder hört.


 

Und beides gehört doch zusammen.

Sager und Hörer brauchen sich doch gegenseitig.

Wenn ich irgendwo einige meiner Texte vorlese,

brauche ich doch Menschen,die gekommen sind, um mir zuzuhören.

Ich kann natürlich zu Hause eines meiner Bücher aufschlagen und darin lesen - für mich alleine.

Aber das ist nicht dasselbe.

Und wenn ich selber zu der Lesung eines Anderen gehe,

brauche ich doch den, der vorliest.

Ich kann mir natürlich auch sein Buch kaufen und es selber lesen.

Aber das ist nicht dasselbe.


 

Selbstverständlich gibt es ein Ringen um Macht, gibt es Streit und Krieg.

Es gibt Menschen, die überall und gegen jeden kämpfen müssen,

für die es immer darum geht, Hammer oder Amboss zu sein.

Doch es gibt durchaus auch die Möglichkeit,

den Anderen nicht als Bedrohung zu sehen, gegen die ich mich schützen muss,

indem ich ihn besiege, ihn mir unterwerfe,

sondern ihn als Bereicherung und Ergänzung wert zu schätzen,

auf Augenhöhe, in gegenseitigem Sich-Achten,

im Einklang miteinander, im Frieden zu leben.

 

Publiziert am: Freitag, 10. November 2023 (158 mal gelesen)
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