Einfach machen - alte Fassung

 

 

Es war einmal ein Löwe, der lebte im Wald. In diesem Wald gab es auch ein Wasserloch mit wunderbar frischem Wasser. Das war der Lieblingsplatz des Löwen; hier lag er besonders gern. Da in diesem Wald immer Wind wehte, war das Wasser immer in Wellen, und nie spiegelte sich etwas in diesem Wasser.

Eines Tages ging der Löwe auf die Suche nach Beute. Weil ihn das Jagdfieber packte, merkte er gar nicht, dass er den Wald verließ und in die Wüste lief. Erst als er schon zu weit von seinem Wasserloch entfernt war, spürte der Löwe einen starken Durst. Doch er roch, dass es auch ganz in der Nähe Wasser gab. Er lief deshalb in diese Richtung und sah auch schon bald einen kleinen See, tiefblau, ohne Wellen, spiegelglatt. Der Löwe freute sich schon darauf, das frische Wasser zu schlürfen, doch als er seinen Kopf über den Uferrand streckte, sah er einen anderen Löwen und erschrak. Er lief zurück zu einem Platz im Schatten, wollte sich einen Moment auszuruhen, weil er dachte: „Ich warte einfach ab. Irgendwann wird der Andere ja weg gehen, und dann kann ich trinken."

Aber als er nach einiger Zeit zum zweiten Mal versuchte, seinen Durst zu löschen, war der Andere immer noch da. Enttäuscht schlich der Löwe zu seinem Schattenplatz zurück. Als er wieder da lag, begann er, sich über sich selbst zu ärgern, sich selbst mit Vorwürfen fertig zu machen.

Irgendwann geschah es - irgendwie, dass dieser Ärger sich wieder nach außen richtete, auf diesen unverschämten anderen Löwen, und er rannte auf den See zu, um ihn zu verjagen. Er riss das Maul möglichst weit auf und brüllte, so laut er konnte. Doch der andere Löwe riss das Maul genauso weit auf und brüllte genauso laut zurück. Er trottete also zu seinem Platz zurück und war jetzt ratlos und hilflos.

Der starke Durst zwang ihn, es trotzdem ein viertes Mal zu versuchen. Dieses Mal starrte ihn ein verängstigter Löwe an. Damit hatte er nun gar nicht gerechnet, das brachte ihn völlig durcheinander.

Zermürbt von all diesen gegensätzlichen Gefühlen - Hoffnung und Enttäuschung, Ärger und Angst - und verwirrt durch die widersprüchlichen Erfahrungen, geriet der Löwe schließlich in einen Gemütszustand, in dem er nichts mehr zu verlieren hatte, ihm alles egal war und er sowieso nicht mehr wusste, was günstig oder ungünstig, richtig oder falsch war.

In einer solchen Stimmung raffte er sich doch noch einmal zu einem letzten Versuch auf und schlenderte mit einer merkwürdigen Gelassenheit auf den See zu. Zu seiner Verwunderung hörte er in sich eine Stimme, die sagte:

 

Ich mach es einfach, mach es einfach.

Ich bin einfach, bin einfach.

 

Der Löwe kam an das Ufer, streckte den Kopf über das Wasser, achtete gar nicht mehr auf den anderen Löwen und trank einfach. Sein Schlürfen brachte das Wasser in Bewegung, es warf Wellen, und es war kein anderer Löwe mehr da.

(frei nach Bernhard Trenkle, die Löwen-Geschichte)



 


 

Einfach machen ist einfach machen;

etwas einfach machen, sich einfach machen.

Einfach machen bedeutet, zu sehen,

dass etwas einfach ist, dass ich einfach bin,

dass ich einfach bin.

Publiziert am: Dienstag, 03. Dezember 2024 (5 mal gelesen)
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