Im Tod

 


Der Tod ist nicht der Augenblick der tiefsten Ohnmacht.

Der Tod, der ist der Augenblick der höchsten Macht.

Im Tod geht nicht ein Körper elendig zugrunde.

Er ist der feste Grund für Geist, der neu erstrahlt.

Im Tod hört nicht ein Weg für immer auf.

Im Tod geht ein Weg weiter in die Ewigkeit.

Der Tod ist nur ein Ort, den ich durchschreite

auf einem Weg durch unbegrenzte Weite.

Der Tod ist wichtig als der Zeitpunkt unseres Sieges.

Doch wichtiger noch als der Sieg ist doch der Sieger.

Im Tod werd' ich nicht taub für alle Zeit.

Im Tod beginnt die ZEIT erneut zu sprechen,

erklingt für mich wieder das Weltenwort,

für das mein Ohr verschlossen war - nur kurze Zeit,

verschlossen war durch scheinbar dichte Mauern.

 

Sei doch nicht mitgenommen von des Todes Leid!

Lass dich mitnehmen zu des Toten Freude!

 

 

 

 

Der Augenblick des Gestorben-Seins

 

Die geistige Erfahrung, die der Mensch also macht in der geistigen Welt, indem er durch die Pforte des Todes schreitet, ist: dass abfällt von ihm der physische Leib.

Das ist ein bedeutsames, ein ungeheuer bedeutsames Erleben!

Und zunächst ist von diesem Erlebnis zu sagen, dass es sich ganz gegenteilig verhält in bezug auf den Beginn des geistigen Lebens nach dem Tode, wie sich die Geburt des Menschen verhält zu unserem physischen Leben zwischen Geburt und Tod.

Kein Mensch kann ja mit physischer Erkenntniskraft der Erde hin schauen auf seine Geburt. Die Geburt erlebt der Mensch nicht mit seinen physischen Erkenntniskräften hier auf der Erde. Ebenso wie wir die physische Geburt nicht erleben, wie der Mensch keine Erinnerung hat - diese beginnt erst später - an die Vorgänge seiner Geburt und wie das richtig ist für das Erdenleben und so sein muß, so ist es gegenteilig für das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Denn der Moment, der Augenblick des, ich kann nicht sagen Sterbens, aber des Gestorbenseins, der bleibt als etwas, worauf immer wieder und wiederum hinschauen kann der Mensch in dem ganzen Verlauf des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt. Ebenso wie wir uns im physischen Leben niemals erinnern an die Vorgänge unserer Geburt, ebenso klar haben wir vor uns unsere ganze Lebenszeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hindurch den Moment des Todes, aber von der anderen Seite, von der Seite des geistigen Erlebens, gewissermaßen vom anderen Ufer aus.

Für den Erdenmenschen kann mit einer gewissen Berechtigung der Tod etwas Schreckhaftes haben. Er stellt den Verfall des physischen Erdenmenschen dar. Das gerade Gegenteil ist der Fall, wenn der Mensch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt zurückblickt auf das Gestorbensein: Dann stellt ihm das immerwährend dar den Sieg des Geistes über das Leibliche, dann stellt der Tod das Schönste, das Größte, das Herrlichste, das Erhabenste dar, das im Grunde genommen überhaupt erlebt werden kann.

Und indem der Mensch seine ganze geistige Lebenszeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hindurch auf das Gestorbensein hinzusehen vermag, ist dieser Hinblick auf das Gestorbensein dasjenige, was uns das Bewusstsein gibt nach dem Tode, so dass wir wissen: Wir haben unseren physischen Leib abgelegt. Und dass wir das erfahren, dass wir das immer vor uns haben, das gibt uns unser Selbstbewusstsein nach dem Tode ebenso, wie wir unser Selbstbewusstsein hier in der physischen Welt dadurch erlangen, dass wir unseren physischen Leib haben.

 

(Rudolf Steiner, Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten, S.41f)

Publiziert am: Dienstag, 09. März 2021 (801 mal gelesen)
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