Wüste, Heim und Markt


 

Wer in die Wüste geht, der geht alleine.

Dahin geht niemand mit; denn keiner will da hin.

Danach, durch toten Sand zu laufen,

steht nichts Lebendigem der Sinn.

 

Doch dort, in stiller Menschenleere

kann ich von Gott mich rufen lassen.

Sein leises Wort wird überhört

im lauten Marktgeschrei der Massen.

 

 

 

und:

 

 

 

Um Mitternacht sprach er zu seinem Herzen:
 
,,Jetzt ist es Zeit, mein Heim aufzugeben und Gott zu suchen.
Ach, wer hat mich so lange hier im Wahn gehalten?"
Gott flüsterte: „Ich",
aber des Mannes Ohren waren verschlossen.
 
Mit dem schlummernden Kind an der Brust lag sein Weib, friedlich schlafend, neben ihm auf dem Lager.

Der Mann sagte: ,,Wer seid ihr, die ihr mich so lange genarrt habt?“
Die Stimme sagte: ,,Diese sind Gott“,
aber er hörte es wieder nicht.
 
Das Kind schrie auf im Traum und schmiegte sich eng an die Mutter.
Gott gebot: ,,Halt, du Tor, verlass dein Heim nicht!“
Aber noch immer hörte er nicht.
 
Gott seufzte und sagte traurig:
,,Warum verlässt mich mein Diener, wenn er mich suchen geht?“

(Rabindranath Tagore, Der Gärtner, 75)

 

 

 

Vielleicht sagst du nun, liebe Leserin:

"Das passt doch nicht zusammen."

Nun, vielleicht doch.

Ich kann mein Weib, mein Kind verlassen -

für ein paar Stunden, ein paar Tage - ,

um Gott zu finden in der "Wüstenstille"

(und das geht auch zu Hause,

geht auch mit Weib und Kind) ,

und dann mit dem gefundenen Gott

zurückkehren zu Weib und Kind.

 

Publiziert am: Freitag, 28. Oktober 2022 (259 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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