Nullsummenspiele


Es gibt zwei Arten von Null-Summen-Spielen, "direkte" und "indirekte".
 

Ein direktes ist ein Spiel, bei dem ich durch gutes Spielen selbst dafür sorgen kann, dass der Gegner schlecht spielt

und umgekehrt durch schlechtes Spielen selbst dafür sorge, dass er gut spielt.

Wenn ich Erfolg haben will, muss ich unmittelbar den Gegner daran hindern, dass er Erfolg hat. Wenn ich es nicht verhindere, hat er Erfolg.
 

Ein indirektes Null-Summen-Spiel ist ein Spiel, bei dem ich durch die Qualität meines Spielens gar keinen Einfluss habe darauf, wie gut oder schlecht der Gegen-Spieler spielt.

Sein Spiel ist unabhängig von meinem, mein Spiel unabhängig von seinem.
 

Ein typisches Beispiel für ein direktes Null-Summen-Spiel ist Fußball.

Wenn ich gut verteidige, kann der Gegner nicht gut angreifen, keine Tore schießen;

wenn der Gegner schlecht verteidigt, kann ich gut angreifen, Tore schießen.
 

Ein typisches indirektes Null-Summen-Spiel ist ein Tanzwettbewerb.

Wenn ich gut tanze, zwingt das die Konkurrenz nicht dazu, schlecht zu tanzen.

Wenn die Konkurrenz gut tanzt, hindert sie mich dadurch nicht daran, auch gut zu tanzen.

 

 

Ein direktes Spiel ist natürlich zwingend notwendig mit mehr Leid verbunden als ein indirektes -

mit mehr Kampf, vielleicht sogar mehr Feindlichkeit und Hass. Und mit mehr Trauer.

Auch das zeigt sich beim Fußball, besonders klar bei einem Turnier.

Eine Europa- oder Weltmeisterschaft ist "eigentlich" das beste Beispiel für ein Spiel, bei dem man nicht mit-spielen sollte - auch nicht als Zuschauer - .

Es gibt am Ende nur einen Sieger, doch viele Verlierer. Nur wenige halten jubelnd-triumphierend die Trophäe in die Höhe, viele fahren trauernd-enttäuscht nach Hause.

Es gibt nur wenige, die lachen, doch viele, die weinen.

Und letztlich gibt es nur einen, der am Schluss lacht.

 

Ein Turnier macht erschreckend deutlich, wie verengt unser Sehen auf das Erste, die Erste, den Ersten ist.

Wir bauen uns unsere Wirklichkeit als Pyramide, bei der nur die Spitze zählt.

Nur der höchste Berg, die beste Schauspielerin, der schnellste Läufer steht im Buch der Rekorde, bleibt im Gedächtnis.

Der zweit-höchste, zweit-beste, zweit-schnellste wird kaum beachtet und schnell wieder vergessen.

Die Vorsitzende, die Präsidentin steht im Rampenlicht; kaum jemand kennt den Stellvertreter, ihre rechte Hand.

Das Erste fängt allen Glanz ein, bündelt alle Strahlen, lenkt alles Licht auf sich.

Für das Zweite bleibt nur der Schatten.

Ich kann gut verstehen, warum Cäsar sagte:

"Lieber der Erste in einem Alpendorf als der Zweite in Rom."

 

England hat es bei dieser Europameisterschaft bis ins Finale geschafft.

Es hat in diesem End-Spiel großartig gespielt.

Es hat auch schon vor diesem Spiel teilweise toll "gefußballert".

Doch das zählt letztlich nicht.

Entscheidend ist: es hat dieses letzte Spiel nicht für sich entschieden, hat es nicht gewonnen, hat es verloren - im Elfmeterschießen, also erst im letzten Moment -

gegen Italien, einen Gegner, der eben noch ein ganz kleines Bisschen besser war.

England ist mal wieder nicht Europameister geworden.

Dass es Vize-Europameister geworden ist, zählt nicht.

Es hat alle Spiele gewonnen, nur dieses eine, letzte nicht.

Es ist zweiter geworden, nicht erster.

Auch dieser Zweite fühlt sich nicht als Gewinner,

fühlt sich als Verlierer.

 

"Eigentlich" wusste ich das; sah, dass es so kommen würde.

Und dennoch hab' ich während der EM 2021 viele Spiele gesehen.

Denn was sich Menschen da antaten, war begeisternd toll, faszinierend spannend, mitreißend ergreifend.

 

 

Publiziert am: Mittwoch, 14. Juli 2021 (667 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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