Poltawa

(geschrieben im Krieg Russlands gegen die Ukraine, am 9. Mai, dem Tag, an dem Russland und die Ukraine den gemeinsamen Sieg über Nazi-Deutschland feiern)

 

 

Bei dir, Poltawa, fing einst Russlands Größe an.

Östlich des Dnpr geht sie auch zu Ende -

im schwarzen Steppenland, wo sie begann,

zweifacher Zeuge einer Zeitenwende.

 

Bei dir besiegte damals Russland Schweden,

das derzeit führend war im Osten und im Norden.

Als neue Großmacht konnt' es stolz sein Haupt erheben,

bescherte bald schon selbst Napoleon Sorgen.

 

Nordöstlich von dir, da liegt Kursk,

wo Stalins Panzer über Hitler siegten.

Bald dröhnte auch bei dir der Höllenlärm

der Waffen, die sich mörderisch bekriegten.

 

Jetzt rollen durch dich Drohnen an die Front,

an der ein schwächeres Land erneut sich tapfer wehrt

gegen den Überfall durch eine Übermacht.

Für sein Geschick im Kampf wird es weltweit geehrt.

 

Wo er einst kühn begann, bricht Russlands Ruhm in Scherben -

durch Gräueltaten, Lügen und Versagen.

Wird "Schwester" Ukraine ihn nun erben?

Wer kann das prophezeihen schon in diesen Tagen?

 

 

 

 

 

Kommentar:

 

Russland verliert durch diesen Krieg,

auch wenn es ihn gewinnt

(viel mehr als es gewinnt).

Es schafft aus Brüdern Feinde sich,

die seine Nachbarn sind.

 

Es schließt sich von dem Erdteil ab,

zu dem es doch gehört,

hat das Vertrauen dort verspielt,

nachhaltig tief gestört.

 

Es schließt sich von der Zukunft aus,

die doch im Westen liegt,

verlässt Europas Friedenshaus,

auch dann, wenn es jetzt siegt.

 

Es klammert sich mit aller Kraft

an die vergang'ne Macht

als früheres Imperium -

gefürchtet, nicht verlacht.

 

Doch ist das nicht mehr zeitgemäß,

es lenkt den Blick zurück

auf etwas, das nicht wiederkehrt.

Dort liegt nicht Russlands Glück.

 

Das liegt im Zugehörigsein

in einem Freundesbund,

wo jeder gleichberechtigt ist,

keiner des Anderen Hund.

 

 

 

 

Kommentar zum Kommentar:

 

Russlands Zukunft liegt westlich, im Westen, nicht unbedingt im "Westen".

Westlich liegt eben das übrige Europa, zu dem auch Russland wirtschaftlich und kulturell gehört - als slawisches, christlich geprägtes Land ebenso wie Polen, Serbien und Bulgarien.

Westlich liegt die EU, eine erfolgreiche Friedensinitiative, die nach den vielen leidvollen Kriegen auf diesem blutgetränkten Kontinent dazu geführt hat, dass heute ein Waffengang zwischen Frankreich und Deutschland, England und Spanien oder Italien und Österreich undenkbar geworden ist.

Der "Westen" als politisches Gebilde geht ja weit über Europa hinaus, schließt alle von Aufklärung, Demokratie und Kapitalismus geprägten Staaten auch auf anderen Kontinenten ein.

Und die Führung dieses "Westens" liegt westlich von Europa in der durchaus auch imperialistischen, derzeit (noch?) einzigen Weltmacht USA,

das einseitig an die Stärken des Einzelnen und einzelne Starke glaubt, deshalb wenig Rücksicht auf die Schwachen nimmt, Freiheit auf Kosten der Brüderlichkeit lebt.

 

Die Ausrichtung nach Westen, auf Europa, ist Russlands Vergangenheit seit mehr als dreihundert Jahren -

seit Peter dem Großen, der nicht nur über die Schweden bei Poltawa siegte,

der auch selbst in Holland eine Lehre als Schiffszimmermann machte,

die riesigen Weiten seines Reiches für europäische Zivilisation, Wissenschaft und Kultur öffnete.

Seitdem hat Russland vorwiegend Rohstoffe nach Europa aus- ,Technologie von dort eingeführt.

Mit dieser Tradition bricht es jetzt abrupt.

Es wendet sich vom Westen, von Europa ab und Asien (an dem es ja auch Anteil hat) zu, dem Süden und Osten - vor allem China, Indien und dem Iran.

 

Doch die Zukunft Russlands liegt nach wie vor in Europa.

Europa (einschließlich Russland) ist nicht der "Westen".

Europa ist Mitte.

 

Die Zukunft der EU kann auf Dauer nicht darin bestehen, sich den Interessen der USA unterzuordnen;

die Zukunft Russlands nicht darin, als Juniorpartner Chinas einen neuen östlichen Block gegen den dominanten "Westen" zu bilden;

die Zukunft des ganzen Europas nicht darin, erneut in zwei Blöcke aufgespalten zu sein.

 

Die Aufgabe des ganzen Europas (einschließlich Russland, wenn es das will und die USA es zulassen) kann nur sein,  

zwischen amerikanischem Haifisch-Kapitalismus im Westen und chinesischem "Big brother"-Kapitalismus im Osten

eine ausgleichende Mitte sozialer Marktwirtschaft zu sein;

in Gesellschaften, die sich allen drei Grundwerten der Französischen Revolution verpflichtet fühlen -

neben der Freiheit und Gleichheit auch der Brüderlichkeit -

als Gemeinschaft gleichberechtigter, sich gegenseitig achtender Nationen, die sich auf Augenhöhe begegnen und zusammenwirken,

auch als Staaten im Umgang miteinander orientiert an den drei großen Menschheitsidealen des Abendlands in der Moderne.

 

Das ist die Vision eines in der gemeinsamen Wertordnung geeinten Europas, zu der es langfristig keine Alternative gibt.

Ihe kurzfristige Verwirklichung ist jedoch erst einmal unwahrscheinlicher geworden.

 

 

PS.

Was Russland angeht, irre ich mich vielleicht.

Ich bin ja kein Russe.

Möglicherweise hat Russland auch in Asien tiefere Wurzeln und lohnenswertere Perspektiven, als ich annehme.

 

Was Europa angeht, bin ich mir sicher.

Ich bin ja ein Europäer.





Die folgenden Ratschläge, geschrieben für einen radikal pazifistischen Einzelnen, muss ich der Ukraine als Nation derzeit ja gar nicht geben.

Die befolgt sie ja schon sehr konsequent, vertritt uns anderen Europäern gegenüber ja immer wieder vehement, es sei alternativlos, ihnen entsprechend zu handeln.

Publiziert am: Mittwoch, 11. Mai 2022 (562 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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