Zurück geblieben

 

„Sie meinen, Hartmut hätte doch auch ein Bisschen Recht. Natürlich hatte er das. An fast jeder Sichtweise ist irgendetwas auch richtig.

 

Natürlich hatte Hartmut Recht, wenn er den Islam für dringend reformbedürftig hielt. Alles, was nicht mehr "Leitkultur" ist, wird reformbedürftig. Auch Ihre heute führende Kultur wird es irgendwann sein. In der Form, in der der Islam vor fast 1400 Jahren begründet worden ist, ist er selbstverständlich heute rückständig, steht im Rücken der Menschheit, die weiter gegangen, fort geschritten ist. Er ist zurück geblieben, weil er nicht mehr Schritt halten konnte, oder er ist sogar stehen geblieben. Und wenn er sich nicht beeilt, aufzuholen, die vorangeeilte Gesamtmenschheit einzuholen, dann wird er von ihr einfach zurückgelassen werden. Denn der Fortschritt der Menschheit ist rücksichts-los, wie Hartmut ja treffend geschrieben hat.

(Übrigens ist natürlich in allen rückständigen Kulturen etwas Wertvolles geblieben, was der fortgeschritteneren Menschheit in ihrem Fortschreiten verloren gegangen ist. Und es würde sich vielleicht sogar lohnen, zurückzublicken, um es sich zurück zu holen.)

 

Was auch ich als sein Ich-Bin für reformbedürftig halte, habe ich ja schon eben kurz aufgeführt: Gottesstaat, Gotteskrieger (Dschihadisten) und Gottesstrafrecht (Scharia), Männerherrchaft und Vier-Frauen-Ehe.

 

Als er mit seiner Frau vor einigen Jahren eine geführte Busreise nach Kappadokien unternahm, warb der türkische Reiseleiter für die Regel, dass im Islam ein Mann vier Frauen heiraten darf, mit folgendem Argument: „Zu Mohammeds Zeit war das Ansehen eines Mannes erst einmal dadurch bestimmt, wie viele Kamele er hatte; in zweiter Linie dadurch, wie viele Schafe und Ziegen er hatte; und erst an dritter Stelle dadurch, wie viele Frauen er hatte.“ Er wollte damit betonen, dass die Beschränkung auf vier Frauen damals ein enormer historischer Fortschritt gewesen sei.

Ja, in der Wüste im Jahr 632.

Aber nicht in einer europäischen Großstadt des Jahres 2016.

 

Nun machen ja von dieser Erlaubnis, mit vier Frauen verheiretet zu sein, nur ganz wenige Männer Gebrauch. Die Meisten könnten es sich ja gar nicht leisten. Denn nach dem islamischen Eherecht darf keine der Frauen bevorzugt oder benachteiligt werden. Und auch die meisten von den Wenigen, die es sich leisten könnten, nutzen diese Möglichkeit nicht: weil sie schon durch eine einzige Frau genug gefordert bis überfordert sind - innerhalb und außerhalb des Betts.

 

Diese Vier-Frauen-Ehe (natürlich gibt es im patriarchalischen Islam nicht genauso eine Vier-Männer-Ehe) spielt also im gelebten Alltag kaum eine Rolle und kann also als unterhaltsame Randnotiz abgetan werden.

 

Was aber ja durchaus gelebt wird, ist das


Gotteskriegertum

 

das eben nicht mehr zeitgemäß ist, es eigentlich nie war, zu keiner Zeit, weil es mit dem Kern jeder Religion, der Liebe, unvereinbar ist.

 

Die jüdische Volksreligion hat es von den drei „abrahamitischen“ Religionen als erste überwunden, sehr wahrscheinlich einfach deshalb, weil sie seit dem Verlust des Nationalstaats und der Zerstreuung über alle Weltgegenden keine Machtbasis mehr hatte, um Gotteskriegertum auszuleben. Vorher hat es ja bei der Eroberung Palästinas und bei den Aufständen gegen Griechen und Römer genug Kämpfe im Namen Gottes gegeben (bei dieser Volksreligion untrennbar verbunden mit dem Kampf für das eigene Volk).

 

Dem Christentum ist Gotteskriegertum schlichtweg wesensfremd. Darauf hat Hartmut ja in „Christus und die Kreuzritter“ überzeugend hingewiesen.

Trotzdem ist der christliche Glaube immer wieder zu einer aggressiven Machtpolitik entstellt worden. Was den Missbrauch zum Zwecke von Gewalt und Krieg angeht, steht das Christentum ja dem Islam leider keineswegs nach, hat sogar ihm gegenüber einen Vorsprung, den auch der militanteste Islam nicht so schnell aufholen kann. Die Ströme von Blut, die allein in Europa, unter Christen, im Namen Christi vergossen worden sind, von den Greueltaten gegenüber Andersgläubigen ganz zu schweigen, werden wohl auch in allen zukünftigen gewaltsamen Konflikten zwischen Schiiten und Sunniten nicht mehr fließen.

 

Es ist ein völlig unverständlicher Wahnsinn, wie man all diese Gewalt aus dem Wesen und Kern des Christentums ableiten konnte. Sie ist mit den Lehren des Religionsstifters völlig unvereinbar.

 

Beim Islam ist es wesentlich leichter, Gewalt aus seinen Grundlagen abzuleiten. Er tut sich verständlicherweise am schwersten damit, das Gotteskriegertum hinter sich zu lassen, weil es nicht wesensfremd ist, sondern zwar nicht zum Kern, jedoch auf jeden Fall zur Peripherie der Religion dazu gehört. Mohammed ist eben nicht wie Jesus von Nazareth ein politisch Machtloser gewesen, der (in typisch jüdischer Märtyrertradition) von den Mächtigen ans Kreuz genagelt wurde. Er war selbst ein Mächtiger, ein erfolgreicher Herrscher und Gesetzgeber; und ein Feldherr, der den Dschihad, den „Heiligen Krieg“, nicht nur für rechtmäßig und gottgefällig erklärt hat, sondern auch gelebt hat.

Trotzdem wird es auch für den Islam notwendig sein, auf Waffengewalt als Mittel des Glaubenseifers zu verzichten, wenn die Menschen, die diesem Glauben anhängen, nicht hinter der rücksichtslos fortschreitenden Menschheit zurückbleiben wollen.“

 

 

„Sie sind skeptisch, ob der Islam die dafür notwendige Reformbereitschaft aufbringen wird.

 

Seien Sie doch so fair, ihm die Zeit dafür einzuräumen, die er verdient hat, gerade im Vergleich mit dem Christentum. Der Islam ist ja etwa 600 Jahre jünger als das Christentum. Gehen Sie doch mal in der Geschichte Ihres eigenen Glaubens diese 600 Jahre zurück. Dann kommen Sie in das Jahr 1419, landen im intoleranten, unaufgeklärten Christentum des ausgehenden Mittelalters, für das Glaubenskriege mit unglaublicher Grausamkeit gegen Andersgläubige völlig selbstverständlich war; genauso selbstverständlich, dass Meinungsverschiedenheiten über die richtige Auffassung des eigenen Glaubens blutig mit dem Schwert ausgetragen wurden.

Die Zeit, in der der Papst zu den Gewalttaten des Kreuzzugs aufrief mit den Worten „Gott will es“, war noch nicht lange vorbei. Der Apostel Jakobus wurde immer noch als „Matamoros“, Maurentöter, verehrt.

Die Blütezeit der spanischen Inquisition, in der unzählige vom Judentum zum Christentum Konvertierte gefoltert und verbrannt wurden, die Ermordung aller Hugenotten in der Bartholomäusnacht, die Vertreibung aller Juden aus Spanien, der Reste der Hugenotten aus Frankreich, die Hussitenkriege und der schreckliche Dreißigjährige Krieg liegen alle noch in der Zukunft.

Und noch in der Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die völkermordähnlichen Massaker der katholischen Kroaten an den mit ihnen doch so nah verwandten, doch ,,leider" orthodoxen Serben vom Vatikan wenigstens geduldet.

 

Geben Sie dem Islam doch die 500 Jahre Zeit, die auch das Christentum gebraucht hat, um durch die Epochen der Renaissance, des Humanismus und vor allem der Aufklärung zu gehen und dadurch endlich die Religion des Friedens zu werden, die es eigentlich schon immer hätte sein sollen und müssen.
 

Publiziert am: Sonntag, 08. März 2020 (1060 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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