Mit Kopf ohne Kopf


 

Fritz Perls sagt: „Verlier den Kopf und komm zu Sinnen!“

Ich sage: „Behalt’ den Kopf! Werde nicht kopf-los!

Verlier ihn nicht und werf ihn auch nicht weg!

Ganz ohne Kopf lebst du wohl nicht mehr lange,

kannst deinen Weg gar nicht mehr weitergehen.

(abschreckende Beispiele: Klaus Störtebeker, der Apostel Paulus)

Manchmal ist auch der Weg für Andere dann zu Ende.

(warnendes Beispiel: Desdemona, als Othello den Kopf verlor)


 

 

Sei nicht ver-kopft, sei nicht kopf-lastig!

Mache dir keinen Kopf darüber, dass du Milch verschüttet hast,

die lange schon von einem Lappen weggewischt!

Mach dir auch keinen Kopf um Eier, die noch nicht gelegt,

und die vielleicht kein Huhn auch jemals legen wird!

Du machst dir sonst das Gehen schwer mit Ängsten und mit Sorgen,

die - gar nicht nötig - nur behindern und verzögern deinen Weg.

( alltägliche Beispiele : ich selbst und viele meiner Patienten/innen)


 

 

Lass deinen Kopf los! Werde kopf-frei!

Nutze den Kopf dazu, ihn zu entrümpeln,

von Müll, wertlosem Schrott und Ballast zu befrei’n,

ihn wieder leer, ihn wieder leicht und unbeschwert zu machen!

(hilfreiches Beispiel: ich als Psychotherapeut)

 

Stell mit dem Kopf prüfende Fragen an den Kopf!

Stell mit dem Kopf den Kopf in Frage!

Nutze den Kopf dazu, zu wissen, dass der Kopf nicht weiß,

dazu, nicht-wissend doch etwas zu wissen!

(Gedanken prüfendes Beispiel: Sokrates)


 

 

Geh mit dem Kopf über den Kopf hinaus!

Geh mit dem Kopf bis zu dem Ort, an dem du siehst:

Hier hat der Kopf das Ende seines Wegs erreicht!

(vor-denkende Beispiele: Nagarjuna und Wittgenstein)
 

Leg hier zwar nicht den Kopf, doch das, was du im Kopf hast, ab,

weil du es nicht mehr brauchst, um fortzuschreiten,

und geh von da ab einfach ohne diesen Ballast weiter

auf einem Weg, der gar kein Weg mehr ist!“

(lehrendes Beispiel: Buddha)






 

 

Kommentar:
 

Zu den ersten drei Strophen gibt es nichts zu sagen.

Sie sprechen ja für sich selbst, sind ja selbstverständlich, aus sich selbst heraus verständlich.

Falls du, liebe Leserin, es nicht schon weißt: Störtebeker und Paulus verloren ihren Kopf, indem er ihnen abgeschlagen wurde.

Störtebeker soll ohne Kopf noch einige Augenblicke gelaufen sein, zu einigen mit-gefangenen Mit-Piraten, denen er dadurch Leben und Freiheit gerettet hat.

Paulus ist - wie die Überlieferung einhellig sagt - ohne Kopf gar nicht mehr gelaufen.

Othello hat seine geliebte Desdemona erwürgt - in einem kopf-losen Anfall von Eifersucht.


 

 

Zu Sokrates gibt es schon etwas zu sagen:

Das Orakel von Delphi hat Sokrates zum Weisesten aller Menschen erklärt, weil er von sich selber sagte:

„Ich weiß, dass ich nicht weiß.“
 

Das Griechische „oîda oúk eidós“ heißt nicht: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

Es heißt eigentlich auch nicht: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“

Es heißt eigentlich, wörtlich übersetzt: „Ich weiß nicht wissend.“

Und das ist etwas völlig Anderes.

 

Sokrates hat viele, die glaubten, etwas zu wissen, durch Fragen dahin geführt, zu erkennen, dass sie nicht wissen, ihnen geholfen, ihr angebliches, manchmal angeberisches Wissen als Schein-Wissen zu durchschauen. Er ist der „Vater aller De-Kontruierer“.

Seine Gespräche mit Anderen enden in der Aporie, der Weglosigkeit, Aus-Weglosigkeit; da, wo der Kopf nicht weitergehen kann, weiteres Fragen zu keiner Antwort führt.

Vielleicht konnte er sich selbst und Andere bis zu diesem Punkt bringen, weil er über ein Wissen verfügte, das über das Wissen in Gedanken und Worten hinausreicht, ein Wissen, das nicht mehr denkbar, nicht mehr aus-sprechbar, jedoch trotzdem durchaus erfahrbar ist.

Es gibt ein Handeln, das gleich-zeitig Nicht-Handeln ist.

Vielleicht gibt es auch ein Wissen, das gleich-zeitig Nicht-Wissen ist.


 

Zu Nagarjuna und Wittgenstein gäbe es viel zu sagen; doch das würde den Rahmen eines Kommentars sprengen:

Wittgenstein ist - ähnlich wie Sokrates - mit dem Kopf bis dahin gegangen, wo der Kopf nicht weitergehen kann.

Nagarjuna hat durch das Denken das Denken grund-sätzlich in Frage gestellt. Er hat gezeigt, dass alles Gedachte weder aus sich selbst noch aus Anderem begründet werden kann, dass alles Gedachte nur entsteht und besteht in Abhängigkeit von etwas Anderem, das seinerseits wieder abhängig von etwas Anderem ist. Alles Gedachte hat keinen „Grund“ in etwas, das unabhängig von Anderem nur auf-grund seines eigenen überdauernden Wesens da ist. Alles Gedachte hat keinen „Grund“, ist „leer“.



 

Buddha hat immer wieder gelehrt, dass seine Lehre ein Hilfsmittel ist, das man loslassen kann, wenn sein Zweck erreicht ist; ein Floß, das dazu dient, einen Fluss zu überqueren, das man aber zurücklässt, wenn das andere Ufer erreicht ist.

Er soll auch mal gesagt haben:

„Wenn meine Lehre deiner Erfahrung widerspricht, folg' deiner Erfahrung!“




 

Wer ein Buddhist bleibt, kann kein Buddha werden.

Solang’ du Buddha folgst, kannst du nicht Buddha sein.

Gehe den Weg, den du allein nur geh’n kannst!

Folg' deiner eigenen Erfahrung, trau’ nur ihr allein!

Und triffst du unterwegs auf Buddha,

dann geh ein Stück mit ihm, geh neben ihm,

doch geh nicht hinter ihm, folg' ihm nicht nach!

Stelle ihm eifrig eine Frage,

höre genau die Antwort, die er gibt!

Und wenn du ihn genug gefragt hast,

wenn du so viel gehört hast, wie du brauchst,

dann töte Buddha,

und geh alleine weiter -

als Buddha!
 

Und was für Buddha gilt,

das gilt natürlich ebenso für Christus, Rumi, Krishna(murti), Rudolf Steiner

und für jeden anderen Lehrer oder Meister auch.




 

Löse alle Lehren in die „Leere“ auf -

auch die Lehre von der „Leere“!

 

Und:
 


Die „Leere“ ist nicht das Nichts.

Leer machen ist nicht ver-nichten.

„Töte“ in dir den Lehrer, nicht die Lehre!

Mach sie nur „leer“!

Lass sie so „leer“ sein, wie sie ist!

 



 

Publiziert am: Dienstag, 17. März 2020 (1007 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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