Mein Sonderweg: schon sterben vor dem Sterben

 

 

 

Ich bin ja nichts Besonderes,

bin nur ein "Sonderling"

auf einem Sonderweg -

allein -

den jeder gehen könnte,

mit mir und neben mir,

doch keiner gehen will.

 

 

 

Alle Anderen um mich herum wollen ihren Ruhestand dazu nutzen, im Grunde genauso weiter zu leben wie bisher.

Sie sehen darin eine Chance, befreit von den Zwängen der Arbeit noch möglichst lange möglichst lebendig am Leben zu bleiben.

Ich allein sehe darin eine Chance, befreit von diesen Zwängen schon vor dem Sterben zu sterben.

Warum? Sterben schon vor dem Sterben, das ist - vor allem, jedoch nicht nur im Alter - "die einzige Möglichkeit, ein neues Leben anzufangen".

(Das meint  jedenfalls Shams-e Tabrizi in Elif Shafaks Roman "Die  vierzig Geheimnisse der Liebe")





 

Wann ich begann, zu leben

 

Wann ich begann, zu leben?

Das weiß ich ganz genau.

Das kann ich dir klar sagen:
 

In diesem Jahr

(schon 71jährig)

frühmorgens am Karfreitag;
 

 


Achtung, liebe Leserin!

Jetzt ändert sich das Versmaß.



als ich mich entschied,

dem zweifelnden Zögern

ein Ende zu geben -

und endlich zu springen,

 

mich fallen zu lassen

im Abgrund der Leere,

der ewigen Fülle

des zeitlosen Nuns;



 

Das alte Versmaß kommt zurück.

 

als ich beschloss, zu sterben

ab jetzt im Wie des Jetzt

schon vor dem Sterben.



 

Wenn ich gestorben bin,

dann lebe nicht mehr ich.

Dann lebt sich selbst das Leben -

für sich in mir durch mich.




Es sagt ja Angelus Silesius:

"Wer nicht stirbt, bevor er stirbt,

der verdirbt dann, wenn er stirbt."

Und eigentlich ist es noch anders:

Wer nicht stirbt, bevor er stirbt,

hat, wenn er stirbt, gar nicht gelebt.

 

 



 

Das Sterben leben

 

Das Wie des Jetzt will ich nicht mehr verlassen,

das immer frisch ergrünt und farbenfroh erblüht.

Es soll nicht mehr zum welken Was verblassen.

 

Zwar werd' ich unachtsam es oft vergessen.

Wenn ich das merk', komm' ich sofort zurück.

In ihm liegt doch mein Frieden und mein Glück.

 

Leicht lässt das hast'ge Handeln mich verirren,

so dass ich es verlier' in Ziel und Zweck.

Doch geh' ich ja nicht lange von ihm weg.

 

Selbst wenn ich es einmal bewusst verrate,

bereu' ich das ja schon nach kurzer Zeit.

Denn nur in Soheit sterbend leb' ich Ewigkeit.

 

Ich tue so, als ob ich etwas täte,

untätig bleibend auch in meinen Taten.

Jedoch nichts Äußeres soll das verraten.

 

Ich will mein Jetzt-Sein nicht ins Tun verlieren,

auch nicht das Wie des Tuns im Etwas-Tun,

will sterben stetig immer neu das Nun.

 

So sterbe ich schon jetzt, schon vor dem Sterben -

entwerdend jetzt schon auf dem Weg am Ziel.

Das Weiter-Leben kostet mich zu viel.

 

Schon immer wieder sterbend leb' ich Sterben;

nicht erst am Schluss, wenn ich gestorben bin.

Schon auf dem Weg sein gibt dem Leben Sinn.

 




 

PS:

Nur, wer bereit zum Sterben ist,

ist auch bereit zum Leben.

Denn todesähnlich ist durchaus,

sich voll und ganz zu geben.






Wie wird das Sein wohl sein,

wenn ich gestorben sein werde -

schon vor dem Sterben;

wenn ich sein werde als Gestorbener?

Vieleicht so:

 

 

 

 

 

Publiziert am: Dienstag, 18. April 2023 (229 mal gelesen)
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