zu "wirklichkeit und Wahrheit"2

 

Dieses Gedicht schrieb ich im Jahr 2016.

2016 war gewissermaßen ein Jahr der Lüge. Nicht nur Erdogan und Putin, von denen man das ja schon gewohnt war und auch gar nichts Anderes erwartete, logen, sondern auch Politiker in Großbritannien vor der Brexit-Abstimmung und Trump im US-Wahlkampf. Trump stellte fast jeden Tag Behauptungen auf, die überhaupt nicht stimmten, verbreitete hahnebüchene Unwahrheiten am laufenden Band. Und das eigentlich Besorgnis Erregende wahr dabei gar nicht Trump. Das war die Tatsache, dass diese Lügen natürlich in einer Informationsgesellschaft wie den USA sofort entlarvt wurden, aber dass niemand ihm diese Verstöße gegen die Wahrheit übel nahm, sich niemand daran störte. Es gab keinen Aufschrei der Empörung und Entrüstung, der eigentlich angebracht gewesen wäre.

Damals bereute ich, irgendwann Heinz von Förster zitiert zu haben: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.“ Ich hatte den Eindruck, mich damit auf die falsche Seite gestellt zu haben, damit die zu diesem Zeitpunkt falsche Halb-Wahrheit unterstützt zu haben. Denn auch zur Wahrheit gibt es eine doppelte Wahrheit. Auch im Hinblick auf die Wahrheit gilt natürlich das Wort von Hermann Hesse: „Von allem, was mit Worten gesagt werden kann, ist auch das Gegenteil wahr.“

 

Die Wahrheit ist einerseits eine ewige Idee im Sinne Platons, die völlig unabhängig von uns Menschen, von unseren Köpfen, außerhalb unseres Kopfes existiert, die wir mit unserem Kopf nur finden können.

Und sie ist genauso eine von uns Menschen geschaffene Konstruktion, die als Wirklichkeit nur in unseren Köpfen existiert, die wir mit unserem Kopf und für unseren Kopf erfunden haben.

Die erste Teil-Wahrheit über die Wahrheit ist seit der Aufklärung eine wesentliche Grundlage unserer abendländischen Kultur. Auf ihr beruht unsere Fähigkeit zu objektivem, sachgemäßen Denken, unsere Naturwissenschaft und Technik, aber auch der durch die Vernunft gelenkte Umgang miteinander.

Die Einseitigkeit dieser Halb-Wahrheit ist in den letzten Jahrzehnten ergänzt worden durch die These des Konstruktivismus, dass wir in einer von uns selbst konstruierten Wirklichkeit leben.

 

Doch diese Sichtweise ist nur eine Ergänzung, die über die Aufklärung hinausführt, ohne sie aufzuheben, grundsätzlich in Frage zu stellen. Wenn wir genauso einseitig jetzt glauben, Wirklichkeiten beliebig erfinden zu können, da es Fakten, Tatsachen, objektive Wahrheiten ja gar nicht gibt, stellen wir ein Fundament westlichen Denkens in Frage, ziehen uns selber den Boden unter den Füßen weg, sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Publiziert am: Mittwoch, 28. Dezember 2016 (890 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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