Ruhen in Allah

 

Diese Erfahrung, am Sabbat im Frieden Gottes zu ruhen, erinnerte Hartmut an eine andere Erfahrung, die er beim Besuch der ehemaligen „Großen Moschee“ in Cordoba gemacht hatte: Auch hier war jede Zielgerichtetheit aufgelöst. In der Moschee von Cordoba geht der Gläubige keinen Weg zu Gott, sondern er kommt an bei Gott - an dem Ort, wo er gerade ist.

 

Es gibt keinen Weg in diesem Wald aus Säulen, kein Weiterschreiten, keinen Fort-Schritt zu einem Ort, der Gott näher ist.

Der Mihrab (die Gebetsnische) gibt nur die Richtung vor, ist aber kein Ort, den man erreichen soll. Jeder Ort ist richtig, solange die Richtung stimmt.

Glück ist, zu wissen, dass man auf dem richtigen Weg ist. Aber eigentlich gibt es hier gar keinen Weg. Es gibt nur ein Ankommen am Ziel - überall, an jedem Ort.

 

Und ähnlich wie nach seiner Israelreise fand er nach seiner Rückkehr zu Hause in Heinrich Lützelers "Weltgeschichte der Kunst" eine großartige Beschreibung dieser Moschee, in der seine Erfahrung viel treffender, viel überzeugender zum Ausdruck kam als er sie hätte selbst in Worte fassen können.


Eine ähnliche Erfahrung hatte Hartmut auch schon im Nasridenpalast von Granada, der Alhambra, gemacht. Auch hier gibt es kein Hinführen auf einen zentralen Ort, kein Fortschreiten, keine Steigerung der Schönheit, je mehr man sich diesem Ort nähert. Es gibt wohl eine Abfolge von öffentlichen zu immer privateren Räumen. Aber schon die Mosaiken im Eingangsbereich, der einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, sind genauso komplex und phantasievoll gestaltet wie die im Thronsahl, dem Saal der Gesandten, oder in den Privaträumen des Sultans um den Löwenhof herum. Und auch in diesem Privatbereich gibt es keine Zentrierung auf einen besonders hervorgehobenen, besonders vollkommenen Ort. Kein Ort ist schöner oder weniger schön, jeder ist auf eine andere Weise genauso schön. Als Hartmut versuchte, die Fotos, die er gemacht hatte, räumlich zuzuordnen, konnte er anhand der Fotos den westlichen nicht vom östlichen Pavillon unterscheiden. Und das Stalaktitengewölbe im Saal der zwei Schwestern an der Nordseite ist nicht weniger prächtig als das entsprechende im Saal der Abencerrajen auf der Südseite des Löwenhofs. Diese Gleichwertigkeit, dieses Gleichgewicht zwischen den Richtungen des Raums, dieses Fehlen einer bevorzugten, hervorgehobenen Raumrichtung ist wohl beabsichtigt und soll die Harmonie des Paradieses widerspiegeln, die an jeder Stelle gleich ausgeprägt ist. Das Paradies ist an jeder Stelle gleich vollkommen, nur die Form dieser Vollkommenheit wird variiert. So kann der staunende, von der unüberschaubaren Fülle der Ornamente überwältigte Betrachter an jeder Stelle des Löwenhofs ankommen und bleiben.

 

Und auch zur Alhambra möchte ich noch einmal Heinrich Lützeler zu Wort kommen lassen.



Hartmut sah, dass beide (semitischen) Kulturen, die jüdische und arabische, eine sehr ähnliche Erfahrung hervorgebracht hatten.

 

 

Publiziert am: Sonntag, 08. März 2020 (986 mal gelesen)
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