Flache Wege, steile Wege
Ich kann noch Wege geh’n, die eng und steil sind,
nicht nur die breiten, flachen und bequemen.
Und dafür dank' ich Gott, für den gesunden Körper,
den er mir gnädig unverdient gegeben hat.
Dass der noch stark genug für solche Wege ist,
dazu hab’ ich nur wenig beigetragen:
dass ich ihn nur in Maßen selbst geschwächt,
ihn nicht durch Gifte, Laster, Raubbau selbst geschädigt habe.
Ich will noch Wege geh’n, die eng und steil sind,
nicht nur die breiten, flachen und bequemen.
Dafür dank' ich mir selbst, für diese Haltung,
die ich aus eigenem Willen frei für mich gewählt,
für mich geschaffen und erhalten hab’,
die auch kein Gott mir jemals gnädig schenken könnte,
weil ich mich immer wieder neu für sie entscheiden muss.
Ich will nicht nur behäbig und gemütlich schlendern
über gepflegte Promenaden und durch Schlossalleen,
auf Prachtboulvards, vorbei an Stadtpalästen,
nicht nur spazieren über schnurgerade Straßen,
geglätteten Asphalt bei jedem leichten Schritt,
den meine Füße auch alleine sicher fänden,
mit offenen Augen träumend - oder sogar blind.
Ich will auch wandern auf gewundenen Hirtenpfaden,
die ich mit Kraft ersteigen muss von Stein zu Stein,
auf denen ich die wachen Augen dazu nutzen muss,
vor jedem nächsten Schritt achtsam zu prüfen,
ob ich ihn sicher auch auf festen Boden setze
statt auf Geröll, das rutscht oder Gestein, das bröckelt.
Doch will ich nicht dort übermütig klettern,
wo Mauern oder Balken nicht mehr sperrend schützen,
Seile dem Griff der Hände keinen Halt gewähren,
Leiter die Füße nicht mehr sichernd stützen,
wo über der Schlucht hoch in der Felswand,
tödlicher Absturz droht bei jedem Schritt,
bei jedem Tritt – auch wenn ich wachsam bin,
nicht Schrammen, Wunden oder schlimmstens Brüche,
wenn ich auf steilen Wegen stolper, rutsche oder falle.
Wer nur noch im Berechenbaren lebt,
im schon Vertrauten und schon lang Gewohnten,
erschlafft, ermüdet und schläft gähnend ein.
Ein nur entspanntes Leben, das ist nicht mehr spannend.
Ich steiger' meine Kraft nur, wenn ich steige,
auf flachen Grund schwindet sie mehr und mehr.
Und meinen Mut kann ich mir nur bewahren,
wenn ich mich immer neu in Unbekanntes wage.
Das Spiel des Lebens macht nur Sinn durch vollen Einsatz.
Jedoch es tollkühn-leichtsinnig aufs Spiel zu setzen,
das ist nur Unsinn, Wahnsinn - Übermut, kein Mut.
Publiziert am: Dienstag, 09. Februar 2016 (1396 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera
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