In Hermann Hesses Roman „Demian“ begegnet die Hauptperson Emil Sinclair auf dem „Weg, der zu sich selber führt“, dem Organisten Pistorius, dem Anhänger eines uralten, vorchristlichen Geheimglaubens, zu dem nur die Zugang finden, die bedingungslos sich selber suchen. Pistorius weiht Sinclair in einige Geheimnisse dieses Glaubens ein:

„Lieber Sinclair, unser Gott heißt Abraxas, und er ist Gott und ist Satan, er hat die lichte und die dunkle Welt in sich. Abraxas hat gegen keinen Ihrer Gedanken, gegen keinen Ihrer Träume etwas einzuwenden. ... (S. 109)

Und etwas später teilt er ihm mit, was das Hauptgebot dieses Gottes ist:

„Man darf nichts fürchten und nichts für verboten halten, was die Seele in uns wünscht“ (S. 111)



„Nichts ist dem Menschen mehr zuwider als den Weg zu gehen, der ihn zu sich selber führt“, lässt Hermann Hesse Sinclair schreiben. Und um sich selbst zu vermeiden, sich zu verpassen, gibt es viele wirksame Methoden. Wohl eine der verbreitetsten und erfolgreichsten besteht darin, „das zu fürchten und das für verboten zu halten, was die Seele in uns wünscht“. Wenn ich Angst vor mir selber habe, Teile von mir nicht erlaube, ablehne und bekämpfe, kann ich unmöglich zu mir selber finden. Wenn ich mich selbst verfehlen will, ist das eine unfehlbare Methode.


Das Folgende ist eine Lesung aus der (natürlich fiktiven) „Bibel des Abraxas“.





Nichts fürchten


Es gibt keinen Grund, vor irgendeinem Gedanken, vor irgendeiner Erinnerung, vor irgendeinem Gefühl Angst zu haben.

Es gibt Gefühle, die sehr unangenehm sind.

Es gibt Gefühle, die sehr schmerzvoll sind.

Doch es gibt keine Gefühle, die unerträglich sind.



Dadurch, dass ich einen Gedanken habe, tue ich nichts, kann ich auch gar nichts tun. Ich kann durch Gedanken nicht auf die Welt einwirken, nicht in der Welt wirken - nicht ohne meinen Mund, meine Hände, meine Füße.

Zu glauben, dass ich durch innere Ereignisse unmittelbar die äußere Wirklichkeit beeinflussen kann, ist ein Rückfall auf eine sehr frühe Stufe des Denkens, das „magische Denken“. Auf der haben wir alle mal gestanden. Vielleicht haben wir irgendwann als Zweijährige draußen auf einer weichen Decke gelegen. Die Sonne schien und es war angenehm warm. Doch plötzlich wurde es ungemütlich kühl. Eine Wolke hatte sich über die „liebe Sonne“ geschoben. Dann haben wir in diesem Alter gedacht, die „bösen“ Wolke soll verschwinden, und geglaubt, dass die Wolke das auch tut. Als wir ein paar Jahre älter waren, wussten wir, dass die Wolke das nicht tut.

Ich kann nur durch Denken nichts tun.

Ich kann durch Denken nur nichts tun.

(Und keiner kann durch das, was er denkt, mir etwas tun)

Keine Gedanken setzen sich selbst, von selbst in die Tat um.

Wenn ich das, was ich denke, auch tue, habe ich zugestimmt, bevor ich es tue, und nehme es wahr, während ich es tue. Keine innere Realität kann ungewollt und unbemerkt äußere Realität werden.



Manchmal erzählen mir Patienten von Befürchtungen, sie könnten etwas tun, was sie gar nicht wollen, sie könnten z. B jemanden ermorden, den sie lieben, als Mutter ihr Kind erwürgen, erstechen oder aus dem Fenster werfen.


Ich mache mit ihnen dann eine Übung aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, die das „Beobachter-Ich“ bewusst macht, den im Wachzustand ununterbrochen wachsamen Wächter, dem nichts entgeht, was in der Innenwelt geschieht (und der auch alles bemerkt, was ich tue)

(Steven C. Hayes und andere, Akzeptanz- und Commitment-Therapie, S. 204)



Ich muss keine Angst vor einem Gedanken haben. Ich kann jeden Gedanken, jedes Gefühl als inneres Ereignis in mir geschehen lassen; jeden Gedanken, so peinlich, verwerflich, verbrecherisch er auch erscheint. Ich muss das, was sich in mir denkt, ja nicht tun. Es hängt ja von mir ab, ob er auch in der Außenwelt geschieht. Und nur als inneres Ereignis tut er nichts, tut er keinem etwas, kann er nicht schaden, weder mir noch anderen.


Wenn ein inneres Ereignis nicht schaden kann, muss ich es auch nicht für verboten halten, kann es zulassen, mir erlauben, es zu haben. Jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede Erinnerung

Ich muss „nichts für verboten halten, was die Seele in uns wünscht.“