Kind-Sein


 

Des Menschen Erden-Weg beginnt als Kind.

Noch halb zu Hause dort, von wo es herkommt,

und leichtgewichtig auf der Wolke schwebend,

die ihm für lange Zeit vertraute Heimat war,

mit einem Flügel noch im Licht der Sphären

(es kann noch Engel seh'n),

stellt es, noch fremd, noch nicht gewöhnt

an diese wundersame, wundervolle Welt,

sich wundernd, staunend diese Fragen,

die es dann später irgendwann,

dann, wenn es nicht mehr Neuankömmling ist,

durch das schon längst Gewohnte abgestumpft,

vergessen haben wird:

 

 

"Warum bin ich ich und warum nicht du?

Warum bin ich hier und warum nicht dort?

Wann begann die Zeit und wo endet der Raum?

Ist das Leben unter der Sonne nicht bloß ein Traum?

Ist, was ich sehe und höre und rieche,

nicht bloß der Schein einer Welt vor der Welt?

Gibt es tatsächlich das Böse und Leute,

die wirklich die Bösen sind?

Wie kann es sein, dass ich, der ich bin,

bevor ich wurde, nicht war,

und dass einmal ich, der ich bin,

nicht mehr, der ich bin sein werde?"
 

(aus Peter Handke, Lied vom Kind-Sein)




 


Du musst das Leben nicht verstehen


 

Du musst das Leben nicht verstehen,

dann wird es werden wie ein Fest.

Und lass dir jeden Tag geschehen,

so wie ein Kind im Weitergehen

von jedem Wehen

sich viele Blüten schenken lässt.

 

Sie aufzusammeln und zu sparen,

das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

Es löst sie leise aus den Haaren,

drin sie so gern gefangen waren,

und hält den lieben jungen Jahren

nach neuen seine Hände hin.

(Rainer Maria Rilke)

 



 

 

Das Lied des Zaren


 

Sonst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Stern,

das Schwert schon als Kind, ach ich schwang es so gern.

Gespielen und Diener bedrohte mein Blick.

Froh kehrt ich zum Schoße des Vaters zurück.

Und liebkosend sprach er: Lieb Knabe bist mein.

O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!

 


Nun schmückt mich die Krone, nun trag ich den Stern.

Das Volk, meine Russen, beglückt ich so gern.

Ich führ sie zur Größe, ich führ sie zum Licht.

Mein väterlich Streben erkennen sie nicht.

Umhüllet von Purpur, nun steh ich allein:

O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!

 


Und endet das Streben, und endet die Pein,

so setzt man dem Kaiser ein Denkmal aus Stein.

Ein Denkmal im Herzen erwirbt er sich kaum;

denn irdische Größe erlischt wie ein Traum.

Doch rufst du, Allgüt´ger: "In Frieden geh ein!

so werd ich beseligt dein Kind wieder sein.

(Ph. Salomon Reger, aus der Oper "Zar und Zimmermann" von Albert Lortzing)

 

Publiziert am: Freitag, 16. April 2021 (828 mal gelesen)
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