Der Tanz auf dem Seil

Der folgende Entwurf, lieber Leser, ist noch unausgereift, ungereimt, unfertig, widerspricht sich und verspricht dir, was er nicht hält. Ich bitte um Nachsicht für diese Unvollkommenheit. Ich stelle ihn dir trotzdem schon vor, weil er einige lesenswerte, sprachlich schöne und inhaltlich interessante Abschnitte enthält.

 

 

Der Tanz auf dem Seil

 

In seinen Texten konnte Hartmut in der Mitte bleiben. Er konnte auf dem Seil tanzen. Doch in seinem Leben konnte Hartmut nicht sein Gleichgewicht halten. Bei dem Bemühen, nicht auf der einen Seite vom Seil zu fallen, stürzte er auf der anderen Seite ab.

 

Andere Menschen fallen genauso vom Seil. Das Seil ist ja für alle Menschen dasselbe. Doch sie wissen gar nicht, dass sie auf dem Seil tanzen. Deshalb versuchen sie auch gar nicht, oben zu bleiben. Sie fallen runter und klettern wieder rauf. So wie Hartmut. Sie fallen genauso oft. Sie fallen genauso tief. Doch sie finden das ganz normal. Sie denken sich nichts dabei. Sie klettern eben wieder rauf. Ganz normal.

Wenn ein Mensch weiß, dass er auf dem Seil tanzt, wenn er oben bleiben will, nimmt er es sich übel, dass er runter fällt. Er fällt nicht öfter. Doch es fühlt sich öfter an. Er fällt nicht tiefer. Doch es fühlt sich tiefer an.

 

Manchmal ist es kein Vorteil, ein Wissender zu sein. Wenn man ein Wissender ist, jedoch kein Weiser. Wenn man etwas weiß, aber nicht genug, nicht alles, was man wissen muss. Dann verliert man - erst einmal - durch Wissen nur seine unbekümmerte Unbefangenheit, selbstverständliche Natürlichkeit. Doch die Notwendigkeit, uns höher zu entwickeln, lässt uns keine Wahl. Wir können nicht in der Naivität des Kindes bleiben, das ohne Fragen einfach lebt. Nur durch die Zweifel des Erwachsenen kommen wir zum gelassenen Frieden des alten Weisen.“

 

„Sie wollen natürlich wissen, was denn Hartmuts Seil war. Es war das Gleichgewicht zwischen Handeln und Nicht-Handeln. Das zu finden und zu halten ist einer der schwierigsten Seiltänze. Die meisten Menschen versuchen das erst gar nicht, fallen eben mal auf der einen, mal auf der anderen Seite vom Seil runter, ohne sich darüber groß „einen Kopf zu machen.“ Oder sie laufen einfach unter dem Seil, auf dem Boden, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. Das richtige Maß von Tätigsein und Ausruhen zu finden, ist für sie gar kein Thema. Sie tanzen nicht auf diesem Stück des Seils. Sie haben ein anderes Thema. Vielleicht  haben sie Schwierigkeiten damit, unabhängig zu sein und doch bezogen auf andere. Oder es fällt ihnen schwer, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Einklang zu bringen. Sie tanzen auf einem anderen Abschnitt des Seils.

 

Publiziert am: Sonntag, 08. März 2020 (1137 mal gelesen)
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