Der Preis der Versuchung
Es gibt Geschichten, die sind einfach faszinierend,
haben deshalb auch zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Formen immer wieder Menschen aus verschiedenen Kulturen fasziniert.
Die folgende stammt ursprünglich von Denis Diderot - ein Auszug aus seinem Roman "Jaques der Fatalist und sein Herr".
Er gelangte in die Hände des Weimarer Theaterdirektors, der von ihm so beeindruckt war, dass er Schiller bat, ihn zu übersetzen.
Und auch Schiller war so angesprochen und angerührt, dass er es auch tatsächlich tat
und ihn - für deutsche Leserschaft bearbeitet - als "Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache" veröffentlichte.
Schillers Version wurde sogar später ins Französische zurück übersetzt.
2018 wurde die Geschichte zum zweiten Mal in Frankrech verfilmt, lief in deutschen Kinos - nun synchronisiert - unter dem Titel "Der Preis der Versuchung".
Der Film wurde vor drei Tagen im Fernsehen gesendet. Als ich ihn mir ansah, war auch ich fasziniert.
Frankreich im 18. Jahrhundert: Die verwitwete Madame de la Pommeraye hat den Marquis des Arcis als Gast auf ihrem herrschaftlichen Landsitz. Der Marquis - weithin bekannt für seine zahllosen Liebschaften - , ist entschlossen, nun auch die Madame de la P. für sich zu erobern. Diese gibt sich kühl-vernunftmäßig, der Liebe gegenüber gleichgültig. Sie habe ihren verstorbenen Ehemann nur bis zur Hochzeit allenfalls gemocht und glaube nur an die Freundschaft. Der Marquis bleibt jedoch hartnäckig und will erst abreisen, wenn er sein Ziel erreicht hat, auch wenn er dafür seine Geschäfte vernachlässigen muss. Nach mehreren Monaten gemeinsam verbrachter Zeit beginnt die Madame de la P. zu glauben, dass der Marquis sich grundlegend, in seinem Wesen geändert hat und ihr echte Gefühle entgegenbringt. Sie lässt sich trotz der Warnungen ihrer engen Freundin schließlich doch auf ihn ein.
Nach zwei Jahren glücklichen Zusammenseins zieht es den Marquis immer häufiger zu seinen Baugeschäften nach Paris. Madame de la P. fühlt sich zunehmend vernachlässigt und gesteht ihrer Freundin, dass deren Misstrauen dem Marquis gegenüber wohl gerechtfertigt gewesen sei. Um herauszufinden, ob er tatsächlich das Interesse an ihr verloren hat, gaukelt sie ihm vor, dass ihre Liebe zu ihm verflogen sei, und ringt ihm so schließlich das Geständnis ab, dass auch er sie nicht mehr liebe.
Tief verletzt beschließt Madame de la P., sich am Marquis zu rächen und ihn für seine Treulosigkeit zu bestrafen. Zu diesem Zweck empfängt sie die vom Schicksal gebeutelte Madame de Joncquières und deren junge liebreizende Tochter. Madame de Joncquières, die uneheliche Tochter eines Barons, ließ sich von einem Herzog durch falsche Versprechungen verführen, wurde von ihm geschwängert, verarmte durch einen Rechtsstreit gegen ihn und strandete schließlich mit ihrer Tochter in einem Bordell. Um ihren Plan in die Tat umzusetzen, verschafft die Madame de la P. Mutter und Tochter zunächst eine ordentliche Unterkunft in der Nähe eines Klosters. Bei einem gemeinsamen Spaziergang mit dem Marquis in den königlichen Gärten sorgt sie dann dafür, dass ihnen beide über den Weg laufen. Der Marquis ist umgehend vom unschuldigen Liebreiz der Mademoiselle de Joncquières gefangen und gefesselt. Weil er vor lauter Sehnsucht nach einem Wiedersehen nicht mehr schlafen kann, bittet er die Madame de la P. um Unterstützung.
Deren Freundin zeigt sich besorgt über die sich abzeichnende und in ihren Augen unchristliche Intrige gegen den Marquis. Die Madame de la P. ist jedoch entschlossen, mit ihrem Rachefeldzug fortzufahren. Sie wolle Gerechtigkeit, auch im Namen des weiblichen Geschlechts. Nachdem sie den Marquis eine Zeit lang hat zappeln lassen, arrangiert sie ein gemeinsames Abendessen mit der Madame und der Mademoiselle de Joncquières, zu dem scheinbar zufällig auch der Marquis erscheint. Dessen Verlangen entbrennt daraufhin umso mehr für die junge Frau, die sich wie ihre Mutter auf Anweisung der Madame de la P. besonders fromm, zurückhaltend und abweisend zeigt. Der Marquis lässt in allen umliegenden Kirchen nach ihr suchen, und als er sie gefunden hat, heimlich ein Bild von ihr zeichnen. Er lauert ihr und ihrer Mutter immer wieder vor der Messe auf, in der Hoffnung, sie näher kennenzulernen, - ohne Erfolg. Um sie für sich zu gewinnen, schenkt er ihr und ihrer Mutter eine Jahresrente von 600 Louis und wertvollen Schmuck, was die beiden Frauen jedoch auf Geheiß der Madame de la P. nicht annehmen. Voller Verzweiflung macht er ihnen immer großzügigere Angebote und ist sogar bereit, ihnen die Hälfte seines Vermögens zu geben. Von ihren Rachegelüsten getrieben, bleibt die Madame de la P. wiederum auch auf Flehen der Madame de Joncquières unerbittlich und treibt den Marquis so zu dem Entschluss, das mittellose Mädchen zu ehelichen und damit seinen Ruf aufs Spiel zu setzen.
Die Mademoiselle de Joncquières, die insgeheim unter dem Betrug an dem Marquis leidet und tiefe Schuldgefühle empfindet, heiratet schließlich den Marquis. Auf dessen Frage hin, warum sie nicht auch heirate, gesteht ihm die Madame de la P. , er sei der einzige Mann gewesen, den sie dafür in Betracht gezogen hätte. Mit ihm, seiner Braut und deren Mutter fährt sie danach in einer Kutsche zu dem Bordell, wo die beiden mittellosen Frauen als Prostituierte gearbeitet haben, um ihm ihr "Hochzeitsgeschenk" zu überreichen. Als dem Marquis klar wird, dass er eine Prostituierte geheiratet hat, genießt die Madame de la P. ihren Triumph. Er habe die Frau geheiratet, die seiner würdig sei, und ganz Paris werde davon erfahren. Als der kompromittierte und desillusionierte Marquis, der seine junge Frau verstoßen hat, am Abend zu seinem Pariser Wohnsitz zurückkehrt, nimmt er sie nach einem Suizidversuch - sie wollte sich in der Seine ertränken - notgedrungen wieder bei sich auf. Ihre aufrichtige Demut bringt ihn dazu, ihr zu verzeihen und mit ihr aufs Land zu ziehen, bis der Skandal vergessen ist. Bei ihrem Aufbruch begegnet ihnen die Freundin der Madame de la P. . Sie solle dieser ausrichten, dass er ihr dankbar sei. Ohne deren Intrige hätte er seine Ehefrau niemals kennengelernt und wäre niemals glücklich geworden. Auf den absichtlich falschen Bericht ihrer Freundin hin, den Marquis allein bei seiner Abreise vorgefunden zu haben, stellt die Madame de la P. eine gespielte Zufriedenheit zur Schau. Ob sie unglücklich bleibt, bleibt offen.
(Wikipedia, leicht geändert)
"Ich bin ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will
und stets das Gute schafft."
(Mephisto in Goethes Faust)
Vier Hauptpersonen bestimmen durch ihr Handeln schicksalhaft das, was geschieht in der Geschichte,
indem sie miteinander sich verbinden und verstricken,
sich voneinander wieder lösen
und zuletzt er-lösen:
die Madame de la P., der Marquis, die Mutter und die Tochter.
(Die 5. Hauptperson, die Freundin, ist zwar durchaus Teil des Geschehens: sie nimmt An-teil an Freud und Leid der Madame de la P., ihr innig ver-bunden. Doch sie beteiligt sich nicht an ihrem falschen Spiel, bleibt davon un-gebunden, sich selber treu. Sie wirkt - wie ein Katalysator - von außen ein, regt an, teilt mit, reicht so der Madame de la P. den Stoff, aus dem dann diese das trügerische, schwer durchschaubare Geflecht der Täuschung webt.)
Zwei von ihnen reden viel, eine spricht wenig, und eine schweigt recht lang, spricht erst am Schluss.
Der Marquis und die Madame de la P. reden geistreich, kunstvoll, elegant-brilliant, spielen mit ihren Worten in phantasievollen Anspielungen.
Der Marquis belügt eigentlich nicht die Madame de la P. in den Worten, mit denen er um sie wirbt. Er belügt nicht sie, er belügt sich. Er täuscht nicht sie, er täuscht sich. Er glaubt wirklich das, was er ihr sagt. Er glaubt wirklich, dass er in ihr - nach all den vielen Irrtümern und Enttäuschungen - , seine große Liebe gefunden hat. Er ist ihr gegenüber gewissermaßen aufrichtig-ehrlich. Doch auch als Selbst-Täuschung spricht er Worte der Täuschung. Sie versprechen etwas, was er nicht halten wird.
Nur in den Jahren ihrer Liebe schweigen beide, pflanzen gemeinsam einen Baum, sehen sich an, lächeln sich an.
Als die Madame de la P. herausfinden will, ob er sie noch liebt, spielt sie in getauschter Rolle, täuscht ihn so mit ihren Worten.
Später spricht sie heuchlerisch von Freundschaft, während sie auf grausame Rache sinnt.
Das Wenige, was die Mutter spricht, ist nicht kunstvoll-künstlich, sondern aufrichtig und klar.
Doch wenn sie redet, will auch sie damit etwas erreichen.
Alle, die reden, verfolgen - aufrichtig-ehrlich oder täuschend-lügend - irgendwelche Absichten.
Nur die Tochter nicht.
Sie spricht lange Zeit nichts, spielt ihre Rolle stumm.
Da sie nichts sagt, lügt sie auch nicht.
Sie will auch gar nichts sagen.
Sie täuscht nichts vor, ist einfach, wie sie ist - unschuldig, ohne Absicht.
Und niemand weiß: Was fühlt sie und was denkt sie?
(Ganz stimmt es nicht,
dass sie ganz schweigt:
Wenn es nicht höflich wäre, es nicht freundlich wäre,
nichts zu sagen, sagt sie etwas.
Sie hält die Regeln ein.
Sie antwortet, wenn sie gefragt wird -
nur mit dem Notwendigsten:
"Ja, Madame; ja, Monsieur"
Sie stimmt dem zu, was andere sagen.
Sie sagt nichts Eigenes.)
Als sie schließlich aus eigenem Antrieb spricht, weiß man:
Sie will nicht schuldig werden, will nicht ihr Unschuld-Sein verlieren, sie will schuldlos bleiben.
Ihre Unschuld ist ihr Leben.
Als sie glaubt, sie habe sich nun schuldig gemacht,
will sie sich das Leben nehmen, das ihr ja schon genommen ist.
Sie will wegwerfen, was sie ja schon verloren hat.
Sie sieht aus wie ein Engel, doch nicht nur:
sie ist auch einer, immer noch -
trotz ihres ehrlosen Gewerbes.
Den Körper zu verkaufen,
war sie durch Not gezwungen.
Doch konnte das der Seele
das klare Licht nicht trüben.
Ihr Kleid wird nicht befleckt,
wenn sie geschehen lässt,
was absichtslos geschieht.
Nur eigenes Streben, eigenes Wider-Streben
kann Unschuld rauben.
"Nicht das, was in ihn eingeht,
nur das, was aus ihm ausgeht,
verunreinigt den Menschen." (Mt 15,11)
Ein Engel wird selbst durch Gewalt der Teufel,
erlitten nur, nicht selbst verübt,
nicht auch ein Teufel.
Was heil und heilig ist -
und es auch bleiben will -
wird nicht berührt von dem,
was in der Welt
nicht heil und heilig ist.
Madame de P. ist davon überzeugt,
dass sie die Tochter nur vortäuschen lässt,
sie führe fromm ein tugendhaftes Leben.
Sie ahnt nicht, dass sie wirklich Tugend ist.
Das Teuflische in uns kennt nicht die Macht des Engelhaften.
Der Hass, er unterschätzt die Kraft der Liebe,
die - weil nicht-kämpfend - unbesiegbar ist.
So siegt auch hier am Ende
die Unschuld über Schuld.
Und das, was heilig ist,
es macht das Unheil heil.
Die Liebe schlägt, wenn sie begrenzt wird,
wenn sie begrenzt bleibt,
an diesen Grenzen um in Hass.
Nur unbegrenzt hat sie kein Gegenteil.
Nur all-umfassend steht ihr nichts entgegen.
Und starke Liebe wird zu starkem Hass.
Doch wenn der Hass geboren ist aus Liebe,
muss schließlich doch das Kind der Mutter dienen.
Die Liebe führt - auch über Hass
am Ende zu sich selbst zurück.
In dieser Geschichte ist es so.
Doch es geschieht vielleicht nicht nur in ihr,
geschieht vielleicht viel öfter, als wir denken -
vielleicht in dem, was uns nichts sagt,
was uns als nichts-sagend erscheint.
Publiziert am: Donnerstag, 11. Februar 2021 (710 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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