Kein Rassist und Anti-Islamist - ein "Kulturist"



Zu Hartmuts Ehrenrettung muss ich sagen, dass er nicht am tiefsten Grund des Brunnens stand. Einige völlig abartige Sichtweisen teilte er nicht:

 

 

Hartmut war kein Rassist.

 

Dazu war er nicht dumm genug.

Dafür wusste er auch zu viel.

 

Jeder, der deutsch sprach und europäisch dachte, war für ihn ein Deutscher. (Nach diesem Kriterium waren auch viele Deutsche keine Deutschen.)

Jeder, der eine andere europäische Sprache sprach und europäisch dachte, war für ihn ein Europäer, gleichgültig, ob er nun eine weiße, schwarze, braune oder gelbe Haut hatte.

         Er war auch deshalb kein Rassist, weil er ja wusste, dass Türken, Araber, Iraner, berberstämmige Nordafrikaner und Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea ganz unterschiedlichen Volks- und Sprachgruppen angehörten. Die Türken gehörten zu den Turkvölkern, die Araber zählten wie die Juden - die er für das begabteste Volk der Welt hielt, denen die Menschheit am meisten zu verdanken hatte - zu den Semiten. (Insofern konnten Araber gar keine "Anti-Semiten" sein.)

Iraner, Kurden und Afghanen waren Indogermanen wie die meisten europäischen Völker, die Berber gehörten zu den Hamiten. Wenn er annahm, dass Migranten aus diesen so unterschiedlichen Völkern Probleme verursachen könnten, so konnte das nicht an einer gemeinsamen, eben problematischen Rasse liegen, weil es die ja gar nicht gab. Natürlich gibt es sowieso keine problematischen Rassen, sondern höchstens (jedenfalls für andere Kulturen, manchmal auch für die eigene) problematische Kulturen.


 

 

Hartmut war auch kein Anti-Islamist.

 

Er stand letztlich allen etablierten, konventionellen Religionen kritisch gegenüber, jedenfalls den abrahamitischen, dem Judentum, Christentum und Islam.

Jede dieser Religionen glaubte doch, dass sie selbst letztlich die Wahrheit gepachtet hatte, und blickte bestenfalls mitleidvoll-gnädig auf den anderen Glauben herab, der höchstens eine fehlerhafte Annäherung an die eigene unfehlbare Wahrheit darstellte. Das nannte man dann Toleranz. Aber keine dieser Religionen war bereit, sich ernsthaft zu fragen, ob denn der Glaube der Anderen nicht vielleicht doch ein besseres Bild von dem ihnen ja gemeinsamen Gott oder einen besseren Weg zu ihm böte.

         Sein japanischer Sensei Yoshigasaki hatte einmal auf einem Seminar die Frage gestellt: „Was ist eine Sekte?“ Und als keiner wagte, eine spontane Antwort zu geben, hatte er sie nach einigen Sekunden selbst beantwortet: „Eine Sekte ist eine Gruppe, die glaubt, nur sie wüsste die Wahrheit, die ganze Wahrheit.“ In diesem Sinne war das Christentum genauso eine Sekte wie das Judentum und der Islam.

Keine dieser Religionen war wirklich tolerant, denn tolerant war nur die Haltung: Die Welt ist doch groß genug, dass wir alle auf ihr Unrecht haben können.

         Speziell zum Islam hatte Hartmut eine recht differenzierte, ambivalente Haltung. Er war wohl einer der wenigen, die zu Hause einen Koran im Bücherschrank stehen hatten. Die meisten, die dem Islam in globaler Vereinfachung kritisch bis feindlich gegenüberstanden, kannten ihn gar nicht, maßten sich ein Urteil an über etwas, was sie gar nicht beurteilen konnten.

Hartmut dagegen wusste, wie der Islam entstanden war, wie es zu der Spaltung in Sunniten und Schiiten gekommen war, die ja die Hauptursache im Hintergrund für viele Konflikte des Nahen Ostens war.

         Eine seiner Lieblingsbücher war das Matnawi von Dscheladeddin Rumi, immerhin nach dem Koran und den Hadiths, den Überlieferungen vom Leben des Propheten Mohammed, das drittwichtigste Buch im Islam. Als ein Kenner seiner Werke wissen Sie ja, wie oft er in seinen Texten Stellen aus dem Matnawi zitiert.

         Hartmut wusste, dass es innerhalb des Islams stark vom Sufismus beeinflusste Richtungen gab, z. B. die Alewiten der Türkei (nicht zu verwechseln mit den viel reaktionäreren Alawiten in Syrien), die geprägt waren von einem sympathischen Humanismus, der dem christlichen und jüdischen Humanismus durchaus verwandt und vergleichbar war.

 

 

 

 

Hartmut war ein „Kulturist“.

 

Hartmut war zu einem Kulturisten geworden.

Er stand vorderasiatischen und nordafrikanischen Kulturen kritisch gegenüber, unabhängig von Sprachgruppen und Religionen, und befürchtete einen ungünstigen Einfluss dieser Kulturen auf die eigene "westliche" Kultur, z.B durch das Schaffen einer "Parallelgesellschaft" mit "rechtsfreien Räumen".

Dabei hatte er durchaus einen wertschätzenden Blick für ihre Schätze. Vor allem war er schon immer ein Bewunderer der islamischen (Bau-)Kunst gewesen, besonders der Ornamentik. Wir werden sicher noch auf Hartmuts Sabbat-Experiment zu sprechen kommen, und dann werde ich Ihnen erzählen, wie begeistert und beeindruckt er von der maurischen Architektur in Andalusien war, von der Großen Moschee in Cordoba und der Alhambra in Granada.

 

Publiziert am: Sonntag, 08. März 2020 (996 mal gelesen)
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