Suche, will und frage



 

Suche!

Doch such in dem, was du hier findest,

was du schon jetzt gefunden hast!

Ohne zu suchen findest du nicht Tiefe

in dem, was hier, was jetzt schon da ist.

Suche die Tiefe, das heißt einfach:

Lass auf dich wirken, was geschieht,

bis voll entfaltet seine Wirkung ist!


 

Nimm keinen edlen Wein in deinen Mund -

aus gutem Jahrgang und aus viel gepriesener Lage -

und schluck ihn dann schnell runter in den Magen!

Halte ihn lang zwischen den Zähnen und dem Gaumen,

prüf’ ihn mit Sorgfalt, gründlich und genau!

Nur dann kannst du nicht nur erfahren,

dass er gut schmeckt, sondern auch wie.

Dann kennst du nicht nur seinen Namen.

Suche das Wie des Weins, nicht nur das Was!


 

Wende nicht vorschnell deinen Blick ab,

sobald der Stein, von irgendwo geworfen,

im stillen Wasserspiegel aufgeschlagen ist.

Du siehst ihn dann nicht in die Tiefe sinken.

Und auch die Wellenlinien siehst du nicht,

die sich geordnet mehr und mehr ausbreiten,

bis sie verklingen in den augenfernen Weiten.

Sieh in dem Kreis, dass er zum Punkt hin schrumpft,

dass er sich dehnt hin zur Unendlichkeit!




 

Will!

Doch will in dem, was un-gewollt schon da ist.

Denn wie es da ist, das hängt ab von dir.

Das, was jetzt da ist, wird nicht nur gefunden.

Es ist nicht einfach da – ganz ohne dich.

Wie es jetzt da ist, wird durch dich erfunden.

Du selbst bestimmst die Form, in der es ist.

Ob du es nebelhaft verschwommen oder klar siehst,

von dir, von deiner Haltung hängst es ab -

wie wach du sein willst, ob, eindeutig und entschlossen,

du bist mit ganzem Herzen zugewandt,

ob du dich ganz in das Gegebene hineingibst,

ob du es wirklich willst mit rückhaltloser Kraft.



 

Frage!

Doch stell die Frage so, dass schon dein Fragen

von Anfang an die Antwort in sich selbst enthält!

Die Gleichung – richtig aufgestellt –

sie ist bereits die Lösung.

Die Frage – richtig gestellt – ist schon die Antwort.

Antworte zeitgleich mit der Frage,

sofort in dem Moment, in dem du fragst!

Und auch noch in der Antwort bleibe weiter fragend!

Denn wie in jeder Frage ja bereits die Antwort steckt,

so steckt in jeder Antwort schon die nächste Frage.


 

Frag’ immer wieder, immer weiter,

frag', bis die Antworten dir sagen:

Ab jetzt gibt es nichts mehr zu fragen.

Es gab auch nie etwas zu fragen.

Es gab nur immer schon die Antwort.

 





 

Kommentar:

 

Ein „wegloser Weg“, wo man schon auf dem Weg am Ziel ist, wo die Frage schon die Antwort enthält, ein Finden im Suchen und Antworten im Fragen, ist auch das Lösen eines Sudokus. Um das zu verdeutlichen, füge ich eine Passage aus meinem bisher noch nicht veröffentlichten Roman „Das Sabbatexperiment“ an:
 

„Hartmut sitzt mal wieder vor einem Sudoku-Blatt. Zahlen von 1 bis 9 sind scheinbar zufällig über 81 quadratische Felder verstreut, in schöner doppelt quadratischer Ordnung in 9 Blöcke von neun Zahlen eingeteilt. Hartmut weiß, dass jedes dieser Felder in etwa einer Stunde gefüllt sein wird, so aus-gefüllt, dass die Regel erfüllt ist: Jede Zahl darf nur ein mal vorkommen: in jedem Block, in jeder Zeile, in jeder Spalte. Hartmut weiß, dass das so sein wird. Er weiß es aus Erfahrung. Er hat schon viele Sudokus gelöst. Er weiß, dass es für jedes Sudoku, das in einer Zeitung oder einem Rätselheft steht, nur eine, deshalb ein-deutige Lösung gibt, die er nicht suchen muss, die er einfach finden kann. Bedingung dafür ist nur, dass er richtig vor-gehen, richtig vorwärts-gehen muss, von einer richtig gefundenen Zahl, die die Regel erfüllt, zur nächsten, Schritt für Schritt, ohne Eile, ohne springen zu wollen, ohne Abkürzungen nehmen zu wollen. Er weiß: Nur wenn er die Regel des richtigen Vor-Gehens einhält, die Regel des rechten Wegs, wird er die richtige Lösung finden, an das richtige Ziel kommen. Manchmal ist er zu unvorsichtig gewesen, er wollte zu schnell vorwärts, er wollte zu schnell ans Ziel, hat etwas übersehen, stellte dann fest, dass er irgendwo eine falsche Zahl eingetragen hat, dass er sich verirrt hat, manchmal erst, als er dem Ziel schon zum Greifen nah war, als nur noch wenige Felder nicht ausgefüllt waren. Dann musste er zurück, wieder von vorne anfangen, den ganzen Weg noch einmal gehen. Deshalb geht Hartmut nun kein Risiko mehr ein. Er geht immer nach derselben Systematik vor, wendet immer dieselbe Strategie an, sorgfältig, gründlich, jeden Schritt noch einmal überprüfend. So kann er sicher sein, dass er keinen Fehler macht, dass er sich mit jeder neu gefundenen Zahl der Lösung nähert, dass jede neue Zahl schon ein Teil dieser Lösung ist. Jede Zahl ist eine Frage, die schon die Antwort in sich enthält, und diese Antwort, die gefundene Zahl, enthält auch schon die nächste Frage, die auch schon wieder die Antwort in sich enthält, und so geht es Schritt für Schritt, von Zahl zur nächsten Zahl immer weiter. Und so ist das Lösen eines Sudokus ein Finden, kein Suchen, ist ein Finden von Anfang an, ein Finden von der ersten bis zur letzten Zahl, ein Finden, das nicht zwischendurch zum Suchen wird. Und was er am Sudoku liebt, ist diese Sicherheit des Findens, diese Ge-wissheit des Ankommens.

Und es ist ein Ankommen, das nicht erst am Schluss auftaucht. Es ist ein Ankommen von Anfang an, bei jeder neu gefundenen Zahl. Das Sudoku ist ein Weg, bei dem man bei jedem Schritt schon am Ziel ist. Und dabei ist jeder Schritt gleich wichtig, gleich viel wert. Es ist nicht befriedigender, die letzte Zahl eintragen zu können, als die erste. Das Weiter-Kommen, Fort-Schreiten, der Fort-schritt beim Sudoku ist ja nur das zunehmende Sichtbar-Werden einer perfekten Ordnung, die von Anfang an vorgegeben, schon da ist. Der Blick auf das vollständig gelöste Sudoku ist auch nicht beglückender als der Blick auf das erst halb gelöste. Das vollständig gelöste Sudoku wird sogar sofort langweilig, so dass Hartmut es meistens sofort in den Papierkorb wirft.“

 

 

 

 


 

Es gibt ein Fragen, um zu einer Antwort zu kommen.

Es gibt ein Suchen, um zu finden.


 

und


 

Es gibt ein Antworten, ohne zu fragen.

Es gibt ein Finden, ohne zu suchen.


 

und


 

Es gibt ein Suchen im Finden und ein Finden im Suchen.

Es gibt ein Fragen im Antworten und ein Antworten im Fragen.




 

Und es ist gut, dass es das alles gibt.

„Ja, ich will - ja, ich will - ja ich will,

dass es das alles gibt, was es gibt.“

(André Heller)




 

 

 

 


 

Publiziert am: Sonntag, 22. März 2020 (840 mal gelesen)
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