Rette die letzten Rollen!


 

In einer Höhle bei der Stadt Kyme lebte vor langer Zeit eine weise Frau mit dem Namen Sybille, die die Zukunft vorhersehen konnte. Diese Seherin hatte ihre Prophezeiungen auf neun Pergamentrollen festgehalten; und als sie alt geworden war, ließ sie in allen damals bekannten Ländern verkünden, sie wolle diese Rollen zum Verkauf anbieten. Fast alle Reichen und Mächtigen kamen, der Pharao von Ägypten, der König von Babylon, der Tyrann von Athen und viele andere mehr. Allen nannte die Sybille einen abschreckend hohen Preis, so dass keiner die aufgeschriebenen Weissagungen kaufte, sondern jeder enttäuscht und wütend wieder in sein Land zurückkehrte. Als Letzter kam schließlich auch der König von Rom. Auch ihm nannte die Sybille ihren Preis. Der König fand ihn - wie vor ihm alle anderen - unverschämt hoch und weigerte sich, ihn zu bezahlen. Da nahm die Prophetin drei Rollen, hielt sie ins Feuer und sagte: „Nun, König von Rom, hast du nur noch die Möglichkeit, für denselben Preis sechs Rollen zu erwerben. Bedenke sorgfältig, welche Worte du wählst, und nutze die Gelegenheit, die dir geblieben ist!“ Das Angebot, jetzt für nur sechs Rollen denselben Preis zu bezahlen, der ihm schon für neun viel zu teuer erschienen war, fand der König noch verrückter, und er lehnte wiederum ab. Da nahm die Sybille die nächsten drei Rollen, hielt sie wieder ins Feuer und sagte: „Nun, König von Rom, hast du nur noch die Möglichkeit, für denselben Preis die drei letzten Rollen zu kaufen. Bedenke dies mal noch sorgfältiger deine Antwort, denn wenn du zum dritten mal mein Angebot ablehnst und dich wieder weigerst, den Preis zu bezahlen, der im Vergleich zum Wert dieser drei Rollen immer noch lächerlich niedrig ist, nehme ich auch noch diese letzten Rollen und halte sie ins Feuer. Dann hast du deine Chance vertan, und mit dir die Stadt, die du als deine Heimat liebst und für deren Wohlergehen und Gedeihen du verantwortlich bist.“

Da wurde der König nachdenklich; er ahnte, wie außerordentlich wertvoll diese Prophezeiungen waren, kaufte für denselben Preis, für den er auch sämtliche neun hätte bekommen können, die letzten drei Pergamentrollen und rettete sie so für Rom. Dort wurden sie als Sybillinische Bücher unter dem Tempel für den Hauptgott Jupiter auf dem Kapitol aufbewahrt. In Gefahrenzeiten wurden sie von fünfzehn ausgewählten Priestern, den Quindecimvirn, befragt. Und es ist zu einem maßgeblichen Teil den Ratschlägen der Sybillinischen Bücher zu verdanken, dass Rom zu der führenden Macht der damaligen Zeit, zur Weltmacht der Antike werden konnte.

 

 

Schau nicht zurück -

bedauernd, trauernd und bereuend -

auf das, was du versäumt hast,

auf den, den du verpasst hast!

Jetzt ist das nicht mehr wichtig,

spielt keine Rolle mehr.

 

Nach vorne schau -

mit Glaube, Hoffnung, Zuversicht -

auf das, was du noch nutzen kannst,

den, dem du noch begegnen kannst!

Es ist erst Herbstanfang, noch nicht Silvester.

Drei Rollen sind noch übrig, noch zu retten.

Das ist genug. Das lohnt sich immer noch.

 

Im Augenblick,

in dem du immer noch auf das schaust,

was du in der Vergangenheit verpasst hast,

verpasst du schon, versäumst schon wieder was:

die Gegenwart.

 

Versäume nicht,

im Jetzt ab jetzt darauf zu achten,

nichts mehr unnötig zu verpassen!




 

PS:

Schau manchmal auch zurück

auf die Vergangenheit!

Doch nur für zweierlei:

für sie zu danken

in der Gegenwart;

aus ihr zu lernen

für die Zukunft.

 


 

Publiziert am: Montag, 23. März 2020 (941 mal gelesen)
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