Frauen denken anders

 

Zwischen männlicher und weiblicher Philosophie gibt es auffällige Unterschiede. Einige Beispiele: Eines der zentralen Probleme abendländischer Philosophie ist der Umgang mit unserer Sterblichkeit. „Philosophieren heißt sterben lernen“ schrieb Michel de Montaigne, und für Heidegger war jedes Sein ein „Sein zum Tode“. Aber so intensiv sich viele Philosophen mit dem Sterben und dem Tod auseinandersetzen, so wenig Beachtung fand das Faktum des Geborenwerdens. Erst Hannah Arendt führte den Gedanken und den Begriff der Natalität in die Philosophie ein.

            Die amerikanische Philosophin Mary Daly bringt diese grundlegenden Unterschied auf den Begriff, wenn sie das männliche Denken als „nekrophil“ und das weibliche als „biophil“ bezeichnet Aber es gibt noch mehr Differenzen.

In der Ästhetik lässt sich bei den Männern ein deutlicher Hang zur Theorie, bei den frauen dagegen zu einer gelebten ästhetischen Existenz feststellen. Die meisten Philosophinnen (und Künstlerinnen) verweigern die Trennung zwischen Kunst und Leben, hinter der letztlich der uralte männliche Dualismus von Körper und Geist steckt, sie versuchen nicht, sich die Welt „vom Leib zu halten“. An diesem weniger gespaltenen Denken (und Handeln) liegt es wohl auch, dass sie viel seltener als ihre Kollegen „überzeitliche Ideen“ propagieren. Sie wollen nicht ein fest gefügtes starres Gedankenideal errichten, darin leben und schon gar nicht – wie die Männer für Gott, Ehre, Vaterland und sonstige Idealmythen – dafür sterben. Ihre Philosophie gilt zuallererst dem Leben..

Das zeigt sich auch im Bereich der Moralphilosophie: Frauen denken eher beziehungsorientiert und neigen weniger zu abstrakter Gerechtigkeitsarithmetik. Sie sorgen sich viel mehr um den „konkreten Anderen“.

Beim Thema Liebe ist das kaum anders. Männliche Theoretiker sind – wie Abaelard – dazu imstande, anspruchsvolle Diskurse über die „reine Liebe“ zu produzieren. Aber dann sind es die Frauen – im konkreten Fall Abaelards Geliebte Heloise -, die solche Forderungen mit Leben füllen.

Ohnehin lässt sich an diesem Beispiel ein weiteres Charakteristikum aufzeigen. Viele Philosophen stellten höchst anspruchsvolle moralische Thesen auf – die sie selbst nur selten befolgten. Auch dies ein Verhalten, das bei Denkerinnen eher selten vorkommt. Einige Philosophinnen überprüfen ihre Theorien in der Praxis, die Französin Simone Weil arbeitete deshalb sogar in einer Fabrik. Die fehlende Distanz zum eigenen Körper und zum Untersuchungsgegenstand erweist sich bei den meisten Frauen als weiteres „Symptom“ einer lebenszugewandten Philosophie. Und noch etwas fällt auf: Männliches Denken ist einer abstrakten, linearen Zeitvorstellung verbunden, die Zukunft wird darin zur wichtigsten Zeitdimension. Frauen dagegen denken (wieder) eher zyklisch und betonen das Zeiterleben – also die Gegenwart.

Diese unterschiedlichen Perspektiven von Philosophinnen und Philosophen beruhen nicht zuletzt auf der jahrtausendelangen Ausgrenzung der Frauen aus den Zentren der Macht  und der Erschaffung kultureller Symbolsysteme wie Religion, Kunst oder Philosophie. Wenn Männer eher zum abstrakten Theoretisieren neigen und Frauen versuchen, Denken und Leben, Kunst und Alltag zu verbinden, hängt dies auch mit einem gesellschaftstypischen Faktum zusammen: die meisten Philosophen hatten( und haben) die Möglichkeit, sich „zum „Denken“ von der Welt zurückzuziehen. Ehefrauen, Mitarbeiterinnen oder Sekretärinnen schirm(t)en sie weitgehend ab. Ein solches „Privileg“ wurde Philosophinnen nur selten zuteil – wenn es denn überhaupt das Ziel der Philosophie sein sollte, weltabgewandt zu sein.

Publiziert am: Donnerstag, 05. Januar 2017 (1023 mal gelesen)
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