Griechen, Römer und Germanen

 

„Sie meinen, dass es doch durchaus möglich sei, dass sich eine rückständige Kultur gegen eine fortschrittliche, eine unterlegene gegen eine überlegene durchsetzen kann; dass doch das phantasiearme Bauernvolk der Römer die kulturell und wirtschaftlich höher entwickelten Griechenstaaten besiegen und erobern konnte.

Aber das ist eben nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn die Römer waren nicht in jeder Hinsicht unterlegen. Sie hatten etwas, was den Griechen fehlte oder ihnen verloren gegangen war. Sie waren nicht nur militärisch, sondern auch politisch den Griechen überlegen. Die Griechen gaben in der hellenistischen Zeit ihren politischen Gestaltungswillen individualistisch auf, verloren sich als Einzelne in den Geisteshöhen der Künste und Philosophie. Die Römer waren bereit, unter weitgehendem Verzicht auf individuelle geistige Entwicklung, sich als Einzelwesen zum Wohl des Gemeinwesens einzuordnen und unterzuordnen, konnten so einen von (Wehr-)Bürgern gestalteten Staat schaffen.

Und kulturell blieben die Griechen ja die führende Kultur, auch als die politische Macht längst an Rom übergegangen war. Auch im Westen des Weltreichs folgte dem römische Legionär ja der griechische Lehrer auf dem Fuß. Römische Zivilisation verbreitete ja griechische Kultur, römisches Organisationstalent griechische Kunst und Wissenschaft im gesamten Imperium Romanum.“

 

„Sie meinen, auf jeden Fall seien doch die Germanen ein den Römern in jeder Hinsicht - kulturell und zivilisatorisch, politisch und wirtschaftlich -  unterlegenes Barbarenvolk gewesen; trotzdem konnten sie die überlegene Kultur besiegen, in das römische Reich einfallen und es erobern.

 

Nun, erstens haben gar nicht die Germanen Rom besiegt. Max Weber, der bekannte Soziologe, schreibt ja zu Recht: „Das römische Reich wurde nicht von außen her zerstört.“ Erinnern Sie sich an den Anfang des Gedichts, das Hartmut nach seinem Besuch der „ewigen Stadt“ geschrieben hat? „Kein Feind von außen konnte dich besiegen. Das tatst du selbst in vielen inneren Kriegen.“ Rom hat sich durch das Zusammenwirken vieler innerer Fehlentwicklungen, neben den vielen Bürgerkriegen vor allem die Folgen  der Sklavenwirtschaft,  die Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung - durch Konzentration von Geld und Eigentum in den Händen weniger Großgrundbesitzer und territoriale Überexpansion in riesige Binnenländer - selber so geschwächt, dass es schließlich von außen kaum noch besiegt werden musste. Als die Germanen Rom eroberten, war es keine überlegene Kultur mehr.

Und ihr Sieg über Rom bedeutet keinen Rückfall in rohe, wilde Zeiten. Als sie die Macht in Rom übernahmen, waren sie keine ungebildeten Barbaren mehr.

Germanen und Römer begegneten sich auf Augenhöhe. Der Wandale Stilicho, der an der Wende zum 5. Jahrhundert an der Spitze des römischen Staates stand, „vereinigte germanische Kühnheit mit raffinierter diplomatischer Kunst“ (Max Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur). Und der Ostgotenkönig Theoderich, dem man zu Recht den Beinamen „der Große“ gegeben hat, war als Geisel am Kaiserhof von Byzanz aufgewachsen und mit allen Ränkespielen und Intrigen der römischen Politik bestens vertraut.

Germanen besetzten schon seit langem wichtige Führungspositionen im römischen Reich, vor Allem in der Armee. Germanenkönige wie der Westgote Alarich oder der Franke Chlodwig waren nicht nur Heerführer ihrer Völker, sondern zugleich hochrangige römische Offiziere, die Rom oft im Kampf gegen andere Germanenstämme einsetzte. (Die Westgoten haben z. B. in Spanien die dort ebenfalls eingewanderten Wandalen und Sueben in römischem Auftrag, für römisches Gold fast völlig aufgerieben und ausgerottet.) Und diese leitenden Stellungen hatten sie sich nicht mit List und Tücke erschlichen oder mit brutaler Gewalt an sich gerissen, sondern sie waren ihnen ja vom römischen Staat bereitwillig überlassen worden, weil sie eben kluge, begabte und entschlossene Persönlichkeiten waren, die Rom selbst kaum noch hervor brachte. Sie bildeten die Machtelite, weil Römer die mit Leitungsfunktionen verbundene Last der Verantwortung nicht mehr tragen wollten.

Diese Verhältnisse der Spätantike, in der Rom ja nicht unterging, sondern sich in die Germanenreiche auf römischem Boden „transformierte“, ist ja mit der Situation im heutigen Europa gar nicht vergleichbar. Erst einmal ist Europa zum Glück weit von der Morbidität und Dekadenz des spätantiken Roms entfernt. Es ist eher vergleichbar dem Rom in seiner Spätblüte, dem Zeitalter der Adoptivkaiser. Und europäische Politiker mit orientalischen Wurzeln vom Format und mit dem Charisma eines Stilicho, Alarich oder Theoderich sind weit und breit nicht zu sehen. Die wenigen türkischstämmigen Ausnahmen an Führungspersönlichkeiten denken und handeln so europäisch wie Sie und ich, so dass von denen sicher keine Überfremdung droht. 

 

 

„Sie meinen, die Germanen hätten doch die Römer unterwandert und überfremdet, einfach durch ihre Gebärfreudigkeit und ihren Kinderreichtum? Und befürchten, dass vielleicht im Jahr 2700 der Bundespräsident Mustafa Pamukogan die Bürger seines Landes ermahnen muss, die Rechte der deutschen Minderheit zu achten?

Die Germanen sind nicht aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit die Erben Roms geworden. Sie haben auch in den meisten Gebieten, die sie in den ehemals römischen Provinzen beherrschten, gar nicht die Bevölkerungsmehrheit gestellt. Die Westgoten, die nach Gallien und Spanien, die Ostgoten, die nach Italien, die Wandalen, die nach Afrika einfielen und einwanderten, stellten dort nur eine kopfmäßig unbedeutende Oberschicht dar im Vergleich mit der einheimischen romanischen Bevölkerung, die nach wie vor die überwältigende Bevölkerungsmehrheit darstellte. Alle aufgeführten Germanenvölker sind letztlich tragisch untergegangen, weil sie in den ihnen fremden Ländern nicht wirklich Wurzeln schlagen, heimisch werden, sich integrieren konnten.

 



 

Publiziert am: Sonntag, 08. März 2020 (1175 mal gelesen)
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