Verrückt


Der einzige Unterschied zwischen einem Verrückten und mir

besteht darin,

dass ich nicht verrückt bin.

(Salvador Dalí)





Irrlicht im Irrenhaus

 

Sei doch nicht irgendein Quijano,

der irgendwo in der la Mancha lebt,

engstirnig kleinlich und erbärmlich sicher,

in einem Dorf, das keiner kennt,

das keiner kennen muss, das keiner kennen will!

Sei doch der heldenhafte Don Quijote,

der kühne „Ritter von der traurigen Gestalt“,

der Windmühlen bekämpft, die er für Riesen hält,

der ganzen Welt für alle Zeit ruhmreich bekannt!

Verzauber’ doch die schlichte Bauernmagd Aldonza

in Dulcinea von Toboso, deine Herzens-Dame!


 

Die Welt, die dir vor Augen liegt,

die ist banal und phantasielos nüchtern.

Die Welt, die du erschaffst mit deinen inneren Augen,

die ist phantastisch und erhaben schön.

Verlasse doch die triste Welt des Nieselregens!

Glaube nicht nur an das, was deine Augen seh’n!

„Die Wirklichkeit ist für die Augen unsichtbar.“

(Antoine de Saint-Exupéry)

Lebe verrückt im Nebelwald der Geister und Gespenster!


 

Sei doch ein Irrlicht, schwirrend durch ein Haus,

wo irrend und verwirrt nur Irre leben,

wo jeder das glaubt, was es gar nicht gibt,

wo jeder will, was gar nicht möglich ist.

wo jeder, der dort wohnt, in seinem Wahn lebt,

was jedoch keiner wissen will, was keiner weiß!

Sei du doch der, der weiß, dass er verrückt ist!

Wenn ein Verrückter, der nicht weiß, dass er verrückt ist,

dumm überheblich zu dir sagt: „Du bist verrückt“,

dann sage einfach ruhig lächelnd:

„Ja, ich weiß.“









 

Kommentar:



Es lebe das Laster



Er war eben so,

war völlig daneben.
Er hat nie geraucht,
ging nie einen heben.
Statt Vinho und Gambas
Vollmilch und Brot,
und was hat er davon?
Denn nun ist er tot...


Er saß wie ein Geier
auf seinen Moneten,
er ließ es nie krachen
auf diesem Planeten.
War immer versichert
für jegliche Not,
und ich trinke auf ihn,
denn nun ist er tot...


Es lebe das Laster,
denn wer brav ist
wird nirgendwo vermisst.
Erst recht, wenn er daran gestorben ist.


Er ging nie zum Aufriss
in heiße Lokale,
machte niemanden an
und niemals Randale.
Kein Cocktail am Strand
im Abendrot...
Er tut mir so leid,
denn nun ist er tot...


Er hat das Finanzamt
niemals beschummelt,
Und hätt' er 'ne Frau,
hätt' er sie nie befummelt.
Er war nie im Bett
mit Blond oder Rot.
Und jetzt ist es zu spät,
denn nun ist er tot...

Es lebe das Laster, ...

 


Er aß sich nie satt
und war trotzdem nicht schlank.
Er fuhr nie ans Meer,
denn die Sonne macht krank.
Alkohol war tabu,
weil das die Leber zerstört.
Er ist von innen vertrocknet
und von außen verdörrt.


Es lebe das Laster, ...

 

(Udo Jürgens, Es lebe das Laster)










Die Leine abschneiden
 

Sorbas schüttelte den Kopf: „Nein, Chef, du bist nicht frei. Die Leine, an die du gebunden bist, ist etwas länger als die der Anderen. Das ist die ganze Geschichte. Du hast eine lange Leine, du gehst, du kommst, du glaubst, frei zu sein, aber du schneidest die Leine nicht ab. Und wenn man die Leine nicht abschneidet...“

Ich werde sie eines Tages abschneiden!“sagte ich trotzig, weil seine Worte eine offene Wunde in meinem Innern berührten, die schmerzte.

„Das ist sehr schwer, Chef, sehr schwer. Dazu braucht es ein Bisschen Verrücktheit, hörst du? Nämlich alles zu riskieren. Du aber hast einen handfesten Verstand, er ist dein Verderben. Der Verstand ist ein Krämer, er führt Buch: So viel habe ich ausgegeben, so viel eingenommen; das ist der Gewinn, das ist der Verlust. Er ist ein guter Geschäftsmann, er setzt nicht alles aufs Spiel. Er sorgt immer für Reserven. Er schneidet die Leine nicht ab, nein, der Spitzbube hält sie im Gegenteil fest in der Hand. Wenn sie ihm entgleitet, ist der arme Schlucker verloren. Aber kannst du mir sagen, wonach schließlich das Leben schmeckt, wenn du die Leine nicht abschneidest? Nach Kamillentee, ja, nach Kamillentee, nicht nach Rum, der dich umwirft!“

Er schwieg, goss sich ein, ließ das Glas aber stehen.

„Du musst entschuldigen, Chef, ich bin nur ein einfacher Bauer. Die Worte bleiben an meinen Zähnen hängen wie der Schlamm an den Füßen. Ich kann nicht schöne Redensarten formen und Höflichkeiten sagen. Ich kann es nicht. Du aber, du verstehst es.“

Er leerte sein Glas und sah mich an.

„Du verstehst es!“ wiederholte er heftig, als ginge der Zorn mit ihm durch. „Das ist dein Verderben! Wenn du es nicht verstündest, wärest du glücklich. Was mangelt dir schon! Du bist jung, du hast Geld, du bist gescheit, du bist gesund, du bist ein guter Kerl, dir mangelt nichts. Donnerwetter! Nichts außer einem, das ist ein Stück Übergeschnapptheit! Und wenn dir das fehlt, Chef...“

Er wiegte den dicken Kopf und schwieg von neuem. Um ein Haar hätte ich jetzt geheult. Was Sorbas sagte, war richtig.

Als Kind hatte ich tolle Pläne, übermenschliche Wünsche gehabt. Ich saß allein und seufzte, weil mir die Welt zu eng erschien.

Mit der Zeit wurde ich langsam vernünftiger. Ich setzte mir Grenzen, ich begann, das Mögliche vom Unmöglichen, das Menschliche vom Göttlichen zu unterscheiden. Ich ließ meinen Papierdrachen steigen, aber ich hielt ihn fest.

(Nikos Kazantzakis, Alexis Sorbas)

 

 

 

Wer maßvoll ganz vernünftig lebt,

sich nicht vom sicheren Boden hebt,

nie über einem Abgrund schwebt,

der lebt nicht ganz und voll,

der lebt ganz nett, nicht toll.








 

 

Als vernünftig gilt oft, sich anzupassen: an die Spielregeln, Konventionen, Normen und Erwartungen der Gesellschaft, der man angehört.

Doch diese „Vernünftigkeit“ trägt dazu bei, (Macht-) Verhältnisse aufrecht zu erhalten, die ungerecht und damit letztlich unvernünftig sind:

 

 

Komm, Heller, komm

 

Die gnädigen Frauen und gnädigen Herren,
die "Küss die Hand"-Marionetten,
sie wollten mich immer adoptier'n
und meine Seele retten.


Sie haben mir auf die Schulter geklopft
und lächelnd gesagt: „Sei gescheit,
verdirb dir 's nicht mit aller Welt!
Allein kommt niemand weit.


Die sich so schrecklich ernst gebärden,
sind letztlich lächerlich.
Willst du dir nicht dein Spiel gefährden,
geh mit uns auf den Strich!“


So haben sie geredet und so reden sie noch heute.


„Komm, Heller komm, du musst dich arrangieren!
Sei kein junger Don Quichotte (!), gewöhn dich endlich an Manieren!
Komm, komm Heller, komm, lass dich nicht zu lang bitten!
Wenn wir dich nicht mit Küssen schaffen,
schaffen wir dich mit Tritten.“


Denn merke, wer das Denken nicht attackieren kann, attackiert den Denkenden.


Die gnädigen Frauen und gnädigen Herren,
die charmanten Charaktereunuchen.
Sie wollten mich so schrecklich gern,
auf ihrem Konto buchen.


Denn selbst das kleinste Körnchen Sand,
hemmt spürbar das Getriebe.
Wer Dauerschläfer dauernd stört,
übt Anti-Nächstenliebe.


Der Bürger hat sein altes Recht,
auf Bretter vor dem Kopf.
Evolution ist Wasserspülung,
und Reaktion der Topf.


Das meinen die, die meinen, sie hätten eine Meinung.


„Komm, komm Heller, komm, du musst dich arrangieren!
Sei kein junger Don Quichotte, gewöhn dich endlich an Manieren!
Komm, komm, komm Heller komm, lass dich nicht zu lang bitten!
Wenn wir dich nicht mit Küssen schaffen,
schaffen wir dich mit Tritten.


Komm, komm, komm Heller komm, du musst dich arrangieren!
Sei kein junger Don Quichotte, gewöhn dich endlich, endlich an Manieren!“

(André Heller)

 

 




 



 

Lass’ die Vernünftigkeit der Menschen los!

Sie ist die Klugheit des Vergleichens und Bewertens,

lehrt dich das Kämpfen und Besiegen,

rät zum Gewinnen und Behalten.

Find' die Vernunft, die bei den Engeln gilt!




Der Weise auf dem Steckenpferd

 

Ein Händler, der wegen lohnender Geschäfte in eine fremde Stadt gereist ist, fragte den Handelspartner, in dessen Haus er für die Nacht untergekommen ist: „Gibt es in dieser Stadt einen Mann, der für seine Vernünftigkeit, Weitsicht und Weisheit bekannt ist? Ich stehe vor einer wichtigen Entscheidung und suche jemanden, der mir dazu einen guten Rat geben kann."

Der Gastfreund antwortete: „In dieser Stadt gibt es keinen vernünftigen Mann. Der einzige Vernünftige ist einer, der verrückt zu sein scheint. Er reitet mit den Kindern auf einem Steckenpferd herum. Du findest ihn draußen vor den Toren auf den Feldern.“

Der Händler ging also auf die Felder hinaus, und bald sah er auch schon den Gesuchten, der tatsächlich inmitten einer Schar johlender Kinder auf seinem schlichten Holzpferd ritt. Als er sich auf Hörweite genähert hatte, sprach er ihn mit den Worten an:

„Ehrwürdiger Vater, der ein Kind geworden ist: Erlaube mir, dir eine wichtige Frage zu stellen! Denn ich vertraue darauf, dass du mir eine weise Antwort geben kannst.“

Der Reiter auf dem Steckenpferd antwortete: „Klopfe nicht an meine Tür, denn sie ist verschlossen. Heute ist nicht der Tag, um Geheimnisse zu offenbaren.“ Er wendete sein Holzpferd, um mit den Kindern in eine andere Richtung davon zu reiten.

Der Händler, der sich nicht so schnell abwimmeln lassen wollte, rief ihm hinterher: „Du, der auf dem Steckenpferd reitet, wende dein Pferd doch noch einmal in meine Richtung!“

Der Reiter folgte seiner Bitte und sagte: „Höre, sag kurz und bündig, was du wissen willst! Mein Pferd ist ungestüm und wild. Beeil dich, sonst tritt es dich!“

Der Fremde sagte: „Ich möchte eine Frau aus dieser Stadt heiraten. Welche würde zu einem Mann wie mir passen?“

Der Reiter auf dem Steckenpferd antwortete: „Es gibt drei Arten von Frauen auf der Welt. Wenn du die erste heiratest, ist sie vollständig dein. Die Zweite ist halb dein und halb getrennt von dir. Und die Dritte, die ist überhaupt nicht dein. So, jetzt hast du meine Antwort gehört. Tritt zur Seite, denn sonst tritt dich mein Pferd, dass du stürzt und nie wieder aufstehst!“ Und er wendete sein Pferd und ritt mit den Kindern davon.

Der Händler rief ihm nach: „Bitte erkläre mir, was du mit deiner Antwort meinst. Du hast gesagt, dass es drei Arten von Frauen gibt. Welche denn?“

Der Reiter antwortete aus der Ferne: „ Das Herz der Frau, die vor der Ehe mit dir noch nicht verheiratet war, wird völlig dir gehören. Die, die halb dein ist, ist die Witwe. Und die, deren Herz gar nicht dir gehört, ist die geschiedene Frau mit einem Kind; sie wird ihre ganze Liebe auf dieses Kind richten. Und jetzt lass mich in Ruhe! Die Kinder sind schon ungeduldig.“

Der Fremde aber sagte: „Warte noch einen Augenblick! Ich habe noch eine zweite Frage, die mir auf der Seele brennt. Sei so gnädig mir gegenüber, mir darauf eine Antwort zu erteilen!“

Der Weise auf dem Holzpferd ritt wieder ein Stück auf ihn zu und sagte: „Gut, da du mich mit höflicher Bescheidenheit darum bittest, will ich dir die Antwort nicht verweigern. Doch beeile dich! Die ungeduldigen Kinder haben schon meinen Poloball vom Boden aufgehoben und sind schon mit ihm weggelaufen. Ich muss schnell hinter ihnen her eilen.“

Der Fremde fragte: „Wie ist es möglich, dass du wie ein Hort der Weisheit sprichst und wie ein Wahnsinniger handelst? Warum versteckst du dich hinter dieser Verrücktheit?“

Darauf antwortete wiederum der Mann auf dem Holzpferd: „Meine Mitbürger wollten mich zum Richter in dieser Stadt machen. Ich erhob Einspruch. Denn ich bin ein Gottsucher, und die irdische Vernunft und das scharfsinnige Urteil über die Welt und die Menschen sind ein Hindernis auf dem Weg zu der göttlichen Weisheit, die der menschlichen Vernunft oft widerspricht. Doch sie bestanden weiter darauf und sagten: „Es gibt niemanden in dieser Stadt, der so gelehrt und weise ist wie du. Solange du da bist, wäre es ein Unrecht, wäre es verboten, wenn ein dir Unterlegener bei uns Recht sprechen würde. Da blieb mir keine andere Wahl als so zu tun, als sei ich verrückt.“

Der Weise wendete sein Pferd und ritt ohne ein weiteres Wort davon, dem Ball und den Kindern hinterher.

 



 

Wer unter Menschen etwas erreichen will,

muss richtig und gerecht urteilen.

Wer Gott erreichen will, muss aufhören, zu urteilen.

Denn Gott ist kein Richter, der urteilt und verurteilt.

Seine Gerechtigkeit ist Barmherzigkeit.

Er lässt seine Sonne scheinen über Gerechte wie Ungerechte.


 

 

PS:

Rumi, der diese Geschichte aus dem Matnawi geschrieben hat,

war anscheinend in der Lage, zu urteilen und nicht zu urteilen.

Er war Richter im Dienst des Seldschuken-Sultans von Konya.

Er hat in der Welt etwas erreicht und war in der Lage, Gott zu erreichen.




 

Publiziert am: Donnerstag, 05. März 2020 (918 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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