"und" statt "aber

Du hast, lieber Leser, vielleicht auch bemerkt, dass an manchen Stellen ein „und“ steht, wo du eigentlich ein „aber“ erwartet hast. Ich bin dabei ( und auch dabei gibt es Ausnahmen) der Regel der Gestalttherapie gefolgt, ein „aber“ immer in ein „und“ zu verwandeln. In der Wirklichkeit gibt es keine Gegensätze. Vielfältige Erscheinungen stehen einfach nebeneinander. Erst das Sich-Vorstellen (nicht das Denken, wenn es sich von der Tyrannei der Worte befreit) konstruiert, was zusammen passt und sich widerspricht, Übereinstimmungen und Gegensätze. Erst Worte, Vorstellungen spalten die Wirklichkeit in sich widersprechende Gegensätze. Alles, was man sich vorstellt, ist einseitig, muss einseitig sein, da die Wirklichkeit durch eine einzige Vorstellung nicht erfasst werden kann, sondern nur durch das Zusammenfügen unterschiedlicher, scheinbar gegensätzlicher, in Wirklichkeit aber sich zur Wirklichkeit ergänzender Vorstellungen. Wenn wir uns etwas als Wirklichkeit vorstellen, stellen wir uns (wegen der Einseitigkeit aller Vorstellungen) etwas vor die Wirklichkeit.                                                                       

 „Von allem, was mit Worten gesagt werden kann, ist auch das Gegenteil wahr.“  (Hermann Hesse):

 

 

Meine Haut verbindet mich mit der Außenwelt

und trennt mich von ihr.
 

Ein Fluss trennt etwas auf dem Land

und verbindet etwas auf dem Wasser.
 

Ein Fenstergitter, das verhindert, dass ein Einbrecher ins Haus rein kommt,

verhindert auch, dass ich bei einem Brand aus dem Haus raus komme.

 

Eine Mauer, die dafür sorgt, dass ich von außen nicht gesehen werden kann,

sorgt auch dafür, dass ich nicht nach außen sehen kann.
 

Ein Kreis ist sowohl die äußere Grenzlinie der Fläche, die innen liegt,

als auch die innere Grenzlinie der Fläche, die außen liegt.
 

Die Welt ist in meinem Kopf

und  mein Kopf ist in der Welt.

 

Ich bin ein Ganzes, das Teile enthält,                              

und ein Teil, den ein Ganzes enthält.
 

Ich bin von Anderen getrennt

und  bin mit anderen verbunden.
 

Wenn ich einen anderen angreife,

greife ich auch mich selber an.

Wenn ich einen Anderen verurteile,                    

verurteile ich auch mich selbst.


„Wenn die Rose selbst sich schmückt, 

schmückt sie auch den Garten.“ (Rudolf  Steiner)

 

„Nichts ist innen, nichts ist außen,

denn was drinnen, ist auch draußen.“ (Goethe)

 

Ein Glas, das halb voll ist,

ist auch halb leer.
 

Leben ist Fragen und Antworten,

ist ein Fragen ohne Antwort

und ein Antworten ohne Frage. 

Und natürlich ist Leben auch Fragen mit Antworten

und Antworten auf Fragen.
 

Die Wirklichkeit ist Sein ohne Zeit 

und Werden in der Zeit.
 

Die Gegenwart ist Ende des Vergangenen 

und Beginn des Zukünftigen, 

ist Sterben und Geburt zugleich.
 

Wenn eine Tür zu geht,

geht eine andere auf.

Und: Wenn eine Tür auf geht,

geht eine andere zu.


 

Der Weg ist das Ziel.

Und: Das Ziel ist der Weg.

Das Ziel ist der Weg,

auf dem der Weg zum Ziel wird.

(Der Zweck ist das Mittel,                                                

 durch das das Mittel zum Zweck wird.)
 

Ich kann nur behalten,

was ich loslassen kann.
 

Ich kann nur verwandeln (nicht verändern!),

was ich annehmen kann.
 

Wählen-Können ist auch Wählen-Müssen.



 

Ich habe mich bemüht, das, was Worte künstlich, verfälschend trennen, wieder zusammen zu fügen, die ursprüngliche Einheit der Realität wieder herzustellen.

Nach dem Prinzip der Pythagoräer:
 

Teile das Ganze,

doch teile es so, 

dass das Ganze erhalten bleibt!

 

Trenne die ganze Wirklichkeit in Gegensätze!

Und füge die Gegensätze  wieder zur ganzen Wirklichkeit zusammen!

 

Die Wirklichkeit ist paradox.
Nur in einer Paradoxie erfassen wir die Wirklichkeit, nähern uns wenigstens der Wirklichkeit an.
In der Paradoxie lösen sich die scheinbaren Gegensätze und Widersprüche auf, das scheinbar getrennte Zwei-Fache wird ver-eint, die Zwei fällt in eins zusammen.
Bei Nikolaus von Kues ist dieses Zusammenfallen der Gegensätze, die coincidentia oppositorum, ein wesentliches Merkmal Gottes.

 

Und wie schön drückt diesen Aspekt der Wahrheit  Rumi im Matnawi aus:
 

Alles wird durch sein Gegenteil erkannt.                       

Gott hat kein Gegenteil.                                              

Deshalb kann er nicht erkannt werden.

 

 

 

 

 

 

 

PS:

Manchmal habe ich auch absichtlich Brechtsche Verfremdungen gewählt, indem ich ein „erhabenes“ Gedicht abrupt mit einem Scherz enden lasse.

Schon Napoleon war der Meinung:  „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt.“

Meine Gedichte sind der Beweis dafür, dass das stimmt: Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur eine Zeile.

Vielleicjht hat Voltaire ja Recht: "Gott ist ein Komödiant, der vor einem Publikum spielt, das sich nicht zu lachen traut."

(oder in eigenen Worten: "Gott ist ein Clown, der Späße macht. Doch keiner wagt, zu lachen.")

 

Das Erhabene und das Banale, Triviale, Alltägliche  sind kein Gegensatz.

Sie gehören zusammen,  bilden zusammen die eine Wirklichkeit.

Auch hier gibt es ein „und“, kein „aber“.

Es kommt darauf an,  auch im Trivialen das Erhabene zu finden                      

(und vielleicht auch das Erhabene trivial zu finden).

„Es kommt darauf an, im Kleinen das Große zu finden und im Großen das Lächerliche.“   (Dieter Nuhr)
 

Es gibt auch hier ein „indem“,  das „Indem“ der Paradoxie.

 

 

Publiziert am: Sonntag, 10. Februar 2019 (713 mal gelesen)
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