Im Stadttor

 

Ich hab’ gehofft, dass alle Türen

sich irgendwann von ganz alleine schließen,

hab mir gesagt: Dann kann ich endlich geh’n.

Für jede Tür jedoch, die sich von selber schloss,

öffnete sich immer wieder eine neue.

Ich wartete sehr lange, bis ich endlich einsah,

dass ich die Türen selber schließen

und einige auch offen lassen muss.

 

Jetzt zieh’ ich hinter mir die Haustür zu

und lasse andere Türen einfach offen steh’n,

laufe das letzte Mal durch wohlbekannte Gassen,

wie ich es ja gewohnt war Tag für Tag.

Ich geh’ bedächtig langsam durch das Stadttor,

verlasse die mir so vertraute Stadt,

schaue noch mal zurück auf oft begangene Straßen,

in denen ich auf Festen jubelte - berauscht,

auch auf dem harten Pflaster lag - betrunken.

Ich weiß: Hier werd’ ich nie mehr wohnen, nie mehr leben.

Höchstens als Gast komm ich vielleicht noch mal hierher.

Ich hab’ schon viele Städte so wie jetzt verlassen.

In keine davon bin ich je zurückgekehrt.

Das meiste hab’ ich immer da gelassen.

Ich brauchte es nicht mehr am neuen Ort.

Etwas habe ich jedoch immer mitgenommen,

aus jeder Stadt, die ich durch solch ein Tor verließ,

und trag es bei mir auf der weiteren Wanderschaft:

ein fester Stock, der Halt beim Abstieg gibt, aus dieser,

aus jener Stadt ein breiter Hut, der Schatten spendet.

 

 

Gesucht hab’ich das Ende,

konnte es nicht finden,

weil ich darauf gewartet habe, dass es kam.

Das Ende konnte jedoch gar nicht kommen,

ganz einfach deshalb,

weil es überhaupt nicht geht,

etwas gar nicht von selbst zu Ende geht.

Ich selber muss das Ende für mich setzen,

muss es erfinden, muss es mir erschaffen.

Dann ist es weg- und zeitlos plötzlich da.

 

Jetzt hab’ ich überrascht und staunend nicht gefunden,

das Ende, was ich doch so lange Zeit gesucht.

Ich finde - unerwartet, ungesucht, auch ungewollt -

etwas ganz Anderes: einen neuen Anfang.

Ich dreh’ mich um und laufe aus dem Schatten

des engen Tores auf das helle Licht zu,

vom frischen Wind des Morgens sanft umweht,

weg von den Mauern, die mich bisher schützten,

vor mir das weite, freie,

unsicher unbekannte Land.

 

Publiziert am: Samstag, 06. Februar 2016 (1016 mal gelesen)
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