bewusstes Atmen mit achtsamer Wahrnehmung von Unruhe
Wir schließen die Augen, nehmen eine angenehme Haltung ein, lassen alle unnötige Spannung im Körper los.
Und nun beginnen wir, unsere Aufmerksamkeit auf unseren Atem zu richten. Wir nehmen wahr, dass wir jetzt einatmen, wir nehmen wahr, dass wir jetzt ausatmen. Dabei begleiten wir unser Wahrnehmen mit einem kurzen Gedanken. Während wir einatmen, denken wir „ein“, während wir ausatmen, denken wir „aus“.
Dabei versuchen wir nicht, den Atem zu beeinflussen, ihn zu verändern. Wir nehmen ihn einfach wahr, so, wie er ist. So, wie er ist, ist er in Ordnung, er kann so bleiben, wie er ist, ich kann ihn einfach so lassen, wie er ist. Und auch ich selbst kann einfach bei meinem Atem bleiben. Mit jedem Atemzug komme ich zu mir selbst zurück, komme an und komme zur Ruhe, komme nach Hause und kann nun zu Hause bleiben. Ich muß nichts mehr tun, nichts mehr ändern, ich kann einfach da bleiben, wo ich bin, bei meinem Atem.
Wenn ich bemerke, dass andere Gedanken da sind, die mich wieder vom Atmen wegführen, komme ich ruhig, jedoch ohne zu zögern, wieder zum Atem zurück. Ich verfolge die Gedanken einfach nicht weiter, sondern komme sofort, aber ohne Hast zum Atem zurück.
Wenn ich auf diese Weise eine Zeit lang beim Atmen angekommen und zur Ruhe gekommen bin, kann ich anfangen, dem Atem auf seinem Weg durch den Körper zu folgen, ihn die ganze Zeit zu begleiten. Ich nehme wahr, wie der Atem in den Körper einströmt, ich nehme wahr, wie er aus dem Körper ausströmt. So nehme ich nicht nur wahr, dass ich einatme, dass ich ausatme, sondern auch , wie lange ich einatme, wie lange ich ausatme. Ich nehme wahr, wenn ich lang einatme, ich nehme wahr, wenn ich kurz einatme. Ich nehme wahr, wenn ich lang ausatme, ich nehme wahr, wenn ich kurz ausatme. Wenn ich bemerke, dass ich lang einatme, denke ich „lang“, wenn ich bemerke, dass ich lang ausatme, denke ich „tief“.
Dabei versuche ich wiederum nicht, den Atem künstlich länger und tiefer zu machen. Ich bemerke einfach wieder nur, wie der Atem fließt, wie lange der Atem fließt. So, wie er fließt, ist er in Ordnung. Ich muß ihn nicht verändern, nicht absichtlich tiefer und langsamer machen. Ich kann ihn so lassen, wie er ist. Ich nehme ihn nur achtsam wahr. Dieses achtsame Wahrnehmen ist genug. Wenn ich den Atem auf diese Weise annehme, wird er ganz von selbst mit der Zeit länger und tiefer. Ich muß dafür nichts tun. Weil ich ihn so lasse, wie er ist, ihn so annehme, wie er ist, wird er auf ganz natürliche Weise tiefer.
Wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit dem Atem folge, mein Geist die ganze Zeit beim Atem bleibt oder sofort zu ihm zurückkehrt, wird mein Geist immer mehr eins mit dem Atem. Die Trennung zwischen Geist und Atem löst sich immer mehr auf. Während der Geist dem Atem folgt, ist der Geist der Atem und nichts als der Atem. Der Geist betrachtet den Atem nicht mehr von außen, der Atem steht ihm nicht mehr als etwas Anderes, Fremdes, Äußeres gegenüber, sondern der Geist wird immer mehr selbst zum Atem, Geist und Atem werden eins.
Wenn ich eine Zeit lang in dieser Einheit von Atem und Geist gelebt habe, kann ich nun diese Einheit, dieses Ganz-Sein auf den gesamten Körper ausdehnen. Bei jedem Einatmen nehme ich nicht nur das Einströmen des Atems in den Körper, sondern darüber hinaus denn ganzen Körper wahr, den Körper als Ganzes und als Einheit. Bei jedem Ausatmen nehme ich nicht nur das Ausströmen des Atems aus dem Körper wahr, sondern darüber hinaus den ganzen Körper, den Körper als Ganzes und als Einheit. Und das Eins-Sein von Geist und Atem weitet sich so auf den ganzen Körper aus. Die schmerzvolle Trennung zwischen Geist und Körper löst sich immer mehr auf, Geist und Körper werden immer mehr zu einer Einheit,. ich werde immer mehr ganz und heil.
Vielleicht ist es für mich angenehm, auch diese Erfahrung mit einem Gedanken zu begleiten. Ich denke dann bei jedem Einatmen leicht „ein-ganzer Körper“. Bei jedem Ausatmen kann ich vielleicht denken „aus-ganzer Körper“. Ich probiere einfach aus, welche Art der Erfahrung für mich angenehmer ist.
Wenn ich in dieser Einheit von Körper und Geist lebe, immer mehr ganz und heil werde, kommt der Atem ganz von selbst immer mehr zur Ruhe, wird regelmäßiger und harmonischer, fließt gleichmäßiger und sanfter, wie ein Bach, der über feinen Sand in den Ozean rinnt. Und weil Atem und Körper eine Einheit sind, kommt auch der gesamte Körper allmählich zur Ruhe. Alle Unruhe im Körper legt sich, der ganze Körper kommt immer mehr zur Ruhe. Und weil Körper und Geist eine Einheit sind, kommt auch der Geist immer mehr zur Ruhe. Ein Gefühl von Harmonie, von Frieden entsteht, wächst mit jedem Atemzug an, wird mit jedem Atemzug tiefer.
Vielleicht gefällt es mir, auch diese Erfahrung mit einem Gedanken zu begleiten. Ich denke dann bei jedem Einatmen leicht „einatmend Ruhe“. Bei jedem Ausatmen kann ich vielleicht denken „ausatmend Frieden“. Ich probiere einfach aus, ob meine Erfahrung angenehmer ist, wenn sie von einem Gedanken begleitet wird, oder ob sie ohne eine solche Begleitung angenehmer ist.
Und in diesem Frieden des bewussten Atmens sicher verankert, in der Einheit von Körper und Geist sicher ruhend, wende ich mich jetzt der Anspannung oder Unruhe zu, die vielleicht irgendwo im Körper noch übriggeblieben ist.
Während ich bewusst einatme, nehme ich wahr, in welchen Teilen des Körpers ich diese Anspannung oder Unruhe spüre.
Während ich bewußt ausatme, nehme ich wahr, dass diese Unruhe oder Anspannung eingebettet ist in die Ruhe und den Frieden der Achtsamkeit
Während ich bewußt einatme, weiß ich. „in mir ist noch Unruhe“
Während ich bewusst ausatme, weiß ich „in mir ist vor allem Ruhe und Frieden“
Einatmend nehme ich die Unruhe oder Anspannung wahr
Ausatmend weiß ich, dass die Unruhe unwichtig ist, eine kleine unbedeutende Insel im Ozean der Ruhe und des Friedens.
Einatmend weiß ich: die Unruhe ist noch da.
Ausatmend weiß ich, dass die Unruhe nicht für immer bleiben kann
Einatmend spüre ich die Unruhe
Ausatmend weiß ich , dass dieser Zustand entstanden ist und deshalb auch vergehen wird
Einatmend nehme ich die Unruhe oder Anspannung wahr
Ausatmend wende ich mich dieser Körperwahrnehmung liebevoll, wohlwollend und fürsorglich zu.
Einatmend nehme ich die Unruhe wahr
Ausatmend kümmere ich mich um die Unruhe wie eine Mutter um ihr aufgeregtes Kind
Einatmend weiß ich „in mir ist noch Unruhe“
Ausatmend umarme ich diese Unruhe mit Zuneigung und Fürsorge
Einatmend nehme ich die Unruhe wahr
Ausatmend lasse ich diese Unruhe zur Ruhe kommen im Frieden der Achtsamkeit
Wenn mit jedem Atemzug Körper und Geist immer mehr zur Ruhe kommen, ein Gefühl von Ganz-Sein, Harmonie und Frieden mit jedem Atemzug tiefer wird, entsteht aus diesem Frieden ganz von selbst ein Gefühl der Freude. Es ist die Freude, nach einer langen beschwerlichen Reise endlich nach Hause zu kommen. Diese Freude wächst mit jedem Atemzug, vertieft sich mit jedem Atemzug. Und diese Freude dehnt sich über den ganzen Körper aus, durchdringt den ganzen Körper, breitet sich über den gesamten Körper aus
Vielleicht gefällt es mir wieder, diese Erfahrung mit einem Gedanken zu begleiten. Ich denke dann bei jedem Einatmen einfach „einatmend Freude“. Bei jedem Ausatmen denke ich vielleicht „ausatmend Freude“ Ich probiere einfach aus, ob mir die Erfahrung mit oder ohne eine solche Begleitung besser gefällt.
Wenn die Freude mit jedem Atemzug tiefer wird, verwandelt sich ganz von selbst die Freude, nach Hause zu kommen, in das Glück, zu Hause zu sein. Die Aufregung und Unruhe, die noch im Ankommen liegt, verwandelt sich in die noch tiefere Ruhe , zu Hause zu sein. Ich bin jetzt einfach nur noch da, bin zu Hause, in Sicherheit, im Frieden, im Einklang, eins und ganz .Ich bin.. Ich bin.
Und auch dieses Glück, einfach nur noch zu sein, dehnt sich über den ganzen Körper aus, durchdringt den ganzen Körper, breitet sich über den ganzen Körper aus.
Vielleicht gefällt es mir wieder, diese Erfahrung mit einem Gedanken zu begleiten. Ich denke dann bei jedem Einatmen einfach „einatmend Glück“. Bei jedem Ausatmen denke ich leicht„ausatmend Glück“ Ich probiere wieder einfach aus, ob mir die Erfahrung mit oder ohne eine solche Begleitung besser gefällt.
Und vielleicht kann ich eine kleine Geste finden, eine kleine Bewegung, eine Haltung,
die überall möglich ist
mit der ich diese Erfahrung verbinden kann
durch die ich überall und immer mit dieser Erfahrung verbunden bleiben kann
Und ich weiß nun,
dass ich mit dieser Erfahrung immer und überall irgendwie verbunden bin,
verbunden bleibe und mich wieder verbinden kann.
Ich kann immer und überall wieder Kontakt zu ihr aufnehmen
Sie ist immer erreichbar für mich, wartet auf mich
Als ein innerer Ort der Sicherheit und des Friedens
Und mit diesem Wissen, dass ich jederzeit zurückkommen kann, entscheide ich mich nun, in die Außenwelt zurückzukehren, in diesen Raum, in dem ich mich befinde, in diese Umgebung, diese Umwelt, mit der ich in diesem Augenblick verbunden bin. Und ich entscheide mich dafür, so viel wie möglich von diesem sicheren Ort des Friedens und des Glücks mitzunehmen, wenn ich mich wieder zur Außenwelt öffne. Ich öffne mich ganz und vollständig, mit ganzem Herzen, halte nichts zurück, richte meine Aufmerksamkeit wieder ganz und rückhaltlos nach außen, und gleichzeitig bleibe ich im Frieden und Glück des bewussten Atmens. Während ich wieder meine Umgebung wahrnehme, bleibe ich mir bewusst, dass ich einatme, wie lange ich einatme, bin mir dabei meines gesamten Körpers bewusst. Und während ich wieder meine Aufmerksamkeit nach außen richte, bleibe ich mir bewusst, dass ich ausatme, wie lange ich ausatme, bin mir meines gesamten Körpers bewusst. Und diese bewusste Wahrnehmung des Atems und des gesamten Körpers halte ich auch aufrecht, wenn ich gleich aufstehe, mich bewege, in die Aktivität zurückkehre. Meine Aufmerksamkeit bleibt beim Einatmen verankert, bleibt beim Ausatmen verankert, auch wenn ich mich wieder der Außenwelt zuwende, ihre Schönheiten wahrnehme und genieße, sie aktiv als meinen Lebensraum gestalte.
Diese doppelte Aufmerksamkeit, die an einem bestimmten Ort verankert ist und dabei gleichzeitig offen in alle Richtungen ist, wird sehr schön in einer Geschichte verdeutlicht, die Paulo Coelho in seinem Buch „Der Alchimist“ erzählt:
Eines Tages schickte ein Geschäftsmann seinen Sohn zu dem größten Weisen weit und breit, um ihm das Geheimnis des Glücks beizubringen. Der Jüngling wanderte vierzig Tage durch die Wüste, bis er schließlich an ein prachtvolles Schloß kam, das oben auf einem Berg lag. Dort wohnte der Weise, den er aufsuchen sollte. Anstatt nun einen Heiligen vorzufinden, kam der Jüngling in einen Raum, in welchem große Betriebsamkeit herrschte; Händler kamen und gingen, Leute standen in den Ecken und unterhielten sich, eine kleine Musikkapelle spielte leichte Melodien, und es gab eine festliche Tafel mit allen Köstlichkeiten dieser Gegend. Der Weise unterhielt sich mit jedem einzelnen, und der Jüngling mußte zwei volle Stunden warten, bis er an der Reihe war.
Der Weise hörte sich aufmerksam seine Geschichte an, sagte jedoch, er habe im Moment keine Zeit, ihm das Geheimnis des Glücks zu erklären. Er empfahl ihm, sich im Palast umzusehen und in zwei Stunden wiederzukommen..
„Aber ich möchte dich um einen Gefallen bitten“, fügte der Weise hinzu und überreichte dem Jüngling einen Teelöffel, auf den er zwei Öltropfen träufelte. „Während du dich hier umsiehst, halte den Löffel, ohne dabei das Öl auszuschütten“.
Der Jüngling stieg treppauf und treppab, ohne den Blick von dem Löffel zu lösen. Nach zwei Stunden erschien er wieder vor dem Weisen.
„Na“, fragte dieser, „hast du die kostbaren Perserteppiche in meinem Eßzimmer gesehen? Und den prachtvollen Park, den der Gärtnermeister innerhalb von zehn Jahren anlegte ? Und die schönen Pergamentrollen in meiner Bibliothek?“
Beschämt mußte der junge Mann zugehen, daß er nichts von alledem gesehen hatte, weil seine ganze Aufmerksamkeit dem Teelöffel mit dem Öl gegolten hatte, das ihm an vertraut worden war.
„Also, dann zieh noch einmal los und schau dir all die Herrlichkeiten meiner Welt genau an“, sagte der Weise. „Man kann einem Menschen nicht trauen, bevor man sein Haus nicht kennt.“
Nun schon etwas ruhiger, nahm er wieder den Löffel und machte sich erneut auf den Weg, doch diesmal achtete er auf all die Prachtgegenstände, die an den Wänden und an der Decke hingen. Er sah den Park, die Berge ringsherum, die Vielfalt der Blumen, die Vollendung, mit der jeder Kunstgegenstand am richtigen Ort eingefügt war. Zurück beim Weisen schilderte er ausführlich, was er alles gesehen hatte.
„Aber wo sind die beiden Öltropfen, die ich dir anvertraute?“ bemerkte der Weise.
Als er auf den Löffel blickte, mußte der Jüngling entsetzt feststellen, daß er sie verschüttet hatte.
„Also, dies ist der einzige Rat, den ich dir geben kann“, sagte der Weiseste der Weisen. „Das Geheimnis des Glücks besteht darin, alle Herrlichkeiten dieser Welt zu schauen, ohne darüber die beiden Öltropfen auf dem Löffel zu vergessen.“
(Paulo Coelho, Der Alchimist, S.37-39)
Publiziert am: Sonntag, 07. Februar 2016 (1188 mal gelesen)
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