die Moschee von Cordoba
„Es gibt viele nüchterne und arme Moscheen. In einigen aber redet die Leere atemberaubend. Es geschehen in ihr keine Prozessionen, liturgischen Schauspiele oder Bilderfolgen. Aber es geschieht Raum, und in ihm das Licht, das Steigen und Fallen der Bögen, die stumme Musik der arabischen Schriftbänder, welche das Koranwort wieder in die Unergründlichkeit seines Ursprungs zurücknehmen. Von irgendwoher tönt eintöniger Gesang - ohne Ort. Irgendwo sieht man einen Beter den Oberkörper leise hin und her wiegen; so könnte es endlos weitergehen - ohne Zeit. Hier löst sich der Mensch aus dem Drang der Triebe und der Verflechtung der Zwecke. Raum und Zeit zwingen ihn nicht mehr, wenn er sich in die Weite der Moschee wie in die Weite Gottes selber verliert.“
(Heinrich Lützeler, Weltgeschichte der Kunst, S.560)
„Das Innere der Moschee wirkt mit den 19 Schiffen und 860 Säulen verwirrend, und man weiß nicht mehr, wo Anfang und Ende ist. Kennt man nicht die Richtung nach Mekka, so muss man den Mihrab geradezu suchen. Eine neue, noch nicht dagewesene Form des Kultbaus entstand hier: Raumweite schlechthin, Ausströmen des Raumes nach allen Seiten. Eine solche Anlage ist das vollendete Gegenteil des gerichteten Baus, wie ihn der ägyptische Tempel und die christliche Kirche zeigen. Es geht nicht um die Spannung zwischen Beginn und Ziel; der Beter ist in jedem Augenblick am Ziel: er atmet überall in der Grenzenlosigkeit des allmächtigen Gottes.
Zum Wirrsal des Raumes kommt die malerische Bewegtheit der Einzelformen hinzu. In zwei Stockwerken schichten sich die Überhalbkreisbögen, an denen weiße Keilsteine mit Ziegeln abwechseln. Vor dem Mihrab kreuzen sich gelappte durchbrochene Bögen phantastisch. Die Säulen sind ungemein vielfarbig: aus weißem und bunten Marmor, aus Granit, Porphyr, Jaspis, gesprenkelter Breccie. .....
Man hat geglaubt, die vielen Bogenstellungen der Moschee mit den Bogenreihen römischer Äquadukte vergleichen zu können, wie sie in Spanien mehrfach erhalten sind. Nichts ist abwegiger als dies: bei den Römern eine vernünftig-konstruktive Architektur, bei den Mauren eine irrational-poetische; dort Monumentalität, hier malerisches Glitzern; dort Schwere, hier Schweben. Auch der Sakralbau der Westkirche und des byzantinischen Reiches bleibt in der strengen Unterscheidung von Haupt- und Nebenräumen sowie in der Durchbildung der Raumachsen römischer Klarheit verwandt. In Cordoba aber verschmelzen die baulichen Formen bei der geringen Höhe von nur 11 Metern, und die Bögen überschneiden einander. Der Blick, der durch die Schluchten der unzähligen Bögen schweift, erfährt einen uferlosen Raum.
So unfasslich ist Gott. Und der Mensch ist vor ihm nicht mehr als irgendeine Säule im Säulenwald. Er soll sein Ich vergessen und im Willen Gottes untergehen. Kurz bevor man in Cordoba zu bauen begann, teilte der Mystiker Ibrahim ibn Adham (gest. 779) dies als Weisung Allahs mit: „Ich will bei dem Diener, der mich liebt, dass ich sein Gehör werde, mit dem er hört, sein Gesicht, mit dem er sieht, seine Zunge, mit der er redet, und sein Herz, mit dem er begreift.“ So sollen wir in Cordoba einschwingen in den Rhythmus des Raumes, als sei er die grenzenlose Lebensbewegung Gottes selber.
(Heinrich Lützeler, Weltgeschichte der Kunst, S. 562-563)
Publiziert am: Donnerstag, 24. Januar 2019 (1550 mal gelesen)
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