Leben in dem, was genug ist

2006 verbrachten meine Frau und ich unseren Sommerurlaub auf Ischia. Eines Tages liefen wir ein Stück ins Hinterland zu einem Anwesen, wo ein Österreicher um sein Wohnhaus herum einen kleinen Park angelegt hatte, der öffentlich zugänglich war. Ein sogenannter „Philosophenweg“ versprach, durch eine vielfältige Mittelmeervegetation zu führen, an Weinstöcken, Pinien, Bambus, Orangen- und Ölbäumen vorbei und hindurch. Wir folgten der Einladung und merkten schon bald, wie der schmale, gewundene Pfad zu seinem Namen gekommen war. Ab und zu war am Wegrand ein Schild aufgestellt, auf dem ein knapper, sinnreicher Spruch geschrieben stand. Einen dieser Sprüche hab’ ich behalten, und er hat mich zu dem nun folgendem Gedicht angeregt:

 

 

 


 

Beim Ölbaum

 

Einmal fand ich

auf dem „Pfad der Philosophen“,

der Geliebten der Weisheit,

beim Ölbaum,

dem Zeichen des Friedens,

uralt, knorrig,

mit silber-grauem Blattwerk,

ein Schild

mit Worten der Weisheit:

„Ich jammerte und klagte,

weil ich keine Schuhe hatte,

bis ich einen sah,

der keine Füße hatte.“

 

 

Kommentar:

Der Dalai Lama soll dieselbe Weisheit mal mit anderen Worten gesagt haben:

„Wenn dir ein Vogel aufs Hemd kackt, ärgere dich nicht!

Freu dich, dass Kühe nicht fliegen können!“



 

Und Udo Jürgens ausführlicher in folgendem Song:

 

 

Ist das nichts

 

 

Du bist jung und du sagst:

Es gibt nichts, was dich hält.

Da wär nichts,

was sich lohnen könnt,

in deiner Welt.

Und du sagst:

Du siehst wirklich in nichts einen Sinn.

Und dann wirfst du alles hin.

 

 

Ist das nichts,

dass du suchst,

dass du zweifelst und fragst?

 

 

Ist das nichts,

dass du traurig warst

und wieder lachst?

 

 

Ist das nichts,

dass du sagen kannst:

„ich esse mich satt“,

während irgendwo jemand kein Reiskorn mehr hat?

 

 

Ist das nichts,

dass du helfen kannst,

wenn du nur willst?

 

 

Ist das nichts,

dass du Sehnsucht nach irgendwas fühlst,

dass du lebst,

wo die Freiheit ein Wort nicht nur ist?

Ist das nichts, ist das nichts,

ist das wirklich nichts?

 


 

Hör mir zu,

meinst du nicht,

du, es wär ´endlich Zeit

für ein wenig Dankbarkeit?

 

 

Du verkriechst dich und sagst,

du siehst nirgends ein Ziel.

 

Schau dich um auf der Welt:

Auf dich wartet so viel.

Es gibt Menschen,

die würden gern tauschen mit dir.

Es liegt sehr viel auch an dir.

 

 

Ist das nichts,

dass du weißt,

wo du schläfst heute Nacht.

 

 

Ist das nichts,

wenn ich sag:

„Ich hab´ an dich gedacht“?

 

 

Ist das nichts,

wenn du ahnst,

dass es irgendwen gibt,

an den du zwar nicht glaubst

und der trotzdem dich liebt?

 

 

Ist das nichts

Dieser Sonnenstrahl auf deiner Haut?

 

Ist das nichts,

dass ein Mensch dir verzeiht und vertraut?

 

 

Ja, du lebst,

wo die Freiheit ein Wort nicht nur ist.

Ist das nichts, ist das nichts,

ist das wirklich nichts?

 

 

Hör mir zu ,

meinst du nicht,

du, es wär ´endlich Zeit

für ein wenig Dankbarkeit?





 

Nicht mehr noch mehr


 

Ich wollte bisher immer mehr,

immer noch mehr, immer noch weiter.

Jetzt will ich nicht mehr noch mehr wollen,

will nicht mehr mehr als das, was jetzt schon da ist.

Noch mehr, das ist nicht immer auch mehr wert.

Ich kann doch einfach mehr die Augen öffnen,

um mehr zu seh´n in dem,

was es schon gibt.

Ich kann in dem, was jetzt schon da ist,

mehr Weite, Höhe, Tiefe finden,

muss nicht mehr suchen, noch mehr suchen.

Es gibt schon da, wo ich jetzt bin,

mit dem, was ich ja auch  schon hab´,

mit meinen Augen, Ohren, Händen,

mehr als ich brauch´, mehr als genug zu finden.


 

Kommentar:


 

Die Welt ist groß genug für jedermanns Bedürfnisse.

Die Welt ist nicht groß genug für jedermanns Gier.


 

Wir bitten im „Vater unser“:

„Unser tägliches Brot gib uns heute!“

Wir bitten nicht - und sollten auch nicht bitten:

„Gib uns Korn, Käse, Wurst - am besten auch noch Sekt und Kaviar - für einen ganzen Monat!“



 

Eine Vor-Geschichte dazu findet sich schon im Alten Testament:
 

Während der 40jährigen Wanderung der Hebräer durch die Wüste versorgt sie Jahwe „mit Brot in Form des Manna, das sie jeden Morgen finden. In Bezug auf das Einsammeln des Manna werden ihnen zwei höchst bedeutsame Gebote erteilt. Das eine lautet, dass sie nicht mehr nehmen dürfen, als sie an einem Tag essen können. (Wer trotzdem mehr nimmt, findet das Übriggebliebene am nächsten Morgen wurmig vor.)    Die Bedeutung des Gebots ist klar: Man soll die Nahrung essen und nicht aufsparen; man soll das Leben leben und nicht horten. Genauso wie es in der Wüste keine Häuser gibt, gibt es dort auch keinen Besitz. In einem Klima der Freiheit dienen alle Dinge dem Leben, aber das Leben dient nicht dem Besitz.

            Das andere, noch wichtigere Gebot im Zusammenhang mit dem Einsammeln des Mannas ist die Einsetzung des Sabbats, von dem hier zum ersten Mal die Rede ist. Das Volk soll jeden Tag Manna einsammeln; am sechsten Tag aber sollen sie die doppelte Tagesration einsammeln (und das Übriggebliebene wird am siebten Tag nicht verdorben sein) ...“

(Ex 16, 13-30; nach E. Fromm, Ihr werdet sein wie Gott)

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

Publiziert am: Dienstag, 09. Februar 2016 (2071 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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