Gedanken bekämpfen

Was zwar geht, aber nur schlecht und zu einem hohen Preis

 

Nun könntest du ja auf folgende naheliegenden Gedanken kommen: Nun gut, wenn ich schon nicht verhindern konnte, dass diese Gedanken, die ich im Moment hier gar nicht gebrauchen kann, in mein Bewusstsein eindringen, dann kann ich sie ja wenigstens möglichst schnell wieder loswerden.

Das geht zwar, aber nur schlecht und zu einem hohen, meistens zu hohen Preis. Um das zu veranschaulichen, erzähle ich dir mal eine Geschichte:
 

 

Der Penner auf der Party

 

Stelle dir, lieber Leser, mal vor, du gibst im Sommer eine große Party. Der Garten ist überall mit Lampions geschmückt, im Haus hast du schön dekoriert, neben vielen anderen Gästen ist auch der Bundespräsident als Ehrengast eingeladen. Als alles fertig ist und der Bundespräsident auch schon mit der Staatskarosse vorfährt, sagt dir deine Freundin, die das Fest mit dir zusammen vorbereitet hat: „Hör mal, da hat sich ein Penner in den Garten eingeschlichen, hat sich eine Flasche Bier geschnappt und sitzt jetzt damit unter der großen Eiche.“ Jetzt kannst du natürlich versuchen, den Penner los zu werden. Du versuchst vielleicht zuerst, ihn zu überzeugen bzw zu überreden, den Garten zu verlassen, was aber vergeblich ist, weil du versuchst, jemanden in Bewegung zu bringen, der sich ja gar nicht bewegen will. Schließlich gehst du dazu über, ihm mit der Polizei zu drohen, was endlich dazu führt, dass er murrend der Gewalt weicht, um nach kurzer Zeit wieder über die Gartenmauer zu klettern, sich eine neue Flasche Bier zu schnappen und sich unter den nächsten Baum zu setzen.

Während dieser ganzen Zeit sind alle Partygäste, angelockt von dem spannenden Geschehen, um den Penner und dich zusammengeströmt, haben einen Pulk um dich gebildet; alle sind zunehmend aufgeregt, angespannt, verärgert; die fröhliche, heiter-unbeschwerte Stimmung, die du dir erhofft hattest, ist gestört. Während des Zwischenfalls ist der Bundespräsident eingetroffen. Du wolltest ihn eigentlich sofort mit einem Gläschen Sekt begrüßen. Statt dessen schlägst du dich jetzt mit dem Penner herum. Der Bundespräsident ist verunsichert, weiß nicht, was er tun soll, fährt nach einer halben Stunde wieder zur Enttäuschung vieler anderer Partygäste ab, ohne dass du überhaupt mit ihm sprechen konntest.

Einfacher wäre es, gelassen auf den Eindringling zuzugehen und ihm zu sagen: „Weißt du was. Du bist jetzt nun mal da. Versprich mir, dass du keinen Ärger machst, dann kannst du auch da bleiben. Eine Pulle Bier hast du dir ja schon geschnappt. Bleib hier ruhig sitzen, trink deine Flasche Bier aus, nimm dir von mir aus auch noch eine zweite! Und dann gehst du einfach wieder genauso unauffällig, wie du gekommen bist.“ Das wird der Penner wahrscheinlich auch tun, der ganze Vorfall wird von den meisten Ihrer Gäste gar nicht bemerkt, du kannst dich sofort um den Bundespräsident kümmern, und es entwickelt sich ungestört eine tolle Stimmung, an die sich alle noch lange zurückerinnern.




 

Die Gedanken, die sich selbst in mir denken, sind nicht mein Kern. Der Kern meines Ichs ist das Denken. Doch sie gehören doch zu mir, an der Peripherie. Wenn ich sie bekämpfen will, fange ich einen Bürgerkrieg an, einen Krieg mit mir selber, bei dem ich nur verlieren kann. Es ist so, als ob ich Armbeugen mit mir selbst mache. Keine Seite kann den Kampf gewinnen, denn beide Seiten bin ja ich. Ich strenge mich ( auf beiden Seiten) nur sinnlos an. Wenn der Kampf endlich aufhört, weil ich einen Krampf im Arm habe, habe ich keine Kraft mehr, etwas Sinnvolles zu tun.









Dass der Versuch, die lästigen und belastenden Gedanken mit aller Gewalt los zu werden, ein krampfhaftes Bemühen ist, das einen viel zu hohen Preis hat, verdeutlicht auch folgende Geschichte:
 

Filmgeschichte

 

Stell' dir mal vor, du bist ein Regisseur und hast vor 2 Jahren einen Film gedreht: einen Science Fiction-Film, Horrorfilm, in dem Außerirdische die Erde angreifen und vernichten. Damals fandst du deinen Streifen großartig, hieltest ihn für ein Meisterwerk der Filmkunst. Ein Jahr später allerdings hat sich deine Ansicht darüber, was ein guter Film ist, grundlegend geändert. Du siehst ihn dir noch einmal an und bist entsetzt. Der Film ist ja furchtbar schlecht; niemand darf ihn je zu sehen bekommen. Und wieder ein Jahr später sitzt du zu Hause vor deiner Monitoranlage – du interessierst dich auch privat für Filme und Fernsehen, drückst auf den Knopf für den WDR, und was siehst du: da läuft dein „grottenschlechter“ Film.

In dieser Situation kannst du einen schwerwiegenden Fehler machen:

Er würde darin bestehen, ganz aufgeregt den dir persönlich bekannten Intendanten des WDR anzurufen und etwa Folgendes zu sagen: „Egon, das kannst du doch nicht machen! Du kannst doch nicht unseren schrecklichen Film senden. Lass dir irgendetwas einfallen: eine Sendestörung oder bei euch ist der Strom ausgefallen. Jedenfalls darf der Film nicht weiter ausgestrahlt werden.“

Und Egon würde darauf vermutlich antworten: „Wie stellst du dir das vor? Vor zwei Jahren warst du von deinem Film völlig überzeugt und hast ihn uns geradezu aufgedrängt, und jetzt soll er plötzlich miserabel sein. Wir haben ihn dir damals für viel Geld abgekauft; und das tut mir auch nicht leid. Er ist ja wirklich ein toller Film. Jetzt gehört er uns, und wir bestimmen, ob, wann und wie oft er gesendet wird. Er steht jetzt in allen Programmzeitschriften, wird in den nächsten 2 Wochen noch drei mal gesendet. Außerdem haben wir da so eine Lückenbüßerliste mit "Publikumslieblingen". Wenn bei uns wirklich mal was schief läuft, schieben wir etwas von dieser Liste ein, und dein Film steht auch auf dieser Liste. Und vor allem – auch das hast du damals ausdrücklich so gewollt, haben wir deinen Film allen Sendeanstalten weltweit zur Verfügung gestellt. Du musst also damit rechnen, dass dein Film unvorhersehbar und unberechenbar immer mal wieder gesendet wird, vielleicht in einem halben Jahr in China, in einem Jahr in Uruguay, in 3 Jahren in Madagaskar. Damit musst du jetzt einfach leben.“

Du würdest an diesem Fehler festhalten und ihn immer wiederholen, wenn du jetzt jedes Mal, wenn dein Film, der ja nicht mehr dein Film ist, wieder im WDR gesendet wird, wieder Egon anrufst und jammerst:

„Egon, wie lange soll ich das denn noch ertragen? Drei mal ist mein schrecklicher Film jetzt schon wieder gesendet worden. Kannst du denn da wirklich nichts tun?“ und Egon wird bei jedem Anruf immer wieder sagen, dass er da nichts machen kann, auch gar nichts machen will.

Noch schlimmer wäre es, wenn du so fixiert darauf bist, zu verhindern, dass dein Film irgendwo gesendet wird, dass du dir alle Fernsehzeitschriften weltweit besorgst und jetzt den ganzen Tag nichts anderes tust - zu was Anderem kommst du auch gar nicht mehr -, als alle diese Programmzeitschriften danach abzusuchen, ob irgendwo dein Film gesendet wird. Du hast extra drei Jahre lang Spanisch gelernt, damit du auch die Fernsehzeitschriften aus Lateinamerika lesen kannst, um gegebenenfalls, wenn du einen Titel entdeckst, der auf Spanisch dein Film sein könnte, sofort den Intendanten in Uruguay anzurufen. Du würdest krampfhaft etwas versuchen, was keinen Erfolg hat, was deine ganze Zeit in Anspruch nimmt, so dass du das, was sich lohnt und was erreichbar ist in deinem Leben, versäumst. Und du gehst auf eine Endlosstraße, auf der du nie ankommen wirst. Denn spätestens bei den chinesischen Programmzeitschriften kommst du erst mal nicht weiter. Du musst nämlich erst mal fünf Jahre lang Chinesisch lernen, um sie lesen zu können. Und wenn du das geschafft hast, stehst du bei den japanischen Zeitschriften vor dem selben Problem.




Dass es völlig sinnlos ist, die automatischen Gedanken zu bekämpfen, hat noch einen weiteren Grund:

Jedes Bekämpfen, jedes Kontrollieren gibt den Gedanken zusätzliche Bedeutung und Macht.

Publiziert am: Mittwoch, 10. Januar 2018 (1209 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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