Bettler und König


 

Beurteil’ nicht die Rolle, die du spielst im Stück,

ob du den König spielst oder den Bettler!

Vergleiche deine nicht mit anderen Rollen!

Bewert' auch Andere nicht nach ihrer Rolle!

 

Das Stück, es ist nur ganz durch jede Rolle.

Das Stück, es braucht den Bettler und den König.


 

Sieh, wer den König, wer den Bettler spielt!

Der Spieler, der ist nicht nur seine Rolle.

Der Spieler, der ist mehr als seine Rolle.


Spiel’ deine Rolle, nicht die eines Anderen!

Und achte nicht darauf, wie gut der seine spielt!

Spiel' deine Rolle, die du in dem Stück hast, gut,

gleich gültig, ob den König, ob den Bettler!

 

Vielleicht spielst du den Bettler hier und heute.

Vielleicht spielst du den König dort und morgen.

Vielleicht spielt ja ein Anderer dann den Bettler.

Lass doch den Anderen jetzt den König spielen -

und lass ihn morgen auch den Bettler spielen!



 


Kommentar:

 

Sei, was du gerade tust:

 

Sei König nur, solang' du König spielst!

Sei Bettler nur, solang' du Bettler spielst!

Sei nicht als König immer noch der Bettler!

Sei nicht als Bettler immer noch der König!

Spiel jede deiner Rollen voll und ganz -

doch nur am Tag, an dem du sie auch spielst!

 

Du bist nur Hamlet auf der Bühne,

auf der du Hamlet spielst.

Zu Hause bist du nicht mehr Hamlet,

spielst vielleicht Vater, Nachbar, Ehemann.

Sei auf der Bühne Hamlet, nichts als Hamlet,

nicht auch noch Vater, Nachbar, Ehemann!

Und sei zu Hause Vater, nichts als Vater,

nicht auch noch Hamlet, Prinz von Dänemark!

Spiel jede deiner Rollen voll und ganz!

Und sei als Ganzes mehr als jede Rolle!


 

Nur wenn ein Bäcker backt,

ist er ein Bäcker.

Dann ist er ja ein Backender.

Doch wenn er auf dem Klo sitzt,

ist er kein Bäcker mehr.

Dann ist er ja ein Kackender,

ein Kacker.

 

Sei, was du gerade tust!

Sei Backender und Kackender!

Sei Bäcker nur, solang' du backst!

Sei Kacker nur, solang' du kackst!

Sei nicht mehr Bäcker, wenn du kackst!

Sei nicht mehr Kacker, wenn du backst!


Wir sind nur das, was wir gerade tun.

Denn was wir sind, das wandelt sich im Nun.




 

Keichu, der berühmte Zen-meister der Meiji-Ära, war Leiter von Tofuku, eines grossen Tempels in Kyoto.

Eines Tages suchte ihn der Gouverneur von Kyoto zum ersten Mal auf.

Keichus Diener überreichte ihm die Visitenkarte des Gouverneurs.

Darauf stand: "Kitagaki, Gouverneur von Kyoto."

"Mit so einem Kerl habe ich nichts zu schaffen", gab Keichu zur Antwort. "Sag ihm, er soll sich wegscheren!"

Mit vielen Entschuldigungen brachte der Diener die Karte zurück.

"Das war mein Fehler", sagte der Gouverneur,

strich mit einem Stift die Wörter "Gouverneur von Kyoto" durch und sagte:

"So, jetzt frag' deinen Meister noch einmal!"

"Ach, das ist Kitagaki!", rief Keichu aus, als er die Karte sah.

"Den Kerl will ich sehen."

 

(Osho, Das Zen-Prinzip: Der Weg des Paradoxes)



 

Publiziert am: Freitag, 16. September 2022 (246 mal gelesen)
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