12 Tage auf El Hierro

 

 

Ein Rausch,

der keinen Abstand, keinen Spielraum ließ

für ein "Ja, aber", ein "Na und",

das war für mich El Hierro -

12 Tage lang

 

Von Zaubermacht ergriffen,

wurde ich mit-, war hingerissen -

12 Tage lang.

 

Fast ehrfurchtsvolles Staunen,

sich wunderndes Bewundern -

12 Tage lang.

 

kein Tag "ni fu, ni fa",

nicht Fisch, nicht Fleisch,

nichts Halbes und nichts Ganzes

na, so lala

na ja, ganz nett.

 

Von Einzigartigem begeistert

schwebt' ich auf Wolke Sieben -

12 Tage lang.

 

Von menschenleerer Stille,

von Einsamkeit berührt,

war ich -

12 Tage lang.

 

 

 

 

Ich bin, El Hierro, froh und dankbar

(wem, weiß ich nicht so recht),

dass ich dich noch erleben durfte.

 

 

 

 

 

 

Kommentar:

 

Nun, was ist denn so einzigartig an Hierro,

dass es mich - der ja schon alle anderen Kanareninseln wenigstens ein Bisschen kannte -

so staunen ließ?

 

Nun, als erstes:

Auf keiner anderen Kanareninsel gibt eine solche Vielfalt an Landschaften auf so engem Raum.

Auch Gran Canaria und La Palma haben fünf verschiedene Klimazonen.

Doch um sie alle zu durchfahren, brauche ich auf La Palma einen halben und auf Gran Canaria einen ganzen Tag.

Auf El Hierro kann ich von jedem Punkt der Insel jeden anderen Punkt innerhalb einer Stunde erreichen.

Und die Landschaft verändert sich dabei von wüstenartigen Vulkanlandschaften wie auf Lanzarote und Fuerteventura über Kiefernwälder wie auf La Palma und Teneriffa bis zu den Lorbeerwäldern La Gomeras.

Und es gibt eine Landschaft, die auch einzelnd wirklich einzigartig ist, die es so auf keiner anderen Insel gibt:

Die Meseta de Nisdafe, "Klein-Irrland", eine sanft abfallende, von Schafen belebte Hochebene, geprägt von unzähligen Mäuerchen.

 

Einzigartig ist schon, wie ein Teil der Insel, der Teil, der heute von den meisten Menschen (höchstens 5000 )bewohnt wird, vor etwa 50000 Jahren entstanden ist.

"Wahrscheinlich aufgrund eines Erdbebens brach ein großer Teil der Insel in nur wenigen Sekunden ab und stürzte ins Meer, wo das Material auf dem Meeresgrund zerschellte.

Wie eine Wunde eines gewaltigen Prankenhiebes erschien das beeindruckende, halbrunde Tal El Golfo.

Ein Erdrutsch von mehr als 300 km3 ist beinahe unvorstellbar, das Volumen entspricht hundertmal demjenigen des Vulkans Saint Helen.

Man glaubt, dass die Flutwelle, die dieser Bergsturz von El Golfo auslöste, mit Leichtigkeit höher als 100 Meter war.

Höchstwahrscheinlich war die Wirkung sogar bis an die amerikanische Küste bemerkbar."

(aus einem, vielleicht dem einzigen deutschsprachigen Reiseführer)

 

Einzigartig aus der Vergangenheit ist auch:

El Hierro war lange Zeit ganz offiziell das Ende der Welt.

Im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung legte Ptolemäus den Meridian, der durch den westlichen Teil der Insel läuft, als Nullmeridian fest.

Und dieser Nullmeridian blieb hier das ganze Mittelalter hindurch bis weit in die Neuzeit hinein.

Erst im 19. Jahrhundert wurde er nach Greenwich verlegt.

Nun, auch heute noch ist die Südwestecke El Hierros (in der Nähe des Faro de Orchilla) der südwestlichste Punkt Europas.

Eine Schotterpiste und ein Wanderweg führen durch eine vielfarbig beeindruckende Vulkanlandschaft zu einem kleinen halbkugelförmigen Monument, das den ehemaligen Nullmeridian markiert.

 

Einzigartig ist:

Es gab 2011 einen Vulkanausbruch im Meer.

Der war zwar kurzfristig verhehrend, alles Leben zerstörend, doch langfristig bereichernd.

Er machte El Hierro zu einem der besten Tauchreviere weltweit.

 

Einzigartig ist:

Die ganze Insel ist seit 2000 Biosphärenreservat der UNESCO.

Das bedeutet: die Natur ist bestens geschützt.

Alles, was sie ernsthaft stören oder gefährden könnte, ist gar nicht erst erlaubt.

Und auch das gibt natürlich El Hierro eine einmalige Atmosphäre.

 

Einzigartig ist:

Auf keiner anderen Kanareninsel gibt es so viele sehr schön angelegte, meistens natürliche Meerwasserschwimmbecken.

Und auf keiner anderen hat man an der Küste so viele Wege durch die sonst unzugänglichen Lavaströme gelegt.

 

Einzigartig ist:

Nur auf El Hierro wird erfolgreich Ananas angebaut - die süßere afrikanische, nicht die asiatische Sorte.

Man hat das auch auf anderen Kanareninseln versucht, was aber mehr oder weniger mislungen ist.

El Hierro scheint auch für die Ananaspflanze etwas Einzigartiges zu haben.

Für mich einzigartig waren auch zwei andere Leckereien:

der Herreño, ein "Drei-Viecher-Käse" aus Schafs-, Ziegen- und Kuhmilch (im grünen Hochland der Inselmitte weiden ja auch Kühe)

und die Quesadillas, wie der Name schon andeutet, ein Käsekuchen, hauptsächlich aus der Milch einheimischer Ziegen.

 

 

 

Der Ausgewogenheit halber füge ich hinzu, was auf El Hierro fehlt:

 

Es gibt ja alles, was es auf den anderen Kanaren auch gibt - fast alles.

Denn es gibt nicht die unzähligen Palmen La Gomeras.

 

Es fehlen sehenswerte Orte -

mit schönen Häusern, Kirchen, Plätzen.

Die (für mich) einzige architektonische Ausnahme - allerdings auch außerhalb eines Ortes -

ist der von César Manrique erbaute Aussichtspunkt Mirador de la Peña,

der einen tollen Blick über das ganze El Golfo-Tal bietet.

 

Es gibt keine schönen Sandstrände.

An der einzigen, allerdings wunderschönen Ausnahme, der Playa de Verodal, kann man wegen der hohen Brandung meistens nicht schwimmen. Man kann jedoch unter der vielfarbig schillernden Steilwand im feinen, rötlich schimmernden Lavasand liegen und abends den herrlichen Sonnenuntergang bewundern.

Die Küste der Insel besteht eben fast überall aus unmittelbar, oft mehr als 1000 in den Himmel ragenden Felswänden.

Bei ihrem ersten Landungsversuch unter normannischer Leitung fanden die Spanier keinen geeigneten Landeplatz,

so dass sie sofort nach La Gomera weitersegelten.

 

Es fehlt weitgehend Kultur.

Es gibt einige recht interessante Museen:

Das Freilichtmuseum Guinea, das anhand eines wieder aufgebauten Dorfes sehr lebensnah die karge Lebensweise der ärmlichen Landbevölkerung zeigt -

oder ein vulkanologisches Museum, in dem man anschaulich den untersseischen Vulkanausbruch von 2011 miterleben kann.

Aber Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und Fotografen haben sich doch lieber auf den anderen Kanareninseln angesiedelt als auf dem menschenarmen El Hierro.



 

Doch Mangel er-gibt nicht unbedingt auch Mängel.

Denn gäb' es das, was fehlt,

dann würde fehlen,

was El Hierro einzigartig macht:

 

Wenn es Strände gäbe,

dann gäb' es sicher nicht so viele Meeresschwimmbecken.

 

Und gäb' es menschenreiche Orte mit Kultur,

dann gäb' es nicht die wunderbare Stille, herrliche Einsamkeit.

 

 

 

 

Publiziert am: Montag, 22. April 2024 (10 mal gelesen)
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