An Marko

 

Du hast gelebt für Berge und für Schnee.

Durch Schnee der Berge bist du auch gestorben..

 

 

Du brachst an diesem Freitag Morgen, dem 26. April 2019, von der Finsteraarhornhütte auf.

An der Konkordiahütte kamst du nicht mehr an.
 

Vielleicht hattest du vorher - vorsichtig, wie du ja fast immer warst, den Hüttenwart nach der Wetterlage gefragt.

„Lawinenwarnstufe drei: Das ist nichts Besonderes. An den Bergen etwas Nebel, etwas Wind. Nichts, was Lawinen begünstigt. Man kann es noch wagen, los zu gehen.“

Also gingst du los - mit der Gruppe, die du führtest.

Vorsichtig: 50 Meter Abstand zwischen jedem von euch; damit schlimmstenfalls nur einer von einer Lawine erfasst wird, die anderen noch helfen oder Hilfe holen können.

Doch dann kam sie - noch schlimmer – mit übermächtiger Wucht und einer Schnelligkeit, die Entkommen unmöglich machte: Eine Lawine, die euch alle vier überrollte und unter sich vier Meter tief begrub.

 

Ich habe mich gefragt, was du wohl in den letzten Minuten deines Erdenlebens erlebt hast, lasse dann etwas meine Phantasie spielen. Deine kleine Gruppe ist ja den Hang bis zur Grünhornlücke hochgestapft, die Kerbe in der Kette, die den Fieschergletscher vom großen Aletschgletscher trennt. Schon mit angeschnallten Skiern? Oben angekommen, erst mal verschnaufen. Der anstrengende Teil lag jetzt ja hinter euch. Jetzt ging es nur noch abwärts. Ihr konntet schon, greifbar nah, die Konkordiahütte liegen sehen. Vielleicht noch eine halbe Stunde. Am Sattel bot sich euch der Blick auf das beeindruckende Aletschhorn. Vielleicht seid ihr ja ein oder zwei Minuten dort stehen geblieben, um die großartige Aussicht auf euch wirken zu lassen. Dann haben diese Minuten euch das Leben gekostet.

Kaum hattet ihr euch mit den Skiern in den schmalen Bachgrund geschwungen, da kam schon die Lawine, von hinten rechts, und riss euch mit. Dass ihr sie hören konntet, nutzte euch nichts mehr. In der schmalen Rinne hattet ihr keine Chance.

Eine Minute früher los zu fahren, hätte euch gerettet. Ihr wärt schon hinter einem Felsengrat verschwunden gewesen, einer schützenden Wand, von den abwärts stürzenden Schneemassen nicht mehr erreichbar.

Eine Minute länger auf dem Kamm zu warten, hätte euch auch gerettet. Ihr hättet sie gesehen, nicht nur gehört. Und hättet sie vor euch ins Tal donnern lassen.

Das, was geschehen wäre, ist nicht, was geschah. Es konnte jedoch nur gescheh' n genau in diesen wenigen Sekunden.

Natürlich hab' ich mich auch gefragt, wie stark, wie lange du gelitten hast. Hat dir die Härte des Aufeinanderprallens sofort die Lungen eingedrückt? Manche Lawinen sind ja schneller als ein Rennwagen. Oder bist du erstickt? Wenn ja, wie lang hat das gedauert? Ich hab' gelesen: Das geht schnell, zwei bis fünf Minuten. Doch wie schmerzvoll waren die dann?

 

Doch warum frage ich das alles mich? Ich weiß es doch nicht.

Ich frage lieber dich. Du weißt es ja.

Schicke mir bitte eine Antwort - durch irgendwas!

Ich werde gut auf deine Zeichen achten.

 

Als du hoch in den Bergen starbst,

las ich gerade weit entfernt Spinoza,

und spürte gar nicht, dass bei dir

die Uhren stehen blieben und die Zeit erstarrte.

 

Dein Tod war so, wie ich ihn dir gewünscht hätte - 50 Jahre später.

Anscheinend hast du - wenn überhaupt - nur kurz gelitten.

Der Tod kündigte sich nicht an durch düstere Wolken.

Aus heiterem Himmel traf er dich.

Die Lawine riss dich aus einem glücklichen Leben, an einem glücklichen Tag.

Wäre es ein Tag nach 50 Jahren gewesen, es wäre „ein guter Tag zum Sterben“ gewesen.

 

Auf dem Kalender, den du uns zu Weihnachten geschenkt hast, fällt mein Blick auf das Bild zum Mai:

Drei Menschen in den Bergen, offensichtlich in lebensfrohem Einklang miteinander, freudig gelöst und beschwingt - du, deine Frau, dein Kind.


 

 

Du selbst - für dich allein - hattest noch nicht den „Gipfel“ deines Lebens erreicht:

Du hattest ja noch Touren zum Kilomandscharo und zum Mount Everest geplant.

 

Bereitwillig hätte ich dem Universum mein eigenes Leben zum Tausch angeboten für deins.

Vor mir liegen ja keine Berge mehr, die ich ersteigen wollte.

 

 

 

 

Doch war es nur das Schicksal, das

- blind um sich schlagend -

gerade dich zufällig traf?

Passt dieser Tod nicht doch zu deinem Leben?

Nach zähem ersten Kampf gewannst du es.

Mit Mut dem Kampf gestellt hast du dich oft.

Mit Tapferkeit musstest du überwinden deine Angst.

Du warst gekrönt jetzt mit dem Lorbeerkranz des Siegers.

Als Triumphator standest du in deinem Wagen.

Da stieß dich eine jähe Windbö in die Tiefe.

Der Sturz, der hat dir das Genick gebrochen.

Es war ein letzter Kampf, ein Kampf, der keiner war.

der gar nicht zu gewinnen war.

 



 

Eine großartigere Kulisse für ein Sterben hättest du dir nicht aussuchen können.

Es war eine Szenerie, die auch der genialste Regisseur nicht besser hätte aussuchen können.

Du bist gestorben in einer erhabenen Gletscherwelt, in „ewigem“ Eis und Schnee bist du in die Ewigkeit gegangen.






Doch kann der Tod nur Zukunft hindern, Hoffnungen vernichten.

Er kann ja nicht Vergangenheit zerstören.

Ich danke dir für all die Freude,

die wir gemeinsam hatten an so vielen Tagen,

die du mir gabst in deinen Erdenjahren.

Die Bilder davon kann mir keiner nehmen,

sie sind ein Schatz, der mir für immer bleibt.

 

 

 

 

Mein Glaube sagt mir, dass es dich noch gibt -

(Was ich noch glauben muss, darfst du schon wissen.)

schon jetzt noch mehr im Glück als du auf Erden warst.

Ein strahlend weißer Körper hat mit Übermacht

dich los gelöst von deinem eigenen Körper,

der ein Gefängnis war für Seele und für Geist.

Du gehst - von Engeln sanft geleitet - 

befreit nun weiter einen sicheren Weg,

auf dem es heller wird bei jedem nächsten Schritt.

Ich, der dir Vater war für 38 Jahre,

gönn´ dir, dass du dich nahst dem EWIGEN VATER.

Du gehst ins Licht, dich muss ich nicht beweinen.

Beweinen muss ich die, die hier im Schatten bleiben.

 

Bei denen fehlst du, klafft jetzt eine Lücke,

ein tiefer Graben, den dein Tod aufriss.

Ich bitte dich, hilf uns mit Jenseitskräften,

ihn hier im Diesseits wieder aufzufüllen,

die Wunden deines Todes notdürftig zu heilen!




Ich seh' das liegen, schon etwas verfallen,

was hier auf Erden von dir übrig blieb;

es tritt ein Bild dazu - tröstend erhaben:

ein Schiff, wertvoll mit neuer Fracht beladen,

das wieder gleitet raus auf s offene Meer.

Du fährst erst langsam, bist ja noch im Hafen,

gebunden an die Regeln, die hier gelten.

Doch - deines Zieles sicher - strebst du schon zurück

in deine Heimat: unbegrenzte Weiten.

Sei froh: bald kannst du volle Fahrt aufnehmen,

wirst wieder schnellen durch die Wogen, die dein Element.


 

Wenn wirklich stimmt, was ich las bei Spinoza,

als du gerade starbst in Bergen, kühn zum Himmel ragend,

kam notwendig zum Ausdruck damals ewiges Sein.

Gott als Lawine wirkte schlicht auf Gott als dich.

Auch du bist ja - genau wie die Lawine

begrenzte Form des grenzenlosen Einen,

durchströmt von seiner unbegrenzten Kraft.

Gott ist natürlich einfach in sich selbst gescheh'n -

mit sich im Ein-Klang, ruhend in sich selbst.



 

Dein Tod hat mir noch einmal klar gemacht,

wie wichtig das Leben ist,

wie wertvoll das Leben ist,

wie wichtig es ist, es wertvoll zu leben.

Der Tod hat dich gehindert, hier weiter auf der Erde zu leben,

das Leben zu lieben und Liebe zu leben.

Uns hindert nichts daran.

Und wir sollten es in jedem Augenblick tun.

Denn dein Beispiel zeigt:

Es ist nicht sicher, dass wir es im nächsten Augenblick noch können.

 


 

 

 


 

 

Publiziert am: Samstag, 28. März 2020 (1011 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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