Finden, verlieren, loslassen


 

„Wer sich selbst gefunden hat, kann nichts in der Welt mehr verlieren.“  

 (Stefan Zweig)

 

Und vielleicht auch:

Wer sich selbst verloren hat, kann nichts in der Welt mehr finden.

Wer in sich selber nicht zu Hause ist, ist nirgendwo zu Haus.

 

Und vielleicht auch:

Wer SICH SELBST finden will, der muss nicht, der darf nicht, 

sich selbst und die Welt verlieren.                                                                                

Er muss die Welt und sich selbst loslassen.

 

 

 

 

Kommentar:

 

In einem Film, der in Marokko spielt, 

findet sich folgender Dialog:
 

Erster Reiter: „Alles hab’ ich gehabt,

alles bin ich gewesen,

und alles hab’ ich verloren.“

 

Zweiter Reiter: „Hast DU denn nichts, Herr des Rif,

bist DU denn nichts, Gebieter des Atlas,

wofür es sich lohnt,

alles zu verlieren?“

(Beide lachen und reiten davon.)

 

 

 

 

Solange ich etwas Anderes habe als mich selbst, wirft dieses Haben einen Schatten auf das, was ich bin.

Solange ich Gunther bin, der „herrlich am Rhein sitzt“ (Wagner, Götterdämmerung) im Land, das er vom Vater geerbt hat, kann ich nicht Siegfried sein, der nichts besitzt als das von ihm selbst geschmiedete Schwert.

Wenn ich nichts mehr habe, bleibt das, was ich wirklich bin, alleine übrig, nicht mehr verdunkelt, nicht mehr vernebelt, klar sichtbar im eigenen, strahlenden Licht.

 

Ich bin dann - 

befreit vom Besitz,

besessen vom Selbst.

(frei nach Bhagavad-Gita II,45)
 

Ich habe dann, was ich bin.

Sein und Haben sind eins.

 

Dafür lohnt es sich, alles zu verlieren.

Dafür lohnt es sich, alles loszulassen.


 

 

„Freedom is just another word  for nothing left to loose.“   

 (Janice Joplin)

 

Ein junger Mann fragt Christus, was er tun muss, um das ewige Leben zu erlangen: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen! So wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach!“

Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.

Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Amen, das sage ich euch. Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“(Mt19,21-24)

 

Eine Kugel mit viel Masse und Gewicht ist zu dick.

Nur ein Punkt - ohne Ausdehnung, ohne Masse, ohne Gewicht - geht durch das Nadelöhr.

 

 

PS:

Wer nichts hat, der kann auch nichts verlieren. 

Wer nichts hat, dem kann man auch nichts wegnehmen:

 

„Ryokan, ein Zen-Meister, führte das allereinfachste Leben in einer kleinen Hütte am Fuß eines Berges. Eines Abends durchwühlte ein Dieb die Hütte, musste jedoch feststellen, dass nichts zum Stehlen da war.

Ryokan kam nach Hause zurück und ertappte ihn. „Du bist wohl einen langen Weg gegangen, um mich zu besuchen“, sagte er zu dem Vagabunden, „und du sollst nicht mit leeren Händen weggehen. Bitte, nimm meine Kleider als Geschenk!“ 

Der Dieb war verblüfft. Er nahm die Kleider und machte sich davon.

Ryokan saß nackt da und betrachtete den Mond. „Armer Kerl“, murmelte er, „ich wollte, ich könnte ihm diesen wunderschönen Mond geben.“ 

 (Reps, Ohne Worte - ohne Schweigen)

 

Wer nichts hat, der muss auch nichts schützen.

Er muss nicht krampfhaft horchen, ob nicht vielleicht ein Dieb sich anschleicht an das Haus.

Er kann seine Wachheit nutzen für etwas, nicht gegen etwas.

Er ist frei von.  

Deshalb kann er frei sein für.






 

 

Publiziert am: Samstag, 16. Januar 2016 (1239 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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