Proportionen
Die folgenden Zeilen geben dir, lieber Leser, einen kleinen Einblick in meine Werkstatt als Zeilenschreiber.
Wenn du wilst, kannst du einem "Wort-Werker" mal ein bisschen bei der Arbeit zuschauen.
Diese Proportion ergibt sich daraus, dass im Deutschen die Bedeutung eines Verbs oft durch die Vorsilbe „ver“ in negativer Richtung verschoben wird
Mehrere solcher Verschiebungen kann man natürlich zu einer Proportion zusammenfassen:
Es verhält sich:
verbieten zu bieten
wie
versagen zu sagen
verkommen zu kommen
wie
vergehen zu gehen
verfolgen zu folgen
wie
verführen zu führen
Eine ähnliche Bedeutungsverschiebung zum Negativen ergibt sich bei Substantiven manchmal auch durch die Vorsilbe "Ge-" :
Es verhält sich
Wetter zu Ge-witter
wie
Lage zu Ge-lage
Denken zu Ge-danken
wie
Fühlen zu Ge-fühl
(In diesem Fall eine Akzentverschiebung von einem fließenden Vorgang, einem Prozess, zu einem Ergebnis, einem Produkt, einer erstarrten, festen Form)
Eine weitere Quelle für Proportionen bietet sich dadurch, dass man natürlich nicht-reflexive und reflexive Verben nebeneinanderstellen kann.
Mehrere solcher Verbpaare bilden dann natürlich auch eine Proportion:
sich regen zu sich aufregen
wie
sich reiben zu sich aufreiben
sich täuschen zu täuschen
wie
sich ärgern zu ärgern
wie
sich fragen zu fragen
(In allen drei Wortpaaren gibt es ein - wenigstens in der Gestalttherapie fragwürdiges - Zurückbiegen einer nach außen gerichteten Tätigkeit auf sich selbst.)
Als ich außerhalb dieser Gruppen nach weiteren Proportionen suchte, die sich reimten, merkte ich, dass es gar nicht so einfach war, welche zu finden.
Ich habe tagelang den deutschen Wortschatz durchsucht. Meine Ausbeute war mager. Ich habe nur wenige gefunden:
Es verhält sich
Herde zu Rinder
wie
Horde zu Kinder
heil zu Himmel
wie
geil zu Pimmel
ganz nett zu toll
wie
halb leer zu voll
Freier zu Fest
wie
Geier zu Nest
Reiher zu Fuchs
wie
Geier zu Luchs
groß zu Riese
wie
grün zu Wiese
rot zu Mund
wie
bunt zu Hund
schön zu nett
wie
schlank zu nicht fett
Schatz zu Hort
wie
Platz zu Ort
Frau zu fein
wie
Mann zu Schwein
(nicht ganz ernst gemeint)
Ja zu nein
wie
groß zu klein
Frau zu fun
Wie
Mann zu gun
Männer zu Frauen
wie
hauen zu trauen
(leider – und manchmal auch umgekehrt)
Und natürlich sind auch die folgenden Kompositionen Proportionen:
Katzen würden Whiskas kaufen.
Iren würden Whisky saufen.
Wer glaubt,
dass ein Abteilungsleiter eine Abteilung leitet,
der kann auch glauben,
dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet
Frau – oben hart und unten weich
sucht
Mann – oben weich und unten hart.
(Kontaktanzeige in einer Zeitung)
Schließlich fiel mir ein Scherzreim ein:
„Herr von Hagen,
darf ich wagen, Sie zu fragen,
welchen Kragen Sie getragen,
als sie lagen – krank am Magen –
im Spital zu Kopenhagen?“
Diese Zeilen lebten ja von Wörtern, die sich alle auf "-agen" reimen. Könnte man nicht vielleicht aus diesen Reimwörtern Proportionen bilden.
Ich sammelte erst mal in alphabetischer Reihenfolge alle in Frage kommenden Wörter:
Blagen
fragen
Hagen
jagen
klagen
Magen
Nagen
Plagen
ragen
sagen
schlagen
tagen
tragen
versagen
verschlagen
wagen
(ver) zagen
Darin fand ich dann tatsächlich eine Reihe von Proportionen:
Maus zu nagen
wie
Katze zu jagen
schlagen zu Hand
wie
ragen (oder) tragen zu Wand
klagen zu wagen
wie
schweigen zu fragen
(oder)
Klagen zu fragen
wie
ertragen zu wagen
Und aus mehreren Proportionen ergab sich sogar ein sinnreicher Spruch - ( der z.B als Kommentar zum Gedicht "Selbt-Macht ist selber machen" passen würde) :
Statt
nichts zu sagen, still zu klagen, zu ertragen
kannst du
fragen, nicht verzagen, etwas wagen.
Ich versuchte es dann mit einer weiteren Reimreihe:
Bayer
Dreier
Eier
Feier
Flyer
Freier
Geier
Heia
Leier
Meier
Reiher
Schleier
Speyer
Weiher
Diesmal fiel mir nur eine Dreier-Kombination an Proportionen auf:
Reiher zu Weiher
wie
Leier zu Feier
wie
Freier zu Dreier
Daraus entstand dann folgendes Gedicht, das ich jedoch nie veröffentlichen würde, weil es gegen die Regeln des Anstands und guten Geschmacks verstößt:
Es ging ein Bayer namens Meier
mal auf ne Geburtstagsfeier.
Anfangs spielte er als Freier
für eine Maid mit einem Schleier
sanfte Lieder auf der Leier.
Doch dann wurde er zum Geier,
wünschte sich für seine Eier
nur noch einen flotten Dreier,
wollte deshalb in die Heia,
landete jedoch im Weiher
neben nem verdutzten Reiher.
Bei zwei weiteren Reihen sich reimender Wörter habe ich keine passenden Proportionen gefunden.
Wie gesagt - es gibt anscheinend gar nicht so viele. Vielleicht findest du ja welche, lieber Leser?
Jede hat mich aber zu einem kurzen Scherzgedicht angeregt. Vielleicht fällt dir ja noch ein anderes Gedicht ein?
Algier
Bier
Brevier
clear
dir
Emir
frier
Gier
Hier
Kurier
Lear
Mir
Papier
peer
Revier
Saphir
Scharnier
Sire
Spalier
Stier
Tier
Trier
Turnier
Vier
Zier
Ein Mann aus der Nähe von Trier
sagte: „Bevor ich erfrier,
trinke ich noch einmal Bier.“
Ihn packte die Gier,
er verlor jede Zier, soff,
bis die Turmuhr schlug vier.
Er wurde zum Tier,
fühlte sich wie ein Stier,
war nicht mehr ganz hier,
rief: „It’s all clear,
I am king Lear,
You are my peer,
also a Sire,
Was schert mich noch “mir” und noch “dir”.“
Adenauer
Bauer
Brandauer
Brauer
Breslauer
Blauer
Dauer
flauer
flower
grauer
Hauer
Kauer
Kalauer
Klauer
Lauer
Litauer
Mauer
Power
rauher
sauer
Schauer
Schlauer
Spandauer
Tower
Zwickauer
Auf der Mauer liegt ne Ratte
mit viel Power auf der Lauer.
Doch der Bauer, der ist sauer,
denkt: „ Ich krieg dich, mieser Klauer!
Auf die Dauer bin ich schlauer.“
Und er sagt zu seiner Katze:
„Du hast doch ne flinke Tatze!
Pass gut auf, sei wie ein Luchs
und so listig wie ein Fuchs.“
Und er sagt zu seinem Hund:
„Beiß die Ratte in die Kunt,
dass ihr schlägt die letzte Stund!“
Doch die Ratte sieht vom Tower
Hund und Katze mit dem Bauer,
denkt: „Euch stehle ich die Schau.
Ich sag „ciaou“ zu diesem Gau.
haue ab nach Adenau.
Dort ist doch die Luft viel lauer
und der Himmel ist viel blauer,
und die Wolken nicht so grau.
Auch in diesen fremden Auen
finde ich durch mein Know How
was zu fressen, was zu kauen,
muss nicht in die Röhre schauen.
Dies „Wau wau“ und dies „miau“
sind als Laute viel zu rauh.
Ich will nicht warten wie ein Spatz,
darauf, dass ich seh mit Grauen
in die Fratze dieser Katz.
Publiziert am: Donnerstag, 11. Februar 2016 (995 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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