Antwort auf Sartre
Namhafte Andere denken, dass das gar nicht geht, dass der Mensch genötigt ist, sich das nicht von der Natur oder Gott gnädig vor-gegebene Wesen selbst zu erfinden und zu erschaffen.
Als erster Rudolf Steiner in der "Philosophie der Freiheit":
"Nicht ein einheitlich organisiertes Wesen ist der Mensch. Er verlangt stets mehr, als die Welt ihm freiwillig gibt. Bedürfnisse hat die Natur uns gegeben; unter diesen sind solche, deren Befriedigung sie unserer eigenen Tätigkeit überlässt. Reichlich sind die Gaben, die uns zugeteilt, aber noch reichlicher ist unser Begehren. Wir scheinen zur Unzufriedenheit geboren.
Nur ein besonderer Fall dieser Unzufriedenheit ist unser Erkenntnisdrang. ....
Nirgends sind wir mit dem zufrieden, was die Natur vor unseren Sinnen ausbreitet. Wir suchen überall nach dem, was wir Erklärung der Tatsachen nennen.
Der Überschuss dessen, was wir in den Dingen suchen, über das, was uns in ihnen unmittelbar gegeben ist, spaltet unser ganzes Wesen in zwei Teile: wir werden uns unseres Gegensatzes zur Welt bewusst.
Wir stellen uns als ein selbständiges Wesen der Welt gegenüber. Das Universum erscheint uns in den zwei Gegensätzen: Ich und Welt.
Diese Scheidewand zwischen uns und der Welt errichten wir, sobald das Bewusstsein in uns aufleuchtet. Aber niemals verlieren wir das Gefühl, dass wir doch zur Welt gehören, dass ein Band besteht, das uns mit ihr verbindet, dass wir nicht ein Wesen außerhalb, sondern innerhalb des Universums sind.
Dieses Gefühl erzeugt das Streben, den Gegensatz zu überbrücken. Und in der Überbrückung dieses Gegensatzes besteht im letzten Grund das ganze geistige Streben der Menschheit. Die Geschichte des geistigen Lebens ist ein fortwährendes Suchen der Einheit zwischen uns und der Welt. Religion, Kunst und Wissenschft verfolgen gleichermaßen dieses Ziel."
Später Heidegger und (unter dessen Einfluss) Sartre:
Der Mensch kann nicht - wie ein Stein, eine Rose, ein Hund - einfach das sein, das bleiben, was er jetzt (schon) ist.
Er muss das sein, was er (noch) nicht ist, muss ein Anderer werden.
Er kann nicht "an sich" sein, er muss "für sich" (und "für andere") sein.
Er kann nicht einfach ein Wesen ohne Wesen bleiben.
Er muss sich das Wesen, das ihm nicht gegeben ist, selber geben.
Er muss wählen, was er sein will.
Doch kann ich nicht auch wählen, nichts anderes haben zu wollen als das, was jetzt ist,
nichts anderes sein zu wollen als das, was ich jetzt bin.
Kann ich nicht auch "an sich" sein?
Kann ich vielleicht auch im "Für-Sich-Sein", auch im "Für-Andere-Sein" noch "an sich" sein?
Natürlich geht das nicht, solange ich mich als abgespaltenes einzelnes Bewusstsein der Außenwelt gegenüberstelle, als Subjekt den Objekten.
In dieser Trennung kann ich nur unglücklich sein, gezwungen, sie durch eigenes Bemühen zu überwinden.
Wenn ich getrennt bin, hat Heideger vielleicht Recht: Das Leben läuft in der Zeit auf den Tod zu, der am Ende dieses Bemühen zur Absurdität verurteilt.
Doch muss ich mich denn als abgespaltenes Selbst-Bewusstsein erleben?
Ist das denn wirklich die nicht auflösbare Grundlage des menschlichen Da-Seins?
Was hindert mich denn daran, auch der Brunnen zu sein, der sich durch mich plätschern hört?
Was zwingt mich denn dazu, etwas anderes zu sein als Erfahrung, die sich selber will, liebt, weiß und hat - dezentriert alles, was jetzt da ist?
Und wenn mich nichts hindert und nichts zwingt, was fehlt dann der Erdbeere, die sich durch mich selber schmeckt, was fehlt dann mir, durch den sich ein Vogel singen hört?
Muss ich dann etwas Anderes lieben, was jetzt noch nicht ist, muss ich mich als einen Anderen wollen, der ich noch nicht bin?
Kann ich dann nicht friedlich-glücklich einfach in dem bleiben, was jetzt da ist - in mir, durch mich,
der bleiben, der ich jetzt bin - alles, was jetzt da ist?
Vielleicht lohnt es, das zu erproben -
und wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, um sich von der Mühsal des Bemühens zu erholen,
nach dem geschaffenen Werk und der geschafften Selbst-Veränderung wie Gott am Sabbat auszuruh'n?
Publiziert am: Dienstag, 30. August 2022 (359 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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