Sabbat I



Hartmut war im Herbst in Israel gewesen, mit einer kleinen Reisegruppe, geführt von einem rüstigen Veteran der Kirche, der sich und die Gruppe wie eine Kreuzung von Antilope und Gemse über die Straßen und durch die Schluchten des heiligen Landes jagte. Er hatte den idyllischen See Genezareth gesehen, war auf demselben steinigen Bergpfad zum Arbel-Pass gelaufen, auf dem auch Jesus von Nazareth gegangen sein musste, wenn er seine Familie in seiner Heimatstadt besuchte. Er hatte Masada gesehen, die letzte Fluchtburg der Juden im Krieg gegen die Römer, gelegen in einer großartigen Wüstenlandschaft auf einem vereinzelten Tafelberg - wie eine Insel hoch über dem Toten Meer. Und er hatte zum Schluss einige Tage in Jerusalem verbracht, in der die Heiligtümer dreier Weltreligionen, der Felsendom, die sogenannte Klagemauer und die Grab- und Auferstehungskirche so dicht nebeneinander liegen. Diese Israelreise hatte auf Hartmut stärker und länger nachgewirkt als andere Urlaube, und eine dieser Nachwirkungen war eine bestimmte Inspiration, eine Idee zu einem Experiment  der Lebensgestaltung.

         Hartmut war in Israel selber kaum mit den praktischen Auswirkungen des jüdischen Sabbatgebots konfrontiert worden. Der Reisebus fuhr auch am Sabbat, er war auch nicht von strenggläubigen Juden wegen dieser Entheiligung des Sabbats  mit Steinen beworfen worden - wie es Taxis und Privatautos in Mea Shearim, dem orthodoxen Viertel Jerusalems, schon passiert war. Er hatte auch nicht vergeblich versucht, am Sabbat den Zug oder einen öffentlichen Bus zu benutzen, die am Sabbat nicht fuhren. Er war auch nicht in eine Demonstration dafür oder dagegen geraten, dass ein  Parkhaus auch am Sabbat geöffnet hatte; die Gruppe lief auch am Sabbat genauso herum, aß und trank dasselbe wie an anderen Wochentagen. Einmal, in einer kleinen Stadt in der Negev-Wüste, hatte ihr mit dem israelischen Alltagsleben gut vertrauter Reiseleiter sie auf eine Reihe von Stangen aufmerksam gemacht, die in unterschiedlicher Entfernung links von der Straße in den Boden gesteckt waren. Auf die Frage, was diese Stangen wohl bedeuteten, fiel einem Witzbold nur ein, das seien die Stangen, die bei Schneeverwehungen noch den Verlauf der Straße markieren sollten (was in einer Wüste nicht sehr wahrscheinlich war). Es stellte sich dann heraus, dass diese Stangen die Wegstrecke absteckten, die man sich als orthodoxer Jude am Sabbat vom Haus entfernen durfte.

         Das volle Ausmaß, mit dem die Sabbatverbote fast jede Kleinigkeit des Alltagslebens regelten, hatte Hartmut erst nach seiner Rückkehr aus Israel verstanden, besonders aus einem historischen Roman, den Hartmut als Nachbereitung der Reise gelesen hatte (James Michener, Die Quelle).

Vorher hatte Hartmut nur eine sehr unklare, vage Vorstellung vom Sabbat gehabt. Er wusste nur, dass das Ruhegebot und Arbeitsverbot am Sabbat auf die Schöpfungsgeschichte zurückgeführt wurde, darauf, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen und dann am siebten Tag geruht hatte.

 

 

Ich melde mich an dieser Stelle mal wieder selber zu Wort, weil ich dir, liebe Leserin, unterstelle - ich hoffe, zu Unrecht -, dass deine Vertrautheit mit dem Alten Testament genauso eingeschränkt ist wie die Hartmuts. Deshalb zitiere ich die Stelle aus der Schöpfungsgeschichte (Genesis 2, 2-3) im Original:
 

„Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte,

und er ruhte am siebten Tag,

nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte.

Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig;

Denn an ihm ruhte Gott,

nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte.“

 

Ich habe diese Übersetzung im Internet gefunden, in dem Wikipedia-Artikel zum Stichwort Sabbat, der sehr klar und umfassend informiert und den ich deshalb dem Leser, der sich näher mit dem Sabbat befassen möchte, durchaus empfehlen kann. Ich fand sie im Zusammenhang mit Hartmuts Experiment besonders geeignet, weil sie durch mehrfache Wiederholung der unterstrichenen Wörter das Ankommen und zur Ruhe-Kommen in der Vollkommenheit betont, das uns später wiederbegegnen wird.

 

Version 1:

Ich übergehe hier, weil ich deine Geduld, liebe Leserin, nicht überstrapazieren will, was Hartmut vorher nicht wusste:

Dass das Sabbatgebot innerhalb der 10 Gebote einen ganz wichtigen Platz einnimmt, als 4. Gebot sofort nach den drei ersten Geboten, die die Beziehung zu Gott selber regeln, also noch vor den Geboten zur Achtung der Eltern und den Verboten des Tötens, des Ehebruchs, des Stehlens etc.

Wenn du feststellst, lieber Leser,  dass du auch nicht weißt, was da genau steht, und es bei diesem Nicht-Wissen nicht belassen willst, kannst du ja die entsprechenden Bibelstellen im 2.Buch Moses 20, 1-17 und im 5. Buch Moses, 6-21 selbst nachlesen

Vielleicht wird dir dann klar werden, wie für die damalige Zeit einzigartig fortschrittlich dieses Gebot darauf abzielt, sozial benachteiligte bis rechtlose Menschen und die Haustiere vor Ausnützung und Ausbeutung zu schützen.

Aber ich will nun lieber wieder Hartmut selbst erzählen lassen, was er bei der näheren Beschäftigung mit dem Sabbat weiter erfuhr und wie das schließlich zu seinem eigenen Experiment führte.

 

Version 2

Hartmut wusste vor seiner Israelreise gar nicht, dass das Gebot, am Sabbat zu ruhen und das Verbot, an ihm zu arbeiten, so wichtig war, dass es in den 10 Geboten auftaucht, die Moses am Berg Sinai von Gott selber für sein auserwähltes Volk erhalten hatte, und dass es sogar  innerhalb der 10 Gebote einen sehr wichtigen Platz einnimmt, als 4. Gebot sofort nach den drei ersten Geboten steht, die die Beziehung zu Gott selber regeln, also noch vor den Geboten zur Achtung der Eltern und den Verboten des Tötens, des Ehebruchs, des Stehlens etc.

Er wusste auch nicht, dass die 10 Gebote in der Bibel in zwei verschiedenen Fassungen in zwei verschiedenen Büchern des Alten Testaments auftauchen, dem. 2.Buch Moses(Exodus)  und dem 5. (Deuteronomium).

Und natürlich kannte er den genauen Wortlaut nicht. Und weil ich nicht ausschließen kann, dass du, lieber Leser, diese eingeschränkte Bibelkenntnis mit Hartmut teilst und dir das eigene Nachschlagen ersparen will, füge ich im Folgenden beide Stellen an:
 

 „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tag. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn." (Exodus 20, 8-10)
 

„Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligest, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du. Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland  warst und der HERR, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der HERR, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.“

(Deuteronomium 5, 12-15)
 

(Vielleicht hast du bemerkt, lieber Leser , wie – besonders in der deuteronomischen Fassung -  für die damalige Zeit einzigartig fortschrittlich dieses Gebot darauf abzielt, sozial benachteiligte bis rechtlose Menschen und die Haustiere vor Ausnützung und Ausbeutung zu schützen. Auch auf diesen Aspekt werden wir später wieder zurückkommen.)

 

Schon vorher hatte Gott, der HERR, selbst seinem auserwählten Volk gezeigt, was er unter der Heiligung des Sabbats verstand, und selber dafür gesorgt, dass er eingehalten wurde:

Während der 40jährigen Wüstenwanderung der Israeliten sorgte er an sechs Tagen der Woche dafür, dass Brot auf dem Boden lag, das sein Volk sammeln konnte, jeder so viel, wie er brauchte und nicht mehr; denn das Brot konnte nicht bis zum nächsten Morgen aufbewahrt werden. Es enthielt dann viele Würmer und stank. Am sechsten Tag gab es die doppelte Menge Brot mit dem Auftrag, die Hälfte davon doch bis zum nächsten Tag aufzubewahren, weil es am 7. Tag kein Brot geben werde, nichts gesammelt werden könnte und müsste. Und es stellte sich heraus, dass dieses Brot auch am Morgen des siebten Tages noch essbar war und gut schmeckte. (Exodus 16, 4-30)

Gott ernährt die Israeliten wie Adam und Eva im Paradies.

 

Der Sabbat ist also einerseits die Rückkehr in einen paradiesischen Urzustand. Andererseits ist er aber auch die Vorwegnahme der Endzeit, nachdem der Messias die Welt erlöst hat. Der Sabbat ist also eine Zeit, in der Anfang und Ende sich begegnen, die Urschlange, die sich selber in den Schwanz beißt. Vergangenheit und Zukunft, die Gegensätze der Zeit, treffen sich, fallen zusammen und werden aufgehoben (in der dreifachen Bedeutung dieses Wortes) im Dritten, der Gegenwart.

 

Publiziert am: Dienstag, 22. Januar 2019 (1175 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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