Baum anschauen - Baum fällen
Was es heißt, beid-seitig zu sehen und doch ein-seitig zu handeln, zeigt Victor Hugo in der Geschichte vom Marquis de Lantenac aus dem Roman "Dreiundneunzig":
"Das Schiff der Vendéens operiert in schwerer See vor der bretonischen Küste: Plötzlich löst sich eine Kanone aus ihrer Verankerung, und während das Schiff rollt und stampft, beginnt sie wie verrückt von einer Seite zur anderen zu rasen und droht - riesiges Ungetüm, das sie ist - Backbord und Steuerbord zu durchbrechen. Ein Kanonier (leider derselbe, dessen Nachlässigkeit die Schuld daran trug, dass die Kanone nicht genügend festgezurrt worden war) stürzt sich mit einem Mut ohnegleichen und mit einer Kette in Händen direkt vor das Ungetüm, das ihn beinahe zermalmt, stoppt es, fängt es ein, führt es an seinen Trog zurück und rettet derart das Schiff, die Besatzung und die Mission.
In feierlicher Liturgie lässt der schreckliche Lantenac die Männer auf dem Vorderdeck antreten, lobt den Tapferen, reißt sich eine hohe Dekoration von der Brust und steckt sie ihm an die seine, umarmt ihn, und hoch zum Himmel tönt der Matrosen Hurra.
Dann, diamanthart, erinnert Lantenac daran, dass der so Ausgezeichnete der Verantwortliche für den Zwischenfall war, und befiehlt, ihn zu füsilieren.
Glänzender Lantenac, virtuos, gerecht und unbestechlich!"
(zitiert von Umberto Eco, Das Foucaultsche Pendel. S. 271)
Publiziert am: Sonntag, 22. März 2020 (1003 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
[ Zurück ]