Ohne dich


 

Ich brauch’ dich nicht, um da zu sein,

bin nicht das Licht und du die Sonne.

Ich lebe ja auch ohne dich.

Ich brauch’ dich nicht, um gut zu leben.

Ich käme klar auch ohne dich,

bin nicht der Mond und du die Sonne,

habe ja selber Eigenlicht.

 

Auch ohne dich steh’ ich auf sicherem Boden.

Auch ohne dich kann ich mit meinen Füßen geh’n.

Auch ohne dich seh’ ich mit eigenen Augen.

Auch ohne dich weiß ich, was richtig ist.

 

 

 

Doch wär’ mein Dasein ohne dich viel grauer.

Du machst es schöner, reicher, auch bewegter,

gibst ihm mehr Fülle und Lebendigkeit.

Was ich erlebe, dehnt sich aus durch dich, wird weiter,

weil ich es teilen kann mit dir.

Auch ohne dich könnt’ ich natürlich leben.

Doch wäre ich viel ärmer ohne dich.


PS:

Wie viel ärmer ein Leben ohne die Begegnung mit Anderen ist, wie stark es durch das Verbunden-Sein mit Anderen bereichert wird, macht vielleicht am schönsten Antoine de Saint-Exupery im "Kleinen Prinzen" deutlich.


 

 

Kommentar
 

Ich bin dazu angeregt worden, dieses Gedicht zu schreiben, als ich heute einen Song der spanischen Sängerin Amaral hörte (deren Lieder - auch wegen der anspruchsvollen, nicht banalen Texte - eigentlich zu meiner Lieblingsmusik zählen), wo es an einer Stelle heißt: „Te nesessito como la luz el sol. (Ich brauche dich wie das Licht die Sonne.)“ Und ich dachte: „ Das stimmt nicht - jedenfalls nicht für mich, jedenfalls nicht für einen Menschen, der ein einigermaßen gesundes Seelenleben hat.“
 

Wenn das stimmen würde, würde das Folgendes bedeuten: Mal angenommen, dass bei jedem Menschen sein Leben eine Melodie ist, die nur für ihn geschrieben worden ist, die nur er spielen kann. Dann könnte er, wenn er tatsächlich einen anderen Menschen bräuchte, um zu leben, von dieser Melodie nur die 1., 3., 5., 7., 9. Note spielen; die 2., 4., 6., 8. müsste dann von einem Anderen gespielt werden. Gott sei Dank ist das jedoch - wenigstens bei den meisten Menschen - nicht so. Jeder kann seine Lebensmelodie alleine spielen, er braucht dafür keinen Anderen. Das Zusammenleben mit Anderen ist wie das Zusammenspiel in einem Stück für mehrere Instrumente oder in einem Orchester, z. B. in einem Stück für Geige und Klavier. Auf jedem Instrument spielt man seine eigene Stimme, die auch für sich alleine stehen kann, auch schon alleine gut klingt. Doch zusammen mit der anderen Stimme klingt die eigene noch besser.

 

 



 

Erst wenn ich auch ohne einen Anderen leben kann, kann ich auch mit ihm leben.

Wenn ich nicht ohne ihn leben kann, kann ich auch nicht mit ihm leben.

Wenn ich glaube, ich könnte nur mit einem Anderen leben, kann irgendwann der Andere nur ohne mich leben.

Ich gebe ihm eine Überbedeutung, die ihn so unter Druck setzt, dass er ihn auf Dauer nicht ertragen kann.


Ich kann nur behalten, was ich loslassen kann.






 








 

 

 

Publiziert am: Freitag, 03. April 2020 (889 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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