Leben im Jetzt


 

Dadurch, dass Hartmut sich in diese beiden verwandten Erfahrungen vertiefte, reifte in ihm immer stärker der Wunsch, die göttliche Gegenwart nicht unnötig zu verlassen, das Ruhen in Allah nicht aufzugeben, um sich in die Unruhe des eigenen Strebens zu stürzen.

Hartmut sah, dass man auf harten Beton knallt, wenn man auf der einen Seite vom Seil fällt. Er hatte gesehen, mit wie viel Leid es verbunden ist, wenn man „für die Früchte des Handelns lebt.“

Er sah, wie viel Lebensqualität der gegenwärtigen Erfahrung für eine zukünftige Erfahrung geopfert wird.
 

Viele seiner Patienten schufen sich unnötiges Leiden, indem sie nicht in dem lebten, was da war und so, wie es war, genug und gut war, sondern Mangel und Mängel sahen, das, was fehlte, was scheinbar nicht in Ordnung war.

Sie verhielten sich wie eine Kuh, die an einem Kanal stand, über den keine Brücke führte, und ständig auf die andere Seite des Kanals starrte, auf der anscheinend oder scheinbar das Gras grüner und saftiger wuchs. Dabei übersah sie, dass das Gras auf dieser Seite des Kanals einen entscheidenden Vorteil hatte: man konnte es fressen und das andere nicht.

Sie saßen an einer festlich gedeckten, üppigen Tafel, mit saftigen Braten, Trüffeln und edlen Weinen, und beschwerten sich beim Gastgeber, dass es keinen Kaviar und echten Champagner gab.

Sie verhielten sich wie ein Mann, der 99 Goldstücke besaß, deshalb aufgrund des Wohlstands, den er sich schon geschaffen hatte, ein angenehmes, glückliches Leben führen konnte, sich statt dessen jedoch abmühte und quälte, um das eine Goldstück zu erraffen, das ihm zu 100 Goldstücken fehlte.

 

Hartmut wollte nicht mehr genauso leben.

Er wollte für die Gegenwart, nicht für die Zukunft leben.

Er wollte aufhören, zu warten.

Er wollte schon auf dem Weg am Ziel sein.

Er wollte lieben, was ist,

nicht das lieben, was noch nicht ist -

vielleicht nie sein wird.



Folgendes Gedicht (von Jean Ringenwald) schrieb er damals in seine Spruchsammlung:


Wie lange fühlst du dich schon auf dem Weg?

Willst du denn ewig auf dem Weg sein?

Suche nicht mehr! Finde!

Wandere nicht ewig! Komme an!

 

Das Gesuchte, das Ersehnte, das Ziel

war niemals fern, war nie verloren.

Seit immer und ewig ist es in dir,

bist du in ihm angekommen. 
 

(Jean Ringenwald)

 

 

 

 

 

Publiziert am: Sonntag, 08. März 2020 (1198 mal gelesen)
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