Zwei Schwestern

 

Am liebsten haben ist Unsinn.

(August Macke)

 


 

 

Ich gehe in ein Haus mit sieben Schwestern.

(Genau genommen sind es sogar acht;

die letzte jedoch ist nur zwergengroß,

wird deshalb von den meisten übersehen.)

 

Ich stelle euch nun zwei von ihnen vor:

Sie sehen ähnlich aus, sie sind ja beide Töchter

der Erdentiefe und des Feuerzorns.

In ihrem Wesen sind sie jedoch sehr verschieden.

 

Die eine ungeschminkt und ungeschmückt,

mit wilder Haarpracht, nicht einmal gekämmt,

ein armes Straßenkind in einem Bauernkittel,

das ihrer Schönheit gar nicht klar bewusst,

unschuldig, unverdorben, ungekünstelt,

noch unbekümmert, unbefangen herzlich.

Im Grunde müsste sie so heißen wie die and’re.

Da sie die ältere ist, hat sie mehr Falten.

Doch gerade die machen sie umso schöner.

Sie ist viel kleiner, auch etwas gedrungen,

nicht hochgewachsen schlank wie ihre Schwester.

 

Die andere war mal reich, bekannt, sogar berühmt,

lud Gäste in ihr Haus aus aller Welt.

Sie trägt voll Stolz das goldene Diadem,

das ihr geblieben ist aus frohen Jugendjahren.

Noch immer ist sie launenhaft wie eine Diva,

verschleiert und enthüllt sich wie sie will.

Ihr Kleid ist grün – mit farbenfrohen Bändern.

Die Stirn ist oft verdeckt durch grauen Wolkenkranz.

Die Strümpfe, die sind schwarz,

manchmal ist weiß der Hut;

 

Sie zu vergleichen, das macht keinen Sinn.

Jede ist wunderschön auf ihre eigene Art.

 

Die eine, die heißt einfach La Gomera,

die andere nennt sich selbstbewusst La Palma.



 


 

Palmen, Kiefern und Bananen

 

Nicht, wie der Name nahe legt, die Palme,

bestimmt das Bild der Landschaft auf La Palma.

Es gibt nicht viele Palmen auf La Palma.

Doch prägen massenhaft sie La Gomera.

(Es wachsen dort so viele wie auf allen anderen

Kanaren-Inseln zusammen, etwa 130000.)

Sie füllen aus den Grund der vielen, steilen Schluchten,

beleben durch ihr Grün die kargen Hänge

bis hoch hinauf, dem Sonnenlicht entgegen.

 

La Palma ist geprägt von der Kanarenkiefer.

Sie saugt mit ihren langen Nadeln Wasser aus dem Nebel

der dichten Wolken, die vom Norden kommen.

Der Kiefernwald schmückt als ein breiter Ring

den Kranz der himmelnahen Berge.

Die Bäume sind gesund, wirken robust.

Selbst gegen Waldbrand schützt sie ihre dicke Rinde.

Das Feuer dringt nicht durch bis auf den Kern.

Aus schwarzer Haut sprießen schon bald die neuen Triebe.

 

Doch etwas haben sie gemeinsam, die zwei  Schwestern:

Auf beiden hat der Mensch zu seinem Nutzen,

die Landschaft nicht bereichernd und verschönernd,

Bananen angebaut in weiten Flächen.

Sie dehnen sich, so weit das Auge reicht, eintönig,

geschützt durch Mauern aus Beton,

verborgen unter Folie aus Plastik.

Doch wäre es zu einfach, schlicht zu sagen:

"Bananen sollte es hier gar nicht geben."

Sie sind ja eine wunderschöne Pflanze,

wenn sie in kleinen Gruppen oder einzelnd steh'n.

Ganz ohne sie wäre die Landschaft sicher ärmer.

Bananen der Kanaren sind besonders schmackhaft.

Auch auf den Tellern würde etwas fehlen.

Ob es sie geben sollte, das ist nicht die Frage.

Nicht "ob" ist hier die Frage, sondern "wie".

 

 

Einige Bilder:




 


 

Alt werden, jung bleiben

 

La Palma ist nicht nur die jüngere der beiden Schwestern. Sie wollte auch nicht alt werden, hat sich immer wieder verjüngt: durch Ausbrüche des Feuers aus ihrem Inneren.

Immer wieder erschafft sie sich neue Vulkane, färbt sich mit neuem Boden, rabenschwarz, tiefrot.

Durch dieses neue Land dehnt sie sich noch immer aus, noch weiter, nach Süden, genau auf El Hierro zu.

Hätte man genug Zeit, darauf zu warten - ein paar Millionen Jahre -, könnte man sehen, wie sie mit dieser kleineren Schwester zusammenwüchse.

 

La Gomera ist nicht nur älter, sie hat sich auch gegen das Älter-Werden nicht gesträubt, hat sich nicht durch neue Vulkane verjüngt.

Sie blieb, wie sie war, nahm es gelassen und geduldig hin, dass Wind und Wasser an ihr wirkten, im Laufe vieler Jahre tiefe Falten in sie gruben.

Auf keiner anderen Insel der Kanaren liegen so viele Schluchten so eng beieinander.


 

 

Reich werden, arm bleiben

 

Auch wenn man seinen Blick beschränkt auf die wenigen letzten Tage im Leben der beiden Schwestern, die von uns Menschen bestimmt sind, gibt es einen wichtigen Unterschied:

La Gomera ist immer arm geblieben, La Palma war mal reich.

Der einzige Beitrag La Gomeras zur Weltgeschichte besteht darin, dass Kolumbus auf der Fahrt zu der von ihm entdeckten neuen Welt sich mal auf ihr aufhielt, weil er eine Affäre mit der Inselherrscherin suchte oder sogar hatte. Ansonsten blieb La Gomera eine kleine Insel am Rand, vom großen Weltgeschehen weitgehend unberührt. Und so ist es ja bis heute geblieben. Sie ist ja auch von den Strömen der Turistenmassen weitgehend verschont geblieben.

 

La Palma nahm nicht nur Teil am Weltgeschehen, sie bildete sogar zeitweise einen der Knotenpunkte, an dem seine Fäden zusammenliefen und sich bündelten. Die Hauptstadt Santa Cruz war lange Jahre der Hafen, in dem alle Waren aus Lateinamerika verzollt werden mussten, den deshalb jedes Handelsschiff anlaufen musste. Sie war damals einer der wichtigsten und lebendigsten Hafenstädte der Welt.

Die zentrale Rolle im Welthandel brachte Geld auf die Insel. Die Bürgerhäuser in Santa Cruz aus dieser Zeit sprechen von Wohlstand und Reichtum.

Und Santa Cruz ist nicht die einzige Stadt auf der Insel.

Auf dem Land zeigen die Herrenhäuser der großen Landgüter, die Wohnsitze der "Bananenbarone", dass diese Herren nicht am Hungertuch nagten.

Auf La Gomera gibt es eigentlich gar keine Stadt. Auch der Hauptort San Sebastian gleicht eher einem großen Dorf. Und die kleinräumigen Täler ließen keinen Großgrundbesitz von nennenswertem Ausmaß zu. La Gomera ist die Insel kleiner Dörfer und armer Bauern geblieben.

Und viele der alten Häuser sind verfallen, von ihren Bewohnern verlassen, die vielleicht nach Kuba oder Venezuela ausgewandert sind, genutzt haben, dass die Kanaren ja die Brücke zwischen Spanien und Amerika waren und sind.

 

 

 


 

Publiziert am: Donnerstag, 05. März 2020 (776 mal gelesen)
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