Wie viel Zeit


 

Ich weiss nicht, wie viel Zeit mir bleibt,

bis dass mich die Vergänglichkeit,

mit fester, klarer Hand zerreibt,

mich hin zum Ewigen befreit.

 

Ich hoffe nur, dass dies Vergehen

nur kurz sein wird und arm an Leid.

Dann will ich es mit Gleichmut nahen seh'n  -

als lieben Freund - und gern für es bereit.



PS:
Das Lassen-Können, das war meine Stärke.

Durch Leben-Lassen habe ich gewirkt.

Im Leben-Lassen habe ich gelebt.

Ich will mich auch gelassen sterben lassen.




Kommentar:

 

Nun, die in diesen Zeilen leise und sanft anklingende Todes-Bereitschaft lässt sich sicher noch zu einer kraftvollen Todes-Bejahung steigern -

und so ist es auch bereits geschehen:

Zwei "Weltliteratur-Schreiber" haben den Tod als außergewöhnlichen Höhepunkt des Lebens gepriesen,

als die Erfüllung eines langen Sehnens im beglückenden Zueinander-Finden zweier Liebender.

 

Giuseppe Tomasi di Lampedusa "malt" den Tod des Fürsten von Salina in bezaubernden, romantischen Farbtönen:

 

Der Fürst ist verwundert darüber, dass nur er allein das schon vor langer Zeit einsetzende Ausfließen des Lebensstroms aus seinem Körper bemerkt hat.

"Vielleicht hatte ihn nur Tancredi einen Augenblick verstanden, als er in seiner widerspenstig-ironischen Art zu ihm gesagt hatte:

,Großer Onkel, du hofierst den Tod, als wäre er eine schöne Frau`.

Jetzt war das Hofieren zu Ende: die Schöne hatte ihr Ja gesagt, die Flucht war beschlossen, das Abteil im Zug reserviert."

.....

Die nächsten Angehörigen haben sich um den Sterbenden geschart.

"Plötzlich schob sich durch die Gruppe eine junge Frau;

schlank, in einem braunen Reisekleid mit weiter tournure, in einem Strohhut, geschmückt mit einem Schleier mit kleinen Kügelchen,

der die schelmische Anmut des Gesichts nicht verhüllen konnte.

Sie drückte leise mit dem Händchen im Gamslederhandschuh die Ellbogen zweier Weinender auseinander, sie entschuldigte sich, sie kam näher.

Sie war es, sie, das immer ersehnte Wesen, das ihn holen kam;

sonderbar, so jung war sie, und hatte sich ihm ergeben;

die Stunde der Abfahrt musste nahe sein.

Jetzt war sie bei ihm, ihr Gesicht dem seinen gegenüber,

sie hob den Schleier - und so, schamhaft, aber bereit, in Besitz genommen zu werden,

erschien sie ihm weitaus schöner, als er sie je erblickt hatte - dort in den Sternenräumen.

Das tosende Meer kam zur Ruhe."

(aus "Der Leopard")

 

 

 


 

Und Rabindranath Tagore sieht dem Tod als glanzvolle, rauschhafte Hochzeitsfeier entgegen:

 

Was flüsterst du mir so leise ins Ohr,

o Tod, mein Tod?

Wenn die Blumen am Abend ihre Köpfe senken

und das Vieh heimkehrt in seine Ställe,

kommst du verstohlen an meine Seite

und redest Worte, die ich nicht verstehe.

Musst du so freien und werben um mich,

mit dem betäubenden Gift einschläfernden Murmelns

und kalter Küsse,

o Tod, mein Tod?

 

Wird es denn keine stolze Feier geben für unsere Hochzeit?

Willst du nicht mit einem Kranz deine braungeringelten Locken umwinden?

Ist da keiner, der dir die Fahne voranträgt,

und wird die Nacht nicht in Flammen steh'n von deinen roten Fackeln,

o Tod, mein Tod?

 

Komm mit dem Klang deiner Muscheltrompeten,

komm in der schlaflosen Nacht!

Kleide mich in einen Purpurmantel,

fass meine Hand und nimm mich!

Lass vor meiner Tür deinen Wagen bereit sein

mit deinen ungeduldig wiehernden Rossen!

Heb meinen Schleier und blick mir keck ins Gesicht,

o Tod, mein Tod!

 

(Rabindranath Tagore, Der Gärtner, 81)

 

Publiziert am: Donnerstag, 13. Oktober 2022 (387 mal gelesen)
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