Gebären und sterben



 

Geschrieben sind schon viele Worte

über das Töten und das Sterben -  

das Leben zu nehmen, zu verlieren, aus ihm raus zu geh'n. 


 

Es sind nur wenige geschrieben

über Gebären und Geboren-Werden -

das Leben zu geben, zu gewinnen, in es rein zu geh'n. 


 

Vielleicht liegt das ja daran,

dass die meisten Worte

geschrieben sind von Männern,

die töten können, aber nicht gebären.


 

Jedoch von denen,

die es können, die es kennen,

von Frauen, gibt es auch nicht viel.




 

Es geht Im folgenden Gedicht

sogar um drei Geburten:

um Mensch-Geburt, um Tier-Geburt, um Wort-Geburt.

 





 

Geburtstage

 

Sie ist tot.


 

heute ist ihr Geburtstag

das ist der Tag

an dem sie

in diesem Dreieck zwischen den Beinen ihrer Mutter

herausgewürgt wurde

sie

die mich herausgewürgt hat

zwischen ihren Beinen


 

sie ist  Asche

 

*

 

immer denke ich

an die Geburt eines Rehs,

wie es die Beine auf den Boden setzte

 

*

 

Ich habe niemand ans Licht gezwängt

nur Worte

Worte drehen nicht den Kopf

sie stehen auf

sofort

und gehn

 

(Hilde Domin)




 

 

Bei Müttern und bei Töchtern,

die auch selbst Mütter sind,

wird ja zum Schluss das Leben

auch der genommen, die das Leben gibt.

Und die Gebärende, die weiß das.

Und die Geborene, die weiß es auch.


 

Das Reh stirbt ebenfalls,

doch weiß es nichts davon.

 

Es können Worte manchmal -

von einer Schreiberin geschrieben -

lang überleben Mensch und Tier. 

Und manche Worte sterben nicht,

solang' noch Menschen leben,

von Müttern neu geboren werden.




 

 

Kommentar:

 

Die Engel sterben nicht -

so wenig wie die Teufel.

Die Tiere sterben zwar;

Jedoch, wie schon gesagt:

Sie wissen davon nichts.


 

Dazwischen steht der Mensch.

Er ist das einzige Wesen,

das stirbt und das auch weiß:

Ich werde einmal sterben.

Was er nicht weiß, ist: wann.


 

Wahrscheinlich ist, dass die,

die uns ins Leben presste,

schon lange vor uns stirbt.

Doch manchmal kommt es vor,

da sterben wir vor ihr.


 

Der Tod ist ein Zigeunerkind -

genauso wie die Liebe

(nach Carmen bei Bizet) -

lebt wild, frei von Gesetzen

und fügt sich keiner Regel.


 

Er läuft  seit der Geburt

nicht sichtbar neben uns

und kann mit seiner Hand

stets unsere Hand ergreifen

und sagen: "Komm jetzt mit!"



 

Bereits bei der Geburt ist ja der Tod gewiss.

Des Lebens Lauf ist zu Beginn noch offen.

Des Lebens Ende steht tot-sicher fest.

So ist der Anfang schon verbunden mit dem Ende,

Entstehen schon verknüpft mit dem Vergeh' n.

So weist das Morgenrot hin auf das Abendrot,

der Sonne Aufgang auf den Untergang.

 

 

Publiziert am: Montag, 25. November 2024 (23 mal gelesen)
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