Meine Angsttherapien gliedere ich in drei Stufen:

I : Verhindern, dass man selbst die Angst zu Panik steigert

II : Günstiger Umgang mit der Angst als unangenehmes Gefühl

III . Wodurch wird die Angst aufrechterhalten?

(nicht unbedingt: Wodurch ist sie entstanden?)



I: Keine Panik - nur Angst

Panikattacken sind von allen psychischen Störungen diejenige, bei der die Prognose am günstigsten ist.

Das liegt daran, daß es eine recht einfache, unmittelbar einleuchtende Erklärung für diese Störung gibt.



Das Teufelskreismodell


Ich will Ihnen die Entstehung einer Panikattacke mal an einem Beispiel verdeutlichen: Zwei Menschen nehmen zunächst dasselbe in ihrem Körper wahr. Bei dem einen entwickelt sich daraus eine Panikattacke, bei dem Anderen nicht. Beide nehmen wahr, daß ihr Herz viel schneller schlägt. Dem Einen fällt kurz darauf ein: „Ach ja, ich bin ja auch gerade 5 Treppen hochgestiegen. Kein Wunder, daß mein Herz schneller schlägt“. Der Herzschlag kommt wieder zur Ruhe, weiter passiert gar nichts.


Der Andere findet keine ihn beruhigende Erklärung für die ungewohnte Körperwahrnehmung. Und in diesem Erklärungsvakuum greift nun eine Gewohnheit, die er schon vorher entwickelt hatte, nämlich, wenn es 10 verschiedene Möglichkeiten gibt, etwas zu erklären, von harmlos bis katastrophal, immer anzunehmen, daß mit Sicherheit nur die schlimmste Möglichkeit in Frage kommt. Diese Denkgewohnheit greift jetzt in dieser Situation. Was ist nun die katastrophalste Erklärungsmöglichkeit dafür, daß das Herz schneller schlägt? „Ich bekomme einen Herzinfarkt“. Von hier ab läuft die Panikattacke praktisch automatisch ab, wird zum Selbstläufer, den man nicht mehr beeinflussen kann. Denn jeder Mensch mit einem einigermaßen „normalen“ Gefühlsleben reagiert, wenn er ernsthaft annimmt, daß er einen Herzinfarkt bekommt, mit einem bestimmten Gefühl, nämlich Angst. Und Angst ist nun immer mit einer Reihe von körperlichen Veränderungen verbunden, die ich Ihnen jetzt mal aufzähle, wobei ich das Entscheidende bis zum Schluß aufbewahre: Bei Angst fängt man an, zu zittern, zu schwitzen, wird blaß, es wird einem schwindlig, man bekommt ein flaues Gefühl im Magen oder es wird einem schlecht, man atmet schneller - und das Herz schlägt schneller. Und jetzt merken Sie vielleicht etwas: damit hat es doch angefangen. Der schnellere Herzschlag wirkt in einer Schleife auf sich zurück, und zwar so, daß er sich selbst verstärkt. Daß das Herz jetzt noch schneller schlägt, wird von dem Betreffenden natürlich auch wieder wahrgenommen. Und er interpretiert es natürlich auch wieder entsprechend: "Ich bekomme ja tatsächlich einen Herzinfarkt". Noch mehr Angst, das Herz schlägt noch schneller usw.. In wenigen Sekunden hat man auf diese Weise die Angst selbst zu Panik hocheskaliert.

Können Sie sich in diesem Beispiel etwas wiedererkennen?


Ein solcher Teufelskreis kann bei jeder Körperwahrnehmung, die mit der Angst verbunden ist, auftreten, wenn man sie ungünstig interpretiert. Vor einiger Zeit war eine Patientin bei mir in Therapie, die Angst hatte, sie könnte zittern und jemand könnte es bemerken. Die Patientin war eine selbstbewusste, beruflich erfolgreiche Frau, und Zittern passte nun überhaupt nicht zu dem Bild, das sie von sich selbst hatte und das sie bei anderen hervorrufen wollte. Zittern durfte unter keinen Umständen passieren, und unter keinen Umständen durfte jemand es bemerken. Nun ist unglücklicherweise Zittern eines der körperlichen Veränderungen, die bei Angst auftreten, und deshalb wirkt die Angst, zu zittern, wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die Angst, zu zittern führt dazu, dass man wirklich zittert, die Erwartung verwirklicht sich in dem, was tatsächlich passiert. Wenn das Zittern dann wahrgenommen wird und als etwas interpretiert wird, was auf keinen Fall passieren darf und was auf keinen Fall bemerkt werden darf, führt diese ungünstige Interpretation zu noch stärkerer Angst, die das Zittern noch weiter verstärkt, was wiederum die Angst weiter verstärkt und so entsteht auch in diesem Fall ein sich selbst verstärkender Wirkungskreislauf (der kybernetische Fachausdruck dafür ist positives Feedback).


Unter einem etwas anderen Gesichtspunkt betrachtet besteht der hier erwähnte Teufelskreis aus einer sich verstärkenden Wechselwirkung zwischen zwei Gefühlen: Sich Schämen und Angst.

Die unglückliche Interpretation, die den Teufelskreis auslöst und aufrechterhält, ist in diesem Fall nicht das Missverstehen einer harmlosen Körperwahrnehmung als gefährlich oder lebensgefährlich (eine Katastrophisierung), sondern besteht darin, dass der Körperwahrnehmung (Zittern) die Bedeutung eines absoluten Verbots gegeben wird, wodurch man sich sehr unter Druck setzt, eine starke Spannung aufbaut, die wegen des engen Zusammenhangs zwischen Spannung und Angst dann die Angst verstärkt. Dieser druckerzeugende Gedanke führt deshalb auch nicht zu Panik im engeren Sinn (die mit Todesangst verbunden ist), sondern nur zu starker Angst. Der „Zittern-Teufelskreis“ ist jedoch ein anschauliches zusätzliches Beispiel für die eskalierende Rückkopplung, die ausgelöst wird, wenn man einer Körperwahrnehmung, die bei Angst auftritt, eine ungünstige Bedeutung gibt.

Aber kehren wir nach diesem Exkurs wieder zur Panik im engeren Sinne zurück. Immer dann, wenn man eine ungewohnte, merkwürdige Körperwahrnehmung nicht richtig deutet als eine Ausdrucksform von Angst, sondern sie missversteht als Zeichen für eine schlimme Krankheit, körperlichen Zusammenbruch, eine (lebens)gefährliche Bedrohung, „steigert man sich in die Angst rein“, eskaliert man selbst Angst zur Panik hoch. Dabei gibt es nun einige typische Kopplungen zwischen bestimmten Körperwahrnehmungen und entsprechenden katastrophisierenden Interpretationen:


Wie im ersten Beispiel schon dargestellt,

zwischen Veränderungen des Herzschlags und der Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen

zwischen Luftnot und der Angst, zu ersticken

zwischen Schwindelgefühlen und der Angst, in Ohnmacht zu fallen


Ich werde später auf jede dieser drei Kopplungen einzeln ausführlicher eingehen. Dabei wird deutlich werden, dass es sich bei diesen Deutungen um teilweise absurde, groteske Miss-Verständnisse handelt: dass man dabei etwas annimmt, was gar nicht möglich ist oder genau das Gegenteil passiert von dem, was man sich vorstellt.



Ich habe nur Angst, bin nicht krank


Wenden wir uns zunächst den praktischen Schlussfolgerungen aus dem Teufelskreismodell zu. Die entscheidende Stelle dafür, das der Teufelskreis zustande kommt und aufrechterhalten wird, liegt ja zwischen der Körperwahrnehmung und ihrer katastrophisierender Interpretation. Dem entsprechend liegt es nahe, den Teufelskreis genau an dieser Stelle zu unterbrechen. Und das macht man, indem man sich einige Sätze klar macht, sie möglichst gründlich versteht


I. Ich habe nur Angst, und Angst ist eine normale, gesunde Reaktion, keine Krankheit.

II. Angst ist unangenehm, aber nicht gefährlich.


Diese Sätze entziehen der Katastrophisierung den Boden, auf dem sie sich aufbauen kann: die Annahme, dass sich mein Körper in einem kranken, lebensbedrohlichen Zustand befindet. Die mich so stark beunruhigenden körperlichen Vorgänge deuten gar nicht auf eine Krankheit hin, bedeuten gar nicht, dass der Körper nicht mehr richtig funktioniert, sich in einem gefährdeten und (lebens)gefährlichen Zustand befindet. Sie bedeuten nur, dass ich Angst habe, eine Gesamtreaktion des Organismus, die sowohl seelische als auch körperliche Aspekte hat. Und diese Gesamtreaktion ist völlig normal, gesund. Der Körper arbeitet in dieser gemeinsamen Reaktion wunderbar mit der Seele zusammen, unterstützt die Seele und den Geist mit allen seinen Möglichkeiten bestens; er funktioniert optimal, besser kann er gar nicht funktionieren. Der Körper befindet sich in einem Zustand, der gewissermaßen das genaue Gegenteil von Krankheit bedeutet, einem Zustand gesteigerter Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, in dem er alle seine Möglichkeiten sinnvoll, effektiv und aufeinander abgestimmt nutzt und einsetzt. Dass Angst eine gesunde Gesamtreaktion des Organismus ist, in dem viele körperliche und seelische Prozesse im Sinne eines gemeinsamen Ziels zusammenwirken, macht es auch recht einfach, Angst von einer bedrohlichen Krankheit zu unterscheiden. Bei einer Krankheit fehlt nämlich eine solches sinnvolles Zusammenwirken. Um das deutlich zu machen, füge ich an dieser Stelle eine Liste der körperlichen Veränderungen ein, die bei Angst auftreten können:


1. Taubheit oder Kribbeln in Körperteilen

2. Schwächegefühl in den Beinen

3. Geschwollene Zunge

4. Schwitzen

5. Gefühl, der Ohnmacht nahe zu sein

6. Brennende Augen

7. Erstickungs- und Würgegefühle

8. Hitzewallungen oder Kälteschauern

9. Juckreiz

10. Schwindel oder Benommenheit

11. Zittern oder Beben

12. Atemnot oder Kurzatmigkeit

13.Schnelles, flaches Atmen mit offenem Mund („Hecheln“)

14. Eingeengtes Sichtfeld (Röhrensehen)

15. Herzklopfen, Herzrasen oder

unregelmäßiger Herzschlag

16. Schmerzen oder Beklemmungsgefühle

in der Brust

17. Süßer Geschmack im Mund

18. Übelkeit oder Magen/Darmbeschwerden

19. Blass werden


Es ist nun typisch für einen Angstzustand, dass viele oder wenigstens mehrere dieser körperlichen Veränderungen gleichzeitig, gemeinsam auftreten. Wenn Sie also merken, dass Ihr Herz schneller schlägt, Ihre Knie schlottern, Ihnen schwindlig ist, Sie wie ein hechelnder Hund atmen, schwitzen, Ihnen ganz flau im Magen wird, Ihre Arme sich taub anfühlen, Sie einen Tunnelblick entwickeln und kreidebleich geworden sind, können Sie sicher sein, dass sie nur Angst haben und keinen Herzinfarkt bekommen. Denn bei einem Herzinfarkt treten diese „Symptome“ nicht gemeinsam auf.



Der Kampf mit dem Mammut


Worin besteht denn nun der gemeinsame Zweck, für den diese ganzen körperlichen Veränderungen mit einigen psychischen Prozessen aufeinander abgestimmt zusammenwirken?

Er besteht darin, uns gegen eine äußere Gefahr zu schützen. Die Angst ist die Gesamtreaktion, die die Natur - oder wer auch immer - entwickelt hat, um uns gegenüber einer äußeren Gefahr optimal auszurüsten.
Ich will das mal an einem Beispiel veranschaulichen. Vor 10000 Jahren standen wir Menschen noch nicht mit einer Kalaschnikow, sondern nur mit einem Steinspeer bewaffnet riesigen Urtieren gegenüber. Nehmen wir einmal an, es taucht plötzlich hinter einer Felsnase - 50 Meter entfernt - ein Riesenmammut auf, das auch noch in gereizter Stimmung ist. Dann braucht der relativ kleine Mensch mit seinem relativ unwirksamen Steinspeer nicht erst in zwei Minuten, sondern ganz schnell, so plötzlich wie das Mammut aufgetaucht ist, jede Menge Energie, um entweder dem Untier mit aller Kraft den Steinspeer zwischen die Augen zu werfen oder zu flüchten. Und dieses Zur-Verfügung-Stellen maximaler Energie, das ist die Angstreaktion. Man nennt Angst deshalb auch Kampf-Flucht-Reaktion. Adrenalin wird freigesetzt, dadurch wird der ganze Organismus auf einen Hochleistungszustand getrieben. Wenn Sie einen 100-Meter-Läüfer und jemanden, der gerade eine Panikattacke erlebt, mit der Videokamera aufnehmen und den Kontext wegschneiden, können Sie nicht mehr unterscheiden, wer was ist. Um sich für den Kampf mit dem Mammut aufzurüsten und auszurüsten, wird der Kreislauf angeregt. Deshalb schlägt das Herz schneller. Dann muss natürlich auch die Versorgung mit Sauerstoff auf dasselbe Niveau angehoben werden. Deshalb gehen Sie bei Angst in dieses schnelle, flache Atmen mit offenem Mund, dieses „Hecheln“ über, weil das die Art, zu atmen, ist, wodurch möglichst schnell möglichst viel Sauerstoff in den Körper gepumpt wird. Der Sinn dieser Reaktionen leuchtet ja unmittelbar ein. Aber auch viele andere körperliche Veränderungen, die bei Angst auftreten, haben einen hohen biologischen (Überlebens-)Wert im Sinne einer optimalen Ausrüstung für einen Kampf. Nehmen wir z. B das Schwitzen. Der Kampf mit dem Mammut ist ja vielleicht nicht in 5 Sekunden vorbei. Vielleicht dauert er ja lange, vielleicht muss das schwache Menschlein ja auch vor dem Untier fliehen, auch das über einen längeren Zeitraum. Dann braucht man ein Kühlsystem, damit man nicht überhitzt. Dazu dient das Schwitzen. Außerdem sorgt der Schweiß auf der Haut dafür, dass man von einem Gegner nicht so leicht gepackt und festgehalten werden kann, er abgleitet. Oder nehmen wir das Zittern. Es ist ja durchaus sinnvoll, für das Kämpfen Spannung in den Muskeln aufzubauen, aber wenn die Spannung in einen Krampf übergeht, ist das dann weniger günstig. Stellen Sie sich mal vor, der Mensch flüchtet vor dem Mammut, bekommt plötzlich einen Wadenkrampf und stürzt. Das Ungetüm braucht nur einmal auf ihn zu treten. Das war ´s dann. Damit das nicht passiert, sorgt das Zittern dafür, dass die Spannung rechtzeitig, bevor sie sich in einen Krampf steigert, wieder aufgelöst wird. Oder nehmen wir das Blass-Werden. Welchen biologischen Sinn hat denn das? Wenn das Mammut das flüchtende Menschlein nun doch einholt, aber nicht sofort ins Jenseits befördert, sondern nur verletzt, bedeutet
das Blass-Sein, dass sich das Blut von der Peripherie zur Körpermitte zurückgezogen hat. Man verblutet dann nicht so schnell.



Angst ist unangenehm, aber nicht gefährlich


Nun gut, könnten Sie an dieser Stelle einwenden. Ich habe jetzt verstanden, dass Angst nichts Krankes, sondern etwas durchaus Gesundes ist, dass deshalb gar keine (Lebens-) Bedrohung durch eine gefährliche Krankheit besteht. Ich habe nur Angst, bin nicht krank. Aber kann denn die Angst nicht auch selbst gefährlich werden? Nein - aus einem einfachen Grund: dazu ist sie nicht da, das würde ihrem zentralen Sinn und Zweck widersprechen. Die Natur – oder wer auch immer - hat ja die Angst mit sehr viel Intelligenz und Kreativität zu einem wunderbar funktionierenden Mittel gestaltet, uns optimal gegen eine Gefahr auszurüsten. Sie - oder er? - wird doch jetzt nicht so dumm sein, zuzulassen, dass der von ihr entwickelte Schutz vor einer Gefahr selbst zu einer Gefahr wird.

Nun gut, könnten Sie wieder sagen. Das ist nur eine kühne Hypothese, eine willkürliche Schlussfolgerung. Woher weiß ich, dass das wirklich so ist?

Ich weiß es, weil es dafür Beweise gibt, Erfahrungstatsachen, die man sehen kann. Ich will Ihnen einen solchen Beweis, den ich selbst gesehen habe, mal vorstellen. Während meiner Ausbildung zum Psychotherapeuten wurde uns mal ein Lehrfilm über die Behandlung einer spezifischen Phobie gezeigt, nämlich einer Angst vor Mäusen. Man sah in dem Film einen langen, schmalen Raum. An der kurzen Wand, die der Tür gegenüberlag, stand nicht, sondern „klebte“ geradezu ein Mann in mittlerem Alter, die Arme und Hände etwas abgespreizt krampfhaft an die Wand gepresst. In der Nähe des Eingangs saß vor einem bis auf eine Ausnahme kahlen Schreibtisch eine noch recht junge Frau, anscheinend die Therapeutin. Die erwähnte Ausnahme bestand in einem Gitterkäfig mit einer Maus darin. Die Kamera schwenkte wieder zurück zu dem Mann an der Wand. Man konnte jetzt sehen, dass er leicht zitterte und dass sein Gesicht schon einigermaßen blass aussah. Aufgrund der theoretischen Kenntnisse, die ich schon über eine typische Therapie bei einer spezifischen Phobie erworben hatte, wusste ich in Etwa, was jetzt weiter passieren würde. Bei diesen Ängsten wird in Absprache mit dem Patienten die Angst absichtlich verstärkt. Dass das nichts mit Sadismus oder Masochismus zu tun hat, wird später noch deutlich werden. Man sah also in dem Film, dass jetzt eine zweite Maus im Käfig herumlief, dass der Schreibtisch mit Käfig und Mäusen näher an den Patienten heran geschoben wurde, dass schließlich die Mäuse, aus dem Käfig frei gelassen, auf dem Fußboden herumliefen. Die Kamera schwenkte zwischendurch immer wieder zu dem Patienten. Man sah dann, dass das Zittern immer gröber wurde. Die Farbe war jetzt fast vollständig aus seinem Gesicht verschwunden, er schien sich noch krampfhafter an die Wand zu klammern. Und dann sah man etwas Unerwartetes, Merkwürdiges. Die Mäuse liefen nach wie vor auf dem Fußboden herum. Daran hatte sich nichts geändert. Aber bei dem Mann an der Wand hatte sich anscheinend etwas geändert oder war dabei, sich zu ändern. Man konnte sehen, dass das Zittern allmählich wieder feiner wurde. Auch kehrte anscheinend die Farbe in das Gesicht des Mannes zurück. Und er schien sich weniger krampfhaft an der Wand fest zu halten. Am Schluss des Films sah man viele Mäuse, die frei im Raum herumliefen. Teilweise kletterten sie auch über die Schuhe des Mannes, der immer noch an der Wand lehnte, aber jetzt in einer anscheinend lockeren Haltung. Sein Gesicht hatte seine volle Farbe zurückgewonnen. Und er lächelte.

Was ist denn hier passiert? Das, was man Habituation nennt:

Der Organismus bremst selber die Angstreaktion ab, bevor sie schädlich werden könnte. Er lässt nicht zu, dass die Reaktion, die gegen eine Gefahr schützen soll, selbst zu einer Gefahr wird.






Geheimdienst, Regierung, Panzerkommandeure

Stelle dir, lieber Leser, mal einen Staat vor – mit einem Geheimdienst, einer Regierung und Lagerhallen und Fabriken für Panzer. Nun sind die Beziehungen zum westlichen Nachbarn stark angespannt. Beim Geheimdienst liegen die Nerven blank und er fängt an, Bedrohliches zu sehen, das es gar nicht gibt, Panzerverbände, die der Nachbar an die Grenze verlegt hat. Der Geheimdienst gibt diese falsche Information an die Regierung weiter. Und die Regierung, die bisher keinen Grund hatte, die Meldungen des Geheimdienstes anzuzweifeln, glaubt diesen Informationen. Bis hierhin sind also zwei Fehleinschätzungen passiert. Was ab jetzt passiert, ist jedoch völlig plausibel und vernünftig. Die Regierung gibt jetzt den eigenen Panzerlagerstätten und –Panzerfabriken die Anweisung, die eigenen Panzer auch in Richtung Grenze rollen zu lassen und neue zu bauen. Und der für die Panzer zuständige General verhält sich einfach wie ein loyaler Mitarbeiter gegenüber seinem Chef. Er führt die Anordnung durch, den Befehl aus, und zwar mit maximalem Einsatz und optimaler Kreativität und Intelligenz. Die an die Grenze rollenden Panzer verstopfen jetzt natürlich die Autobahn und behindern den Berufsverkehr. Und jetzt passiert ein weiterer Fehler, ein Fehler, der eine sich selbst verstärkende Spirale auslöst. Die Regierung verwechselt die eigenen Panzer, die ja das Land schützen wollen, mit fremden, die das Land bedrohen. Also ordnet sie an, noch mehr Panzer zu bauen, gegen die scheinbar fremden, in Wirklichkeit eigenen. Die werden natürlich wieder für fremde gehalten, und so weiter, und so fort.

In dieser Geschichte sind der Geheimdienst und die Regierung der Geist, die Panzerlager und Panzerfabriken der Körper. Die Fehler in der Geschichte macht der Geist, nicht der Körper. Der Körper macht nur seinen Job, und das hervorragend, optimal. Er stellt dem Geist alles zur Verfügung, was dieser für den Kampf mit der scheinbaren Bedrohung braucht. Und das tut er in der kürzesten Zeit und mit der effektivsten Logistik. Die militärischen Genies Alexander der Große, Cäsar und Napoleon würden vor bewunderndem Neid erblassen, wenn sie diese perfekte Organisation einer Aufrüstung sähen.

Wichtig ist es, selbst die Verantwortung für die Angst zu übernehmen, nicht dem völlig unschuldigen, mir treu dienenden Körper den schwarzen Peter zuzuschieben, ihn zum Sündenbock für die eigenen Fehler zu machen. Die Angst ist etwas, was ich selbst verursache, mir selbst einbrocke, indem ich eine Gefahr sehe, Gespenster sehe, die es gar nicht gibt, und indem ich Freund und Feind verwechsel, Eigenes und Fremdes, innen und außen. Ich sehe in der Angst, die die Natur so großartig erfunden hat, um mich gegen eine Gefahr zu schützen, selber eine Gefahr. Was für ein Missverständnis!

Nicht der Körper bedroht mich, ist eine Gefahr, weil er krank ist, nicht mehr funktioniert. Er ist völlig gesund, funktioniert tadellos. Ich dagegen mute ihm einen Aufwand zu, der gar nicht nötig ist.



Und was der Körper tut, was in ihm geschieht, ist Wirkung, nicht Ursache. Ich selbst bin die Ursache, die diese Wirkung bewirkt.

Und es macht ja gar keinen Sinn, die Wirkung beseitigen zu wollen, wenn man die Ursache weiterwirken lässt.

Wenn man einen Wasserhahn aufgedreht hat, so dass unten natürlich aus dem Krahn Wasser herausfließt, dann kann man natürlich jetzt Eimer nehmen, das Wasser auffangen und im Garten ausschütten. Aber sinnvoll ist das nicht. Sinnvoll ist es, den Hahn zuzudrehen.

Wenn ich auf einem Trimmrad sitze und in die Pedale trete, dreht sich natürlich vorne das Rad. Wenn mich nun aus irgendeinem Grund die Bewegung des Rads stört, kann ich mich natürlich nach vorne beugen und versuchen, mit der Hand das Rad anzuhalten. Wenn ich dabei aber weiter in die Pedale trete, scheuere ich mir in kurzer Zeit die Hand auf. Sinnvoller ist es, zu akzeptieren, dass sich das Rad dreht, mich nicht zu bemühen, daran etwas zu ändern, und statt dessen aufzuhören, in die Pedale zu treten.





„Nun gut“, wirst du, lieber Leser, an dieser Stelle vielleicht sagen. „ Dass Angst nicht gefährlich ist, hab’ ich jetzt verstanden. Aber es ist doch auf alle Fälle ein unangenehmes Gefühl. Manchmal sogar ein sehr unangenehmes Gefühl. Wie soll ich denn damit umgehen?“

Diese Frage führt uns auf die zweite Stufe der Therapie





II: Umgang mit der Angst als Gefühl



A: Was nicht sinnvoll ist


Die Angst bekämpfen und beseitigen zu wollen, ist unmöglich und sogar schädlich


1.: Es ist nicht möglich

Die Angstsymptome sind autonome Reaktionen des Körpers, die ich gar nicht beeinflussen kann

Zwei Ausnahmen: Atmen und Verengung des Sehfelds

(wird noch ergänzt)



2. Es ist schädlich

Jede nicht akzeptierende Haltung gegenüber der Angst verstärkt nur die Angst. Angst ist ja ein Höchstmaß an Spannung, und wenn ich der Angst mit einer Haltung begegne, sie mit aller Macht zu bekämpfen, sie unbedingt loswerden zu wollen, ist auch diese Haltung wieder Spannung. Ich begegne Spannung mit Spannung, ich füttere Spannung mit Spannung, mit ihrer eigenen Energie.

In einem Science-Fiction-Film wird die schon geeinte Erde von Außerirdischen angegriffen. Die haben einen „Ball des Bösen“ gebaut, einen großen Meteoriten, der alle denkbaren Übel in sich vereinigt: todbringende Waffen, Gifte, resistente Viren, schädliche Stoffe. Und lassen ihn jetzt auf die Erde zurasen. Die Weltregierung kommt auf die nahe liegende Idee, sämtliche Atomwaffen, die noch als Überbleibsel einer Gott sei Dank vergangenen Zeit irgendwo auf der Erde existieren, auf diesen „Ball des Bösen“ zu schießen, um ihn aufzuhalten oder zu zerstören. Man setzt diesen Plan auch in die Tat um. Die Atomraketen treffen auch, man sieht auch die Explosionen des Einschlags. Und leider sieht die Menschheit zu ihrem Entsetzen nach jedem Treffer auch noch etwas Anderes, womit man nicht gerechnet hatte. Der „Ball des Bösen“ ist noch größer geworden. Man hat ihn nur mit der eigenen Energie gefüttert, noch stärker, noch bedrohlicher gemacht.





Die Angst als Gefühl bekämpfen zu wollen ist also schädlich.

Ebenso schädlich ist es, der Angst im Verhalten zu folgen, Angst vermeiden zu wollen, ihr ausweichen zu wollen




Stelle dir vor, lieber Leser, du stehst vor einem Schloss, das im Reiseführer als Sehenswürdigkeit angepriesen wird. Deshalb willst du es besichtigen. Du willst es auch schon betreten und dem empfohlenen Rundgang durch die Räume folgen, als dir leider der Gedanke kommt: „In dem Schloss gibt es sicher Gespenster! Ich habe Angst“

Du hast jetzt natürlich zwei Möglichkeiten. Du kannst entweder deiner Angst folgen und draußen bleiben. Oder du kannst trotz der Angst, mit der Angst, durch das Schloss gehen.

Natürlich wirst du dann Angst haben. Es ist nicht möglich, dir die Angst zu ersparen, ohne Angst durch das Schloss zu laufen. Nur wenn du dir zutraust und zumutest, die Angst zu ertragen, kannst du die Erfahrung machen, dass gar nichts Unangenehmes passiert. Du weißt, wenn du das Schloss wieder verlässt: Kein schreckliches Monster ist über mich hergefallen und hat mir das Gesicht zerkratzt. Es hat noch nicht einmal ein kleines, neckisches Gespenstchen an den Haaren gezupft. Nicht ist passiert, gar nichts. Du hast eine Erfahrung gemacht, die deine Phantasie korrigiert, eine Erfahrung, die deinen Glaubenssatz „In einem Schloss gibt es Gespenster“ in Frage stellt und abschwächt. Wenn du das nächste Mal vor einem Schloss stehst, wirst du schon weniger an Schlossgespenster glauben und weniger Angst haben. Und wenn du zehn mal durch ein Schloss gelaufen bist, fragst du dich vielleicht, ob es vielleicht doch gar keine Gespenster gibt.

Diese korrigierende Erfahrung kannst du jedoch nur machen, wenn du mit Angst durch das Schloss läufst. Wenn du die Angst vermeiden willst und draußen stehen bleibst, kannst du die Angst nicht schwächer machen. Im Gegenteil. Du machst sie stärker. Denn du gibst der Phantasie, dass im Schloss schreckliche Gespenster auf dich warten, ja Recht, bestätigst sie durch das, was du tust.. Wenn du das nächste Mal vor einem Schloss stehst, wirst du noch mehr Angst haben, es zu betreten.



Der Weg aus der Angst heraus führt mitten durch die Angst hindurch. Und je länger du versuchst, dieses Durchgehen aufzuschieben, zu verzögern, desto stärker wird die Angst.

Es ist so, als wärest du in einem langen, schmalen Laden – irgendwo in der Mitte. Da siehst du, dass hinter dir, zwischen dir und dem Ausgang, ein Feuer ausgebrochen ist. Es ist noch ziemlich klein. Wenn du jetzt an dem Feuer vorbei auf den Ausgang zuläufst, wird es für ein bis zwei Sekunden unangenehm heiß, doch du wirst dich nicht verbrennen. Du würdest dir eine zwar unangenehme, doch durchaus erträgliche Erfahrung zumuten. Du kannst natürlich warten. Doch das Feuer wartet nicht. Es breitet sich weiter aus. Nach der Zeit, die du gewartet hast, kannst du zwar immer noch durch das Feuer laufen. Doch jetzt wirst du dich ernsthaft verbrennen. Und wenn du noch länger wartest, kommst du nicht mehr durch und erstickst im giftigen Qualm.





B: Was sinnvoll ist:

Akzeptieren und Ignorieren


Ein sinnvoller Umgang mit der Angst als Gefühl ist eine Kombination von Akzeptieren und Ignorieren:

Was das bedeutet, kann man schön an einer kleinen Geschichte verdeutlichen:

Stell dir vor, lieber Leser, du bist auf dem Weg zu einem Markt. Da willst du etwas kaufen, was dir wichtig ist und was es nur an diesem Tag und nur da gibt. Du weißt, dass sich ab und zu - für dich nicht vorhersehbar und einschätzbar, ein unangenehmer Kerl an deine Fersen heftet und dir hinterherläuft. Er will, dass du ihn auf den Markt mitnimmst. Die ersten Male hast du versucht, ihn abzuschütteln und wegzujagen. Dann wurde er aber jedes Mal nur noch penetranter, weil er letztlich nur erreichen wollte, dass du dich um ihn kümmerst, ihn wichtig nimmst. Und diese Wichtigkeit bekam er ja auch dadurch, dass du ihn beschimpftest, ihn schlugst und tratst. Inzwischen weißt du also, dass solche Reaktionen kontrapositiv sind. Du hast inzwischen auch gemerkt, dass dieser Kerl zwar unangenehm, aber harmlos, nicht gefährlich ist. Er geht dir auf die Nerven, indem er pausenlos dummes Zeug quatscht, außerdem stinkt er, aber du kannst sicher sein, dass er nicht plötzlich ein Messer zieht und dir in den Rücken stößt.

Heute, auf dem Weg zum Markt, ist es mal wieder so weit. Er taucht wieder auf. Und inzwischen hast du gelernt, sinnvoll mit ihm umzugehen. Du drehst dich einfach um und sagst zu ihm ruhig und gelassen: „Ach, du bist auch mal wieder da. Dann gehen wir eben ein Stück zusammen..“ Und danach drehst du dich um und kümmerst dich nicht weiter um ihn. Du wendest dich wieder dem zu, was dir wichtig ist: auf dem Markt das zu kaufen, was du kaufen willst.





III: Was verursacht die Angst und hält sie aufrecht?



Zusammenhang von Stress und Angst


Es gibt einen einfachen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen Anspannung (neudeutsch „Stress) und Angst:

Wenn Spannung über ein bestimmtes Maß ansteigt, verwandelt sie sich in zwei andere Erfahrungen. Schmerz und Angst. Die erste kennt jeder, und du kannst sie sofort mal selbst ausprobieren: Presse eine Hand immer stärker zu einer Faust. Nach einiger Zeit tut das weh. Die andere Erfahrung ist weniger klar und deshalb weniger bekannt, tritt aber mit derselben gesetzmäßigen Zuverlässigkeit ein: Wenn Spannung eine gewisse Grenze überschreitet, verwandelt sie sich in Angst.


Das bedeutet natürlich Folgendes: Wenn ich mich in einer insgesamt angespannten Lebenssituation befinde, meine chronische Grundspannung schon sehr hoch ist, genügt eine eigentlich unbedeutende Erfahrung, die die Spannung noch ein Bisschen weiter anwachsen lässt, um Angst auszulösen. Es fällt vielleicht ein Löffel vom Tisch oder ein Hase läuft ein paar Meter vor dem Auto quer über die Straße. Das erhöht bei jedem etwas die Spannung. Wenn wir uns in einer ausgeglichenen, entspannten seelischen Verfassung befinden, bemerken wir das kaum oder gar nicht. Wenn wir aber sowieso schon stark angespannt sind, reicht diese Erfahrung aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen und Angst auszulösen.



Das führt für die Behandlung der Angst natürlich zu folgender naheliegender Frage:

Wodurch erschaffe ich mir diese hohe Grundspannung bzw. wodurch halte ich sie aufrecht?


Wenn man dieser Frage folgt, stößt man ziemlich schnell auf eine Reihe von Einstellungen und Haltungen, die natürlich eine hohe chronische Anspannung hervorrufen. Wenn ich z. B glaube, dass ich in jedem Lebensbereich und jeder Lebenssituation perfekt sein muss, weil ich sonst gar nichts wert bin, ich nur die Wahl habe, ein Genie zu sein oder ein totaler Versager, der keine Lebensberechtigung hat, muss ich notwendigerweise ständig angespannt sein.


Solche ungünstigen Grundeinstellungen herauszuarbeiten, bildet dann den Schwerpunkt der dritten Therapiephase.