Mit-Gabe


 

Wenn sie ein Kind geboren hat, weiß die Mutter nicht, welchen Weg es gehen wird.

Doch sie weiß, was sie ihm für den Weg mit-geben will.

 


 

An mein Kind

 

Dir will ich meines Liebsten Augen geben

und seiner Seele flammend reines Glüh'n.

Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn

verschlossne Tore aus den Angeln heben.

 

Wirst auszieh'n, das gelobte Glück zu schmieden.

Dein Weg sei frei. Denn aller Weisheit Schluss

bleibt doch zuletzt, dass jedermann hienieden

all seine Fehler selbst begehen muss.

 

Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren,

hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.

Nur eines nimm von dem, was ich erfahren!

Wer du auch seist, nur eines, sei es ganz!

 

Du bist, vergiss es nicht, von jenem Baume,

der ewig zweigte und nie Wurzel schlug.

Der Freiheit Fackel leuchtet uns im Traume.

Bewahr den Tropfen Öl im alten Krug!

 

(Mascha Kaléko, Sei klug und halte dich an Wunder)

 

 

 

Die Gedichte von Mascha Kaléko gehören für mich zu dem Schönsten und Besten, was je in deutscher Sprache geschrieben worden ist.

Der Philosoph Martin Heidegger - zweifellos selbst ein Genie, doch im Dritten Reich auch ein bekennender Nationalsozialist - schrieb an die Dichterin mit russisch-jüdischen und österreichisch-jüdischen Wurzeln:

"Ihr ,Stenogrammheft´ sagt, dass Sie alles wissen, was Sterblichen zu wissen gegeben."

 

Ihr eigener Lebensweg, den natürlich auch ihre Eltern bei ihrer Geburt nicht vorhersehen konnten, führte sie von Chrzanów in Galizien, dem damals österreichischen Teil Polens, über Frankfurt und Marburg nach Berlin, von da als Emigrantin nach New York, von da nach Jerusalem.

Gestorben ist sie bei einem Zwischen-Aufenthalt in Zürich, auf der Rückreise von Deutschland nach Israel, gerade im Begriff, sich eine Zweitwohnung in Berlin zu zu legen, als Wiederauffrischen glücklicher Jugendzeiten, Anknüpfen an "die paar leuchtenden Jahre vor der großen Verdunkelung".

 

Mehrmals hat sie die Heimat in der Welt verloren. Schon 7jährig musste sie flüchten vor drohender Gewalt, und 31jährig vor der sicheren Vernichtung.

Doch war sie deshalb heimatlos?

"Zur Heimat erkor ich mir die Liebe."- vor allem zu ihrem Mann, zu ihrem Sohn.

Als auch diese Heimat wegstarb, die Menschen, die sie liebte, blieb doch noch eine;

die Sprache, die sie liebte, in der mit sanfter Wortgewalt sie Zeitlos-Unvergessenes schuf.

Mit deutscher Sprache blieb sie lebenslang verbunden.

(Selbst in den Jahren nach dem Holocaust, als sie sich weigerte, wieder in Deutschland etwas zu veröffentlichen, schrieb sie in Deutsch, für die Emigranten in den USA.)

Doch weil sie auch an sie gebunden blieb, konnte sie in Ländern, wo man sie nicht sprach, verstand und las, nicht Wurzeln schlagen. 

 

 

 

Wir können uns ja freuen darüber, dass wir das lesen können, was in unserer Muttersprache an Wahrem, Schönem und Guten geschrieben worden ist. Manche Menschen hatten das Glück, neben der Muttersprache eine andere Vatersprache zu haben. Das hatte ich nicht. Ich liebe auch andere Sprachen, die ich ein wenig kenne: Das Englische, das Spanische. Doch ich kann leider deren Worte nur mühsam im Original lesen und überhaupt nichts Eigenes in ihnen schreiben.

Sprachen verbinden eben Menschen mit den Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, und trennen eben - immer noch Fluch des Turmbaus zu Babel -  Menschen von den Menschen, die eine andere sprechen. Leider.

Doch diese Verschiedenartigkeit und Vielfalt der Sprachen hat auch etwas Gutes:

Manches klingt in einer anderen Sprache schöner, manches wird in ihr klarer, und manches kann nur in ihr so gesagt werden.

 

Publiziert am: Dienstag, 02. März 2021 (823 mal gelesen)
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