Halten und lassen
Lass alles da sein, was jetzt da sein will!
Halte nichts auf, nichts ab, nichts fern, nichts draußen!
Lass alles so sein, wie es ist!
Erkenne, dass in ihm nichts fehlt!
Erkenne, dass in ihm nichts stört!
Lass einmalig sein, was hier ist, jetzt ist!
Lass es zum ersten und zum letzten Male da sein!
Halte es nicht für etwas, das sich wiederholt!
Halte es nicht für das, was du schon kennst!
Sieh es mit Staunen immer wieder neu als Wunder an!
Lass das, was jetzt ist, alles sein, was ist!
Lass es das Erste und das Letzte sein!
Lass das, was jetzt ist, in sich selber ruh’n!
Halte es nicht verbunden, nicht zusammen,
mit dem, was nicht mehr ist, was noch nicht ist!
Halt’ nicht zusammen das, was nicht zusammen-hängt!
Lass alles da sein, was jetzt ist!
Und lass dich alles sein, was da ist!
Sei ohne Auswahl das, was jetzt geschieht!
Lass es durch dich sich selber wollen, selber lieben!
Lass es in dir sich selber wissen, selber haben!
Liebe alles, was jetzt da ist!
Und lass Lieben alles sein, was ist!
Halte dein Lieben nicht begrenzt!
Halte dir nicht die Türe offen,
manchmal zu lieben, doch nicht immer,
nur dies zu lieben, nicht auch das!
Bleib’ im Lieben, ruh’ im Lieben!
Lass dich Lieben sein, nichts sonst!
Gib dich ihm ganz und nimm es ganz!
Lass es sich ganz dir geben! Halte nichts zurück!
Mache es ganz! Lass es ganz werden!
Lass es so ganz sein, wie es ist! Spalte es nicht!
Lass es das fugen-lose, nachbarn-lose Eine sein.
Halte nichts getrennt in ihm!
Und halte nichts getrennt von ihm!
Lass es wie Pfeile sein, die ewig weiterfliegen!
Halte nicht an, und halte es nicht an!
Lass es sich weiten zum Unendlich-Sein!
Dann lässt du es unendlich wertvoll sein.
Lass es auch wieder geh’n! Schaff’ Platz für Neues!
Halte es nicht am Leben, lass es sterben!
Halte es nicht fest!
Sei wie das Wasser eines Brunnens:
in jedem Augenblick dasselbe Wasser,
in jedem Augenblick das ganze Wasser,
in jedem Augenblick in einer anderen Form,
die es nie vorher jemals gab,
die es auch nachher nie mehr geben wird!
Wasser des Brunnens, lass dich fließen!
Wasser des Brunnens, halt’ dich nicht auf,
halt’ dich nicht an!
Kommentar:
In diesem Gedicht ist noch mal kurz zusammengefasst, wie ich in das Land der Nicht-Zeit komme:
Ohne auf etwas warten zu müssen, ohne dafür Zeit zu brauchen. Ich gehe nicht, ich komme nicht, ich komme nur an, da, wo ich schon bin - sofort, jetzt, in diesem Augenblick.
Und wie ich dann in diesem Land der Nicht-Wege gehe:
Ich gehe gar nicht; ich bin da, wo ich bin; bewege das, was da ist, bewege mich in dem, was da ist; bin bewegende Ruhe und ruhe in Bewegung.
In dieses Land kommen, in diesem Land gehen - es ist dasselbe.
Da, wo die Wege weg-los sind, da ist das Ziel der Weg, der Weg das Ziel.
„Aber, Rudolfo“, wirst du, lieber Leser, mich vielleicht fragen, „kann man denn so leben?“
Nicht immer.
Aber vielleicht für zwei Tage im Urlaub,
für einen Tag am Wochenende,
für eine Stunde nach der Arbeit,
für fünf Minuten in einer Pause auf der Arbeit,
für fünf Sekunden morgens auf dem Weg zum Bäcker.
Es gibt Zeiten, in denen man vergessen kann, dass es Zeit gibt.
Es gibt Zeiten, in denen es keine Zeit geben muss.
Es gibt Zeiten, in denen es keine Zeit gibt.
Vielleicht öfter und länger, als wir meinen. Und vielleicht lohnt es sich, es auszuprobieren.
PS:
Hier steckt natürlich, im Hintergrund verborgen, eine Frage:
Du hast doch gesagt, Rudolfo, dass im Land der Nicht-Zeit alles immer möglich ist. Warum kann man dann nicht immer so leben?
Das ist eine gute Frage.
Freu dich darüber, sie zu haben!
Vielleicht findet dich irgendwann eine Antwort,
vielleicht schon, wenn du die nächsten Seiten liest.
Publiziert am: Sonntag, 22. März 2020 (942 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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