Im Tot-Sein leben


 

Wer nicht mehr hier ist,

ist nicht nicht mehr da.

Er ist mehr da als er hier da war.


Das Leben nach dem Sterben ist nicht toter,

ist nicht ärmer.

Im Tot-Sein leben ist lebendiger,

ist reicher.

 


 

 

Am Grab


 

Wichtig am Grab ist nicht,

was in ihm liegt,

was - nur noch äußere Hülle -

sich nicht mehr regt,

nur noch verfallen kann.


Wichtig am Grab ist das,

was - schwebend über ihm -

durch äußere Hüllen ungehindert sehen kann,

was sich in unserer Seele regt -

nicht nur am Grab.

 

 


 

 

Die junge Frau am Grab


 

Alcar, ein Geistwesen aus lichtvollen Sphären, hat André, einen hellsichtigen Menschen, der die Wahrheiten des jenseitigen Lebens den nur im Diesseits Lebenden mit-teilen soll, auf einen Friedhof geführt. An einem bestimmten Grab bleibt er stehen.

 

„So, hier bleiben wir kurz. Dies ist das Grab einer jungen Dame von fünfundzwanzig Jahren. Sieh dich gut um und lausche.“ Auf dem Grab sah André einen Engel stehen, aus schneeweißem Marmor gehauen. Er hielt einen Palmzweig in der rechten Hand und stand vornübergebeugt, als wollte er das Grab beschirmen. André las: „Hier ruht unsere geliebte Tochter, Enkeltochter und Schwester, Anna Maria H., geboren zu H. am 14. September 1901, gestorben am 7. August 1926. Sie war unser geliebtes Kind. Sie ruhe in Frieden!“
 

„Sieh, André, die beiden Menschen, die an ihrem Grabe stehen, sind ihre Eltern. Sie haben diese schönen Blumen als Zeichen ihrer Liebe auf die Grabplatte gelegt. Ich werde dir noch mehr zeigen, sage aber nichts.“ André musste sich beherrschen, um keinen Laut von sich zu geben; denn neben den Eltern sah er ein junges Mädchen, wie ein Engel so schön und ganz in Weiß gekleidet. Sie hielt die Arme um ihre Mutter geschlungen, wovon diese offenbar nichts spürte, und ebenso wenig hörte sie die sanfte Stimme, die zu ihr sagte: „Mutter, Mutter, ich bin bei dir. Trauer nicht, ich bin glücklich.“ André sah von ihr zu der Mutter, doch sie vernahm diese sanfte Stimme nicht, die trotzdem sehr deutlich erklang und von verschiedenen Geistern, die alle mit ihren Lieben gekommen waren, aus großer Entfernung gehört wurde. Abermals rief sie: „Mutter, Mutter!" Und jetzt lag ein schmerzlicher Klang in ihrer Stimme. Sanft trachtete sie die Mutter hin und her zu rütteln, doch es gelang ihr nicht. Nochmals rief sie: „Mutter, Mutter!" - doch diese blieb für sie taub.
 

Darauf wurde sie sehr traurig, und als Alcar zu ihr kam, hörte André, dass sie ihn fragte, ob er ihr nicht helfen könne. „Oh, wie schön sie ist, wie rein sie ist“, dachte er. Ihre Gesichtsfarbe war noch schöner als die des weißmarmornen Engels auf ihrem Grabe. Es war, als wäre sie vom Himmel herabgestiegen, so engelhaft rein und zärtlich war sie. „Oh, Bruder“, hörte er sie sagen, „wie kann ich meine Eltern erreichen! Ist hier nichts zu machen?“ „Doch, liebe Schwester, ich werde dir helfen, aber auf eine andere Art und Weise. Was suchst du hier in der irdischen Sphäre? Dein Haus liegt doch in den Sphären des Lichts?“
 

„Ja, Bruder, so ist es, aber dort finde ich keine Ruhe; sie ziehen mich hierher zurück. Durch all ihr Leid und all ihren Schmerz habe ich keine Ruhe. Ach, wenn sie wüssten, dass ich lebe, und dass es mir gut geht, dann könnte ich in den Sphären des Lichts, des Glückes und der Liebe glücklich sein. Aber nun kann ich nicht glücklich sein, da sie es nicht wissen. Ach hilf mir, hilf mir! Ich flehe dich an. Du kommst auch aus dem Licht. Hilf mir Bruder, dass ich sie erreichen kann!“
 

„Gern würde ich dir sofort helfen wollen, liebe Schwester, doch das ist mir nicht möglich, denn auf diese Weise kannst du deine Eltern nicht erreichen. Ihre irdischen Ohren hören dich nicht, und ihre irdischen Augen sehen dich nicht. So merken sie nicht, dass du hier lebend neben ihnen stehst, sie festhältst, sie lieb hast und ihnen zurufst: ‚Trauert nicht, liebe Eltern, ich bin glücklich.‘ Sie sind für deine sanfte, aber deutliche Stimme taub. Ihre stofflichen Ohren hören dich nicht, weil sie sich geistig verschließen. Aber wir werden dir helfen. Mein Freund und ich sind darauf aus, um sie von deinem Leben in den Sphären zu überzeugen. Er ist mein Instrument und wird es ihnen sagen, falls sie es sich anhören wollen. Ich lasse ihn diese Zustände sehen und er wird auf Erden bekannt machen, wie furchtbar sie sind. Auf diese Weise kannst du nichts für deine Eltern tun, und du kennst den Weg noch nicht, um sie erreichen zu können, mein Kind.“
 

„Mutter trauert schon so lange, Bruder, sie kommt nicht darüber hinweg, ihr ist nicht zu helfen. Darum bin ich zur Erde gekommen. Oft bin ich bei ihnen zu Hause und ich habe schon auf viele Art und Weisen versucht mit ihnen in Kontakt zu kommen. Doch sie wollen von dem, was man sie gelehrt hat, nicht abweichen, nämlich, dass Gott mich einst rufen wird. Das wird, ihnen zufolge, das Jüngste Gericht sein. Hilf mir, hilf mir. Sie müssen wissen, dass ich lebe, und dass ich glücklich bin; dann wird das Leben viel erträglicher für sie werden.“
 

„Ich werde dir helfen, wenn du das wünschst. Gehe zurück in deine Sphäre, trachte Hilfe aus den höheren Gefilden zu erhalten, bitte Gott darum und kehre dann zu deinen Eltern zurück. Dann wirst du sie mit Hilfe höherer Intelligenzen erreichen können. Diese Hilfe wird dir gegeben werden, wenn du Gott darum bittest. Nun löse dich von deinen Eltern; du kannst hier nicht bleiben, ..... Lass deine Eltern gehen und trachte sie auf die Weise zu erreichen, die ich dir angeraten habe!“
 

Die junge Dame sah Alcar liebevoll an, nahm seine Hand in die ihre und sagte: „Ich danke dir für diese lieben Worte, Bruder. Ich werde mein Bestes tun und sehe nun ein, dass ich so nicht hierher hätte kommen dürfen.“ Ihre reinen Augen blickten ihn noch einmal an, dann ging sie fort.
 

„Hast du alles verstanden, André?“ „Ja, Alcar. Wie lieb und schön sie ist! Sie ist wie ein Engel!“ „Sie ist ein Geist, der in die Sphären von Licht und Glück, wo stets Harmonie herrscht, gehört. Doch die Eltern des lieben Kindes - denn sie ist noch ein Kind - ziehen sie durch ihren großen Kummer zur Erde zurück; und sie kann in den Sphären nicht glücklich sein, weil ihre schmerzlichen Gedanken sie erreichen. Ständig spürt sie ihren Kummer und wird dadurch gezwungen, hierher zu kommen, während ihre Eltern doch nichts von ihrer Gegenwart bemerken und ihre sanfte Stimme nicht vernehmen. Sie stehen hier an einem Grab, in dem nichts anderes als ein Häufchen Staub zu finden ist; und ihr Kind lebt und stand neben ihnen, während sie es nicht sahen. Ihre Überzeugung zieht sie an dieses Grab, in dem sie ihre Tochter glauben zu finden. Es ist furchtbar für einen Geist, der kommt, um Hilfe und Beistand zu gewähren und dann erfährt, dass man ihn nicht sehen und seine tröstenden Worte nicht hören kann. Diese junge Dame besitzt zwar die Kraft, um zu den Eltern durchzudringen, doch sie weiß noch nicht, wie sie vorgehen muss, um sie durch Beeinflussung zu erreichen.

 

(Jozef Rulof, Ein Blick ins Jenseits)
 

 



 

 

Nenne den Tod nicht Tod

 



Nenne den Tod nicht Tod, finde ein anderes Wort!

Der Name Tod, der weckt nur falsche Bilder.

Er führt den Geist an einen falschen Ort.

Willst du zur Wahrheit, brauchst du richtige Schilder.

 

 

Denn wenn ich sterbe, tausch' ich nur die Kleider,

lege die alten ab und zieh' mir neue an.

Mein Geist hüllt sich ja nur in andere Leiber,

damit er wieder kraftvoll wirken kann.

 

 

Denn wenn ich sterbe, wander’ ich nur weiter,

verlass die Stadt, in der ich Gast war, durch das Tor,

in Aufbruchstimmung, gut gelaunt und heiter,

schaue nach vorn’, hab’ ja noch so viel vor.
 

 

Denn wenn ich sterbe, wandle ich mich nur,

bin nicht mehr Raupe, bin nun Schmetterling,

kriech’ nicht mehr schwer und müde auf der Erde,

kein alter Kämpfer mehr im Boxerring.

 

 

Ich flattere nun frei und leicht im Licht.

Kein Berg, kein Fluss behindert meinen Flug.

Was auf dem Boden kreucht und fleucht, das stört mich nicht.

Ich leb’ im Licht, und das ist doch genug.

 

 

Nenne den Tod nicht Tod!

Nenne ihn Kleiderwechsel, Weiterwandern, Wandlung!




 

 

Die Toten


 

Die Toten starben nicht. Es starb ihr Kleid.

Ihr Leib zerfiel, es lebt ihr Geist und Wille.

Vereinigt sind sie dir zu jeder Zeit

in deiner Seele tiefer Tempelstille.


 

In dir und ihnen ruht ein einiges Reich,

wo Tod und Leben Wechselworte tauschen.

In ihm kannst du, dem eignen Denken gleich,

den stillen Stimmen deiner Toten lauschen.


 

Und reden kannst du, wie du einst getan,

zu deinen Toten lautlos deine Worte.

Unwandelbar ist unsres Geistes Bahn,

und ewig offen steht des Todes Pforte.


 

Schlagt Brücken in euch zu der Toten Land,

die Toten baun mit euch am Bau der Erde.

Geht wissend mit den Toten Hand in Hand,

auf dass die ganze Welt vergeistigt werde.

 

(Manfred Kyber)
 

 

Publiziert am: Dienstag, 09. März 2021 (631 mal gelesen)
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