An dir

 

Caesar beging an dir den ersten Völkermord:

er metzelte zwei Stämme der Germanen nieder.

So machte er aus dir die streng bewachte Grenze Roms.

Doch nach 400 Jahren kamen sie viel stärker wieder.

 

An dir brachten die Alemannen und die Franken

(wegen der Franken endet mancher Ort an dir mit „heim“.)

trotz aller Gegenwehr Roms Macht ins Wanken.

Das war notwendig für den Fortschritt, musste sein.

 

Sie nutzten weiter, was einst baute Rom:

die festen Lager und die gut geschützten Städte.

In der Colonia erhebt sich kühn der Kölner Dom.

Auf Römergrund liegt auch der Dom zu Speyer.

 

Die Nibelungen zogen von dir weg zur Donau fort,

zu deiner großen Schwester, in den Untergang.

Noch immer liegt – man weiß nicht, wo – ihr Hort

auf deinem Grund verborgen und verloren.

 

Nicht nur der Meister Eckhardt war an dir daheim.

Erasmus kam von Rotterdam, von Bingen Hildegard,

(Thomas von Kempen passt nicht in den Reim),

Anna von Kleve, und auch Rembrandt hieß „van Rijn“.

 

An dir trinkt man hier Kölsch, trinkt man dort Alt,

man isst gern Sauerbraten, in der Pfalz Saumagen.

An deinen Hängen wächst nicht nur der Rieslingwein.

Auch Grauburgunder reift auf guten Lagen.

 

Dass Loreley an dir sich ihre Haare kämmte,

weiß schon die ganze Welt, das weiß ich nicht alleine.

Es ist etwas, was ich nicht mehr erzählen muss.

Das tat vor langer Zeit schon Heinrich Heine.

 

"Was bist du heute?" will ich dich jetzt fragen.

Du bist nicht mehr der Grenzfluss aus den Römertagen.

Du bist Europas stark belebte Mittelachse.

Die Türme, die an dir hoch in den Himmel ragen,

sind nicht mehr Burgruinen, sind jetzt Stromkraftwerke.

An deinem Lauf verdichten sich die Industrieanlagen.

In deinen Ballungsräumen ballt sich auch die Wirtschaftskraft.

Wer an dir wohnt und lebt, hat wenig Grund, zu klagen.





Kommentar:

 

Der Abstammung nach bin ich ein "Franke" vom Niederrhein, wenigstens mütterlicherseits. Meine Großeltern sprachen untereinander noch Klever Platt, eine niederfränkische Mundart. Weil ich ihn oft hörte, kann ich diesen Dialekt verstehen. Aber ich lernte nicht mehr, ihn auch zu sprechen, weil mein Vater als Vertriebener aus Hinterpommern kam und meine Eltern deshalb miteinander und mit mir nur Hochdeutsch sprachen. Und meine eigenen Söhne können Niederfränkisch weder verstehen noch sprechen. Das scheint das übliche Schicksal vieler Dialekte zu sein.

Ich bin viel gereist und wenigstens in Europa weit herumgekommen, doch gewohnt und gearbeitet habe ich immer am Rhein (oder jedenfalls in seiner unmittelbaren Nähe).

Geboren und zur Schule gegangen bin ich in Kleve, der alten Herzogstadt, der Heimat der oben erwähnte Anna, unterhalb der Moräne, die hier seit der Eiszeit die Rheinebene begrenzt.

Studiert habe ich in Köln, der Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA), der alten Hauptstadt der römischen Provinz Niedergermanien und mittelalterlichen "Hauptstadt" des "Heiligen römischen Reichs deutscher Nation".

Gearbeitet habe ich dann in Wesel, der wichtigen Hanse- und preußischen Festungsstadt.

Danach etwas flussabwärts in Rees.

Jetzt bin ich seit mehr als 20 Jahren in Xanten tätig, der ehemaligen Colonia Ulpia Traiana, die natürlich wie alle größeren Römerstädte in der Region auch am Rhein liegt.

Und seit mehr als 30 Jahren wohne ich in einem Dorf, das so nahe am Rhein liegt, dass man bei Westwind das Tuckern der Schiffe auf dem Fluss hört.

 


 

In meinen ersten Lebensjahren war der Rhein noch viel mehr als heute eine Grenze, die seine beiden Ufer trennte. Es gab noch keine Brücken zwischen Nijmegen (Nimwegen) und Wesel, nur Fähren. Nur selten kam ich auf die andere Rheinseite, die "gönne kant". Meine Eltern fuhren mit mir viel häufiger in das benachbarte niederländische Gelderland - zum Einkaufen nach Nijmegen oder zum Waldbeeren Pflücken in die Maas Duinen - als ins Münsterland. Was auf der anderen Seite des Flusses lag, war unbekanntes Deutschland.

Später - als Jugendlicher und junger Erwachsener - wollte ich immer weg. Der Niederrhein war mir zu langweilig. Ich hatte Fernweh nach Ländern, die spektakulärer, großartiger waren, nach Hochgebirgen, Küsten, tiefen Schluchten - und nach Weltstädten, in denen was los war, in denen es viel zu sehen gab. Hauptsächlich zog es mich - wie meine fränkischen (und vielleicht römischen) Urahnen - nach Süden und Südwesten, nach Frankreich, Spanien und Italien.

Heute bin ich froh, am Rhein zu leben.

Wenn meine Enkelin zu Besuch kommt, die selbst ein paar Kilometer vom Strom entfernt bei Düsseldorf wohnt, fahren wir oft mit dem Fahrrad (der Niederrhein ist ja eine hervorragende Radfahrregion; nur in den Niederlanden gibt es eine noch bessere Infrastruktur für das "Fietsen") zu einer Stelle, wo eine Buhne den Rhein einengt und seine Strömung noch schneller macht, als sie sowieso schon ist. Oben auf dem Deich erinnert ein Steinkreuz daran, dass Churchill hier 1945 mit der britischen Armee den Rhein überquerte. Eine beeindruckende riesige Kopfweide lädt dazu ein, beklettert zu werden. Wegen der Buhne kann man hier gefahrlos die Füße im Wasser baden. An anderen Stellen ist das lebensgefährlich. Viele haben schon die Strudel des Flusses unterschätzt und ihren Leichtsinn mit dem Leben bezahlt.

Vor allem gibt es hier fast immer etwas Interessantes zu sehen. Meistens fährt mindestens ein Schubkahn vorbei, schwerfällig, stark beladen und tief im Wasser liegend flussaufwärts, viel schneller durch die Wellen gleitend, entladen und von der Strömung getragen flussabwärts. Oft sind viele Schiffe gleichzeitig zu sehen. Auf keinem Fluss Europas ist der Schiffsverkehr ja so dicht und rege.

Diese Stelle am Rhein ist eine der Lieblingsorte meiner Enkelin. Und sie ist inzwischen auch zu einem meiner Lieblingsorte geworden.







Einige Bilder:

Vorder-, Hinter-, Alpen-Rhein
Hochrhein
Speyer und Worms

Oppenheim und Mainz
Rheingau

oberes Mittelrheintal

unteres Mittelrheintal
von Bonn nach Köln
am Niederrhein
in den Niederlanden
auch Rheinwasser: die Ijssel









 

Publiziert am: Montag, 02. März 2020 (1063 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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