Geh einfach los
Lauf einfach los und gehe zu
auf das, was auf dich zukommt,
für alles offen und bereit zu allem!
Habe den Mut, einfach darauf zu bauen,
dass du ja Augen hast zum Sehen,
dass du ja Ohren hast zum Hören,
Hände zum Tun, Füße zum Geh’n,
und ein Gehirn, um zu verstehen,
was deine Augen, deine Ohren sagen,
und zu entscheiden, was zu tun ist,
wohin du gehen kannst und willst.
Versuche nicht, schon jetzt zu wissen,
was deine Augen einmal sehen
und deine Ohren hören werden,
was deine Hände später tun,
wo deine Füße gehen werden!
Das kannst du jetzt noch gar nicht wissen,
das weißt du erst, wenn es geschieht,
später zu jetzt geworden ist,
weil es nicht nur von dir abhängt.
Es hängt auch davon ab, wie andere
mit ihren Händen etwas machen,
wohin sie mit den Füßen geh’n,
(und das kannst du vorher nicht wissen).
Zu viele Fragen sind noch offen,
auf die es keine Antwort gibt,
erst eine Antwort geben kann,
wenn du es wirklich hörst und siehst.
Du musst es vorher ja auch gar nicht wissen.
Vertrau doch einfach darauf, gut begründet und berechtigt,
dass du auch später noch die selben Augen hast zum Sehen,
auch noch denselben Kopf, dieselben Hände, auch dieselben Füße,
die auch in der Gegenwart ja völlig reichen,
um mit Erfolg das Leben gut zu meistern!
Verlass dich einfach auf die Kräfte, die jetzt da sind,
dass sie dich nicht verlassen, nicht verraten werden.
Dass deine Augen dir verlässlich sagen werden,
was dann da ist, wenn dann jetzt ist,
wie sie es jetzt dir zuverlässig sagen!
Vertraue deinem Kopf, dass er dich nicht im Stich lässt,
dass deine Urteilskraft auch dann noch da sein wird,
um dir mit klarer Sicherheit zu sagen, was zu tun ist,
genauso wie sie es ja jetzt dir sagt!
Und dass die Hände und die Füße auch noch da sein werden,
die es dir möglich machen, es auch wirklich zu machen,
wirklich zu machen, umzusetzen in die Tat.
Deshalb:
Lauf einfach los!
Geh unbefangen zu auf das,
was vielleicht auf dich zukommt.
Denn was es sein wird,
wie es wirklich sein wird,
kannst du noch nicht wissen,
musst es auch nicht wissen.
in gereimter Form, mit etwas anderem Akzent
Kommentar
In diesem Gedicht geht es darum, seinen gegenwärtigen Wahrnehmungs-, Urteils- und Handlungskräften zu vertrauen. Wenn man es nicht tut, klammert man sich an einen oft vergeblichen Ersatz: Man versucht, die Zukunft schon jetzt unter Kontrolle zu bringen, indem man sie sich vorstellt. Damit löst man häufig einen ungünstigen Teufelskreis aus: Je mehr man seine Sicherheit in Phantasien sucht, in Vorstellungen über Möglichkeiten, desto mehr schwächt man weiter das Vertrauen in die gegenwärtigen Kräfte, die einzige Sicherheit, die es wirklich gibt. Dieser Vertrauensschwund führt natürlich dazu, dass man sich noch mehr an den Ersatz klammert. Es ist eine Spirale, die sich immer mehr nach unten dreht.
Jemand, der dadurch sehr erfolgreich war, dass er seinen gegenwärtigen Kräften vertraute, war Julius Cäsar. Wenn man in der Schule Latein lernen durfte oder musste, wurde man, wenn das Perfekt an der Reihe war, unweigerlich mit den drei Wörtern konfrontiert, die Cäsar nach einer gewonnenen Schlacht nach Rom geschrieben hatte: Veni, vidi, vici. Im Deutschen ist es ein Wort mehr: Ich kam, sah, siegte. Etwas ausführlicher hätte er vielleicht gesagt: „Ich bin einfach hingegangen; meine Augen haben mir gesagt, was los war; mein gesunder Menschenverstand hat mir gesagt, was zu tun ist, und dann habe ich das Richtige getan.“
Julius Cäsar hat nicht tagelang in seinem Feldherrnzelt gesessen und überlegt: „Ich weiß ja gar nicht, wo Pompeius mit seinen sieben Legionen jetzt steht, weil ich ja gar nicht weiß, welche Straße er genommen hat. Vielleicht ist er nach Norden auf die Via Cassia gezogen. Dann hätte er schon die etruskischen Vorberge erreicht. Das wäre schlecht für mich. Wenn es zur Schlacht käme, stände er oben, ich unten. Es wäre aber auch möglich, dass er nach Nordosten auf die Via Salaria gezogen ist. Das könnte ja auch sein. Das wäre für mich besser. In dieser Himmelsrichtung hängen dicke Regenwolken. Da könnte es geregnet haben. Dann wäre er noch nicht weit gekommen. Dann könnte ich ihn noch in der Ebene erreichen. Das wäre für die Schlacht viel günstiger. Vielleicht hat er aber ja gemerkt, dass er auf der Via Salaria nicht schnell weiterkäme, hat es sich anders überlegt und versucht, doch auf die Via Cassia zu kommen und auf der weiterzuziehen. Dann stünde er jetzt irgendwo im Gebiet zwischen den beiden Straßen. Möglicherweise ist Pompeius aber ja auch gar nicht nach Norden oder Nordosten gezogen. Vielleicht hat er die Via Appia nach Süden genommen. Leider weiß ich das alles überhaupt nicht. Und solange ich nichts genaues weiß, tu ich am besten gar nichts, schicke erst mal in jede Richtung ein paar Späher los, die mir dann sagen werden, wo Pompeius tatsächlich steht, und warte ab, bis ich es wirklich weiß.“
Das hat Cäsar aber nicht getan. Er hat sich gesagt: „Wahrscheinlich ist Pompeius auf der Via Cassia nach Norden gezogen, weil er sich davon einen strategischen Vorteil versprochen hat. Ich ziehe ihm jetzt möglichst schnell hinterher, damit ich ihn noch einhole, bevor er sich in den Hügeln verschanzen kann.“
Cäsar hat nicht gewartet. Er ist einfach losgezogen, im Vertrauen auf seine Augen und seinen gesunden Menschenverstand. Und seine militärischen Erfolge beruhen zu einem großen Teil darauf, dass er nicht gewartet hat. Dass er schon da war, als der Gegner ihn noch gar nicht erwartete, noch gar nicht mit ihm rechnete.
Wer berät langen Rat,
kommt zu spät mit der Tat.
Wer geschwind sich besinnt und beginnt,
der gewinnt.
(aus dem Unterricht der Freien Waldorfschulen)
Publiziert am: Dienstag, 23. Februar 2016 (1165 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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