Möglichkeit ist Wirklichkeit



Die folgenden Zeilen sind nicht geschrieben für die,

die sowieso schon zu wenig tun.

Sie sind geschrieben für die,

die zu viel tun,

die sich gezwungen sehen, etwas zu tun,

die meinen, sie müssten etwas tun.

 

Die Innenwelt ist nicht die Außenwelt.

Was innen ist, das ist nicht immer außen,

was du dir vorstellst, oft nicht äußere Wirklichkeit.

Das, was in dir geschieht, geschieht nicht immer draußen.

 

Was du dir vorstellst, ist nicht immer, was du siehst,

das, was du siehst, nicht so, wie du ’s dir vorstellst.

Was du dir vorstellst, wirst du oft nicht sehen;

denn oft bekommst du nicht, was du bestellst.

 

Was innen ist, was außen, ist zu unterscheiden.

Du solltest wissen: Das stell’ ich mir vor, das sehe ich.

Es zu verwechseln, solltest du vermeiden.

Sonst ist nicht klar, wo etwas ist für dich.



 

Doch musst du nicht, was innen ist, nach außen bringen.

Wenn du 's versuchst, wird es dir oft misslingen.

Du musst auch gar nicht jede innere Möglichkeit

in eine äußere Wirklichkeit verwandeln.

Sie haben beide ihren (eigenen) Wert für sich (in sich).

Was du dir vorstellst, zwingt dich nicht zum Handeln.

Doch wenn du handeln willst, dann lass dir dabei Zeit!

 

Lass dich von keinem Werk, das du begonnen, weitertreiben,

von keinem Ziel, von keiner Absicht hastig vorwärtsziehen!

Nach jedem Schritt, den du gemacht hast, kannst du stehen bleiben

und schauen, was hier, wo du bist, jetzt gut und schön ist.

Von jedem Ort, an dem du stehst, kannst du auch weiterschreiten,

wenn du genug gesehen und verstanden hast.

Dein Ziel, das wird auch dann dich sicher leiten,

wenn du den Wert, der auf dem Weg liegt, nicht verpasst.

 

 

Nicht alles, was dir einfällt, musst du tun.

Lass es in dir doch weiter in sich selber ruh’ n!

Was in dich einfällt, das ist ja schon da,

in dir vollkommen wirklich, dir vollkommen nah.

Du musst, was möglich ist, nicht wirklich machen,

kannst es auch gar nicht, weil 's schon wirklich ist.

 

Nicht immer ist, was möglich ist, auch nötig.

Und was nicht nötig ist, das musst du auch nicht machen.

Wer immer tut, was möglich ist,

der hat nichts mehr zu lachen.

Und alles, was nicht nötig ist, das musst du ja nicht tun.

Wer immer tut, was möglich ist,

lebt nur für später, nicht mehr nun.

Folgst du dem Zwang, alles zu tun, was möglich ist,

ist es dir nicht mehr möglich, auch mal auszuruh’n.

Warum willst du denn alles fertig machen?

Das Fertig-Machen, das macht dich nur fertig.

Warum willst du denn alles besser machen?

Sieh, dass es gut genug ist! Das ist für dich besser.

 

 

Ein grauer Fleck auf weißer Wand ist doch nicht schrecklich.

Die Wand, sie bleibt doch weiß auch mit dem Fleck.

Warum kann ich der Wand den Fleck nicht lassen?

Ein Blatt, das auf dem Rasen liegt, muss doch nicht weg.

Ein falsch geschriebenes Wort kann doch falsch bleiben.

Wenn man den Text noch lesen kann, erfüllt er seinen Zweck.

 

Es stört doch nicht ein kleines Körnchen Staub.

Und auf dem Boden schadet nicht ein Bisschen Laub.

Nicht alles, was im Kühlschrank liegt,

das muss auch auf den Teller.

Wenn es nicht schimmelt und verfault,

dann lass es doch im Keller!

Das, was du nicht mehr brauchen wirst,

lass auf dem Speicher liegen.

Du musst es nicht wie Müll entsorgen,

wie einen Feind besiegen.

 

Ich muss doch nicht sofort das niederschreiben,

was mir gerade eingefallen ist.

Der Einfall kann auch ungeschrieben bleiben.

Nicht alles, was sich denkt in mir,

lohnt sich auch, zu behalten.

Nicht alles, was sich innen aufdrängt,

das muss ich auch gestalten.

Ich muss, was nebelhaft mir vorschwebt,

doch nicht in klare Worte fassen.

Ich kann es doch auch unbehandelt,

kann es auch ungestaltet lassen.

 

Warum willst du denn alle Türen schließen?

Lass das, was offen steht, doch einfach offen ste’ n!

Geschlossene Türen kannst du nicht durchschreiten.

Nur offene Türen lassen dich doch weiter geh’ n.



(Wenn du sie schließen willst:

Erwarte nicht, dass Türen selbst sich schließen!

Was du nicht schließt, bleibt einfach offen steh’ n.

Und hoffe nicht, dass andere sie schließen!

Schließe sie selbst, dann kannst du ruhig geh’n!)


Lass' eine Frage doch als Frage steh' n!

Lass' eine Frage doch als Frage offen!

Du musst doch nicht zu einer Antwort weiter geh' n.

Lebe in dem, was ist, leb nicht im Warten, Hoffen!

Die Frage weist dich hin auf Möglichkeiten.

Freu dich, dass es sie gibt, sei froh, dass du sie hast.

Die Möglichkeiten scheinen sich zu streiten,

willst du entscheiden, welche stimmt und passt.

 


 

Wo Fragen sind, erscheint das Sein gespalten.

Das Ganze scheint entzweit im Kampf zu sein.

Doch bleibt die Einheit auch als zwei erhalten.

Der Widerspruch in ihr ist ja nur Schein.

Den Zwiespalt in ihr schafft sich erst das Denken.

In Eintracht mit sich selber ruht das Sein.


 

Das Sein, es ist vollkommen, auch schon unvollkommen,

bleibt auch vollkommen, wenn es unvollkommen wird.

Es ist einfach vollkommen unvollkommen.

Du kannst das Sein gar nicht vollkommen machen.

Du kannst nur einseh’ n, dass du gar nicht nötig bist.

Was ist, das braucht dich nicht, um scheinbar das zu werden,

was es auch ohne dich für alle Zeiten ist.

Es braucht dich nicht, um voll und ganz zu sein.




Kommentar:

Was du dir vorstellst, ist nicht vor das gestellt,

was du mit Augen siehst, mit Ohren hörst.

Die Vor-Stellung, sie steht nicht vor der Wahrnehmung.

Die Vorstellung steht in der Wahrnehmung,

ist eine Wahrnehmung in deiner Innenwelt.

 

Die Vor-Stellung, sie steht nicht vor der Erfahrung.

Die Vorstellung steht in der Erfahrung,

ist die Erfahrung eines inneren Gescheh' ns.

 

Die Vor-Stellung, sie steht nicht vor der Wirklichkeit.

Die Vorstellung ist selber eine Wirklichkeit.


Die Vor-Stellung ist keine Vor-Bereitung,

für eine andere Erfahrung, eine andere Wirklichkeit.

Sie steht allein, steht in sich selbst, steht für sich selbst.

Sei für die Vorstellung bereit,

bereit, ihr ihren vollen Wert zu geben,

bereit, in ihr ganzherzig zu leben!




 

Die Vorstellung ist in der Innenwelt schon eine Wirklichkeit.

Doch in der Außenwelt ist sie nur eine Möglichkeit.

Dort bleibt sie vielleicht auch nur eine Möglichkeit.

Dort wird sie vielleicht nie zu einer Wirklichkeit.

Mache dir deshalb keinen Kopf um ungelegte Eier,

die vielleicht nie und nirgendwo ne Henne legen wird!







Der folgende Songtext von André Heller ist ein - natürlich einseitig parteiliches - Plädoyer dafür, in inneren Vorstellungen statt in äußeren Wahrnehmungen (und Handlungen) zu leben:



Die wahren Abenteuer sind im Kopf

 

Ich wär ein schlechter Kapitän,

die Meridiane sind mein Handwerk nicht.

Und trommelte auch der Regen

in den Tropen Neuguineas die Mangoblätter wund,

es heißt, am Ende aller Reisen

weiß man doch wiederum die Erde rund.

Und Abendstern und Kleiner Bär

sind Feuer in der schwarzen Wiese über meinem Haus.


Die wahren Abenteuer sind im Kopf,

und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.

Die wahren Abenteuer sind im Kopf,

und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.


Der Maskenhändler mit der Blutmaschine,

der Detektiv der kühlen Worte,

das Saltorückwärts-Kind mit Bakelitperücke,

die Schmerzensdienerin des Hokusei,
 

sie alle sind in meinem Kopf,

und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo.

Sie alle sind in meinem Kopf,

und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo.


Im Jahr der Insekten, dem Dreimonatsjahr,

gleitet von Ferne in der Nähe,

bizarre, gefräßige Architektur

aus Stachel und Zange, Schere und Lärm

und stielt die Schatten aus den Zweigen

und dringt in den Traum des Soldaten.

Und die kleinen Gebärden der Hasardeure

werden wie Segel eingeholt.


Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in meinem Kopf,

und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo.

Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in deinem Kopf,

und sind sie nicht in deinem Kopf, dann suche sie.

Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in euren Köpfen,

und sind sie nicht in euren Köpfen, dann suchet sie.


Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit

trägt wirklich ein Forellenkleid

und dreht sich stumm, und dreht sich stumm

nach anderen Wirklichkeiten um.





 

Es gibt natürlich gute Gründe, Inneres nach außen zu bringen.

Oft sind Vorstellungen bedrückend und belastend.

Dann ist es erleichternd und entlastend, sie in Erfahrungen in der Außenwelt zu verwandeln.

Dann gilt der Leitspruch:

„Verlier den Kopf und komm zu Sinnen!“ (Fritz Perls)



Es gibt Einiges in der Innenwelt,

was nicht nach innen gehört,

was nach außen gehört:

 

 

Wenn du die Frage hast,

„was denkt, was fühlt der Andere,

was denkt der Andere über mich?“,

 

dann frage nicht dich selbst!

Du weißt es nicht.

Du kannst es gar nicht wissen;

kannst es nur glauben, nur ver-muten.

 

Frag’ doch den Anderen!

Er weiß es ja.

Nur er kann es doch wissen.

Habe den Mut, es ihm zu glauben!





PS:

Du musst nicht alles tun, was möglich ist.

Doch was du tun musst, tu so schnell wie möglich!

Das, was du vor dir herschiebst,

siehst du immer vor dir, das liegt immer vor dir.

Und was du liegen lässt, geht nicht von selber weg.

Nur was du heute angehst, das liegt morgen hinter dir.

Du musst dich umdreh‘ n, um es noch zu sehen.

Wenn du 's nicht sehen willst, musst du es nicht.

 



 

 

 

 

Publiziert am: Sonntag, 22. März 2020 (904 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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