Freud' und Leid
Hasan, der aussätzige Bettler, und Wüstenrose, die unschuldige Hure, hören eine Predigt des wortmächtigen Rumi:
Er sprach von Gott und versicherte uns, Er sitze nicht auf einem fernen Thron im Himmel, sondern sei ganz nah bei jedem Einzelnen von uns.
Noch näher zu Gott aber, sagte er, bringe uns das Leid.
"Ständig öffnet und schließt sich eure Hand. Täte sie es nicht, wärt ihr gelähmt.
Euer eigentlichstes Dasein zeigt sich an einer kleinen Bewegung des Zusammenziehens und Sich-wieder-Streckens.
Beides ist so wunderbar ausgewogen und aufeinander abgestimmt wie die Flügel eines Vogels."
....
Wie die zwei Flügel eines Vogels
gehören Freud' und Leid zusammen,
bilden - wie alle Gegensätze
gemeinsam eine untrennbare Einheit.
"Gott schuf das Leid, um die Freude durch ihr Gegenteil zu offenbaren", sagte Rumi.
"Alles wird sichtbar durch sein Gegenteil.
Da Gott kein Gegenteil hat, bleibt er verborgen.
...
Sehet die Erniedrigung der Erde und die Erhöhung des Himmels!
Wisset, dass alles in der Welt so beschaffen ist:
die Flut und die Dürre, der Krieg und der Frieden.
Nie dürft ihr vergessen, dass Gott nichts vergeblich erschuf,
sei es der Zorn oder die Langmut, die Ehrlichkeit oder die List!"
(Elif Shafak, Die vierzig Geheimnisse der Liebe)
Publiziert am: Donnerstag, 06. April 2023 (194 mal gelesen)
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